Deutsche Leichtathletik bei der WM:Auch offiziell am Boden angekommen

Deutsche Leichtathletik bei der WM: Im Fokus: Idriss Gonschinska (links), Vorstandsvorsitzender des Deutschen Leichtathletik-Verbandes DLV, beobachtet die Wettkämpfe neben Annett Stein, Cheftrainerin des DLV.

Im Fokus: Idriss Gonschinska (links), Vorstandsvorsitzender des Deutschen Leichtathletik-Verbandes DLV, beobachtet die Wettkämpfe neben Annett Stein, Cheftrainerin des DLV.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Zwei Medaillen, sieben Top-Acht-Platzierungen - die WM lief für das DLV-Team historisch schlecht. Die angekündigte "schonungslose Analyse" ist überfällig und darf nicht beim eigenen Verband aufhören.

Kommentar von Johannes Knuth, Eugene

In den vergangenen Tagen war bei den Weltmeisterschaften in Eugene erfrischend selten die Rede von Change-Prozessen, Sport-Communities und New-Learn-Rahmenbedingungen. Man werde das deutsche Abschneiden "schonungslos" durchleuchten, sagte Idriss Gonschinska, der Vorstandsvorsitzende im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), im ZDF bei einem seiner wenigen Medienauftritte in den USA.

Als Moderator Norbert König fragte, inwieweit Gonschinska selbst sich verantwortlich fühle - immerhin als höchster hauptamtlich Angestellter im DLV -, wurde es wieder schwammiger. Man verstehe sich als Team, in guten und schlechten Zeiten, sagte Gonschinska. Er sei erst mal dafür verantwortlich, diese USA-Exkursion "sehr, sehr konsequent" aufzuarbeiten.

Und dann?

Nach Jahren des Sinkflugs ist die deutsche Leichtathletik nun auch offiziell am Boden angekommen. 32 Nationenpunkte, sieben Athletinnen und Athleten unter den besten Acht, zwei Medaillen - das sind historisch niedrige Pegelstände. Da kann man noch so oft erwähnen, dass jetzt auch Speerwerfer aus Grenada Weltmeister werden und immer mehr Nationen Athleten in die Endkämpfe entsenden - die eigenen Potenziale schmelzen seit Jahren zusammen, immer mehr Disziplinen klinken sich aus der Weltspitze aus (auch wenn man dort im Lichte mancher Leistungsschübe vielleicht gar nicht vertreten sein mag).

Knapp 50 Prozent der deutschen Athleten schöpften in Eugene, beim Saisonhöhepunkt, ihr Vermögen nicht aus, rechnete Cheftrainerin Annett Stein vor. Die Gründe sind vielschichtig, sie liegen im Jugend- und Nachwuchssport, in den Schulen, in der Gesellschaft. Sie sind aber auch im Verband zu suchen, bis in die Spitze.

Nur noch ein Bruchteil zeigt zum Höhepunkt sein Leistungsvermögen - es stimmt etwas im großen Ganzen nicht

Wobei man in Eugene nicht gerade das Gefühl hatte, dass die operative Führung sich selbst viel vorzuwerfen hatte. Man habe tolle Rahmenbedingungen geboten, alles gut anmoderiert, sagte Cheftrainerin Stein. Vor der WM, in der Theorie sozusagen, habe alles prächtig ausgesehen, fand DLV-Präsident Jürgen Kessing. Er wolle der Analyse nicht vorgreifen, sagte Gonschinska - und tat es dann doch: Man habe zuletzt "andere Feedbacks aus den Trainer- und Athletenteams bekommen", sagt er. Bitte?

Man vergisst manchmal, dass es kaum einen Menschen in der deutschen Leichtathletik gibt, der so einflussreich und mächtig ist wie Gonschinska. Er wurde 2012 Cheftrainer, war von 2016 bis 2019 Leistungsdirektor Sport, danach Generaldirektor. Seit der DLV sich vor zwei Jahren einen hauptberuflichen Vorstand beschaffte und das Präsidium zu einer Art Aufsichtsrat formierte, steht Gonschinska an der Spitze dieses hauptamtlichen Rats.

Es ist nicht übertrieben, den heutigen DLV-Leistungssport zuvorderst als sein Werk zu bezeichnen: Welche Trainer in welche Position gehievt wurden; wie sich das Personal abstimmt; wer für höhe Aufgaben ausgemacht und eingelernt wird; wie Spitzensport mit Jugend, Lehre und Wissenschaft verwoben sind; wie Trainer und Vorgesetzte miteinander umgehen, sich austauschen; ob Untergebene ermutigt werden, Kritik vorzubringen, Neuerungen anzustoßen - das alles fiel oder fällt in seine Verantwortung.

Das kann am Ende auch beeinflussen, ob und wie sich Athleten entfalten, ihre Chancen bei Großanlässen nutzen. Da ist es dann auch erst mal egal, wie groß ein Team dort ist - wie oft wurde in der Vergangenheit über die extrascharfen DLV-Normen geschimpft, die Athleten den Zugang zu Großanlässen verbauten? Wenn nun nur noch ein Bruchteil zum Höhepunkt an die Decke der eigenen Fähigkeiten stößt, stimmt etwas im großen Ganzen nicht. Dann stellt sich auch die Frage, ob das Medaillenpotenzial, das den Leichtathleten als Nummer eins im jüngsten Sportförder-Ranking des Bundes attestiert wurde, eher mehr der Theorie als der Praxis entspricht.

In drei Wochen stehen die Europameisterschaften in München an, aber eine Auswahl, die jetzt zur Hälfte ihre Reiseflughöhe nicht erreicht, wird in knapp einem Monat kaum zu Höhenflügen ansetzen, unabhängig davon, wie viele der (ohnehin wenigen) verbliebenden Topkräfte in letzter Minute noch fit werden. Olympias Kernsport steckt in Deutschland in großen Problemen, schonungslose Analysen sind in der Tat überfällig. Nur: Wer Fehler dabei vor allem bei anderen ausmacht, ist Teil des Problems, nicht der Lösung.

Zur SZ-Startseite
Konstanze Klosterhalfen

Klosterhalfen bei der Leichtathletik-WM
:Läuft nicht mehr

Die Weltmeisterschaften in Eugene sollten für Konstanze Klosterhalfen Heimspiel und Comeback sein. Nach dem Vorlauf-Aus über 5000 Meter hinterlässt die 25-Jährige mehr Fragen als Antworten: zu ihrer Form und zu ihrem Umfeld.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: