Deutsche Fußballerinnen im EM-Finale:Der Coup von Göteborg

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Die deutschen Fußballerinnen haben Gastgeber Schweden im EM-Halbfinale gestürzt. Das Tor erzielt Dzsenifer Marozsán, danach muss sich das DFB-Team zahlreichen Angriffen der Schwedinnen erwehren. Im Endspiel kann die junge Mannschaft von Silvia Neid den Titel ein weiteres Mal nach Deutschland holen.

Von Kathrin Steinbichler, Göteborg

Vor dem Anpfiff dieses Europameisterschafts-Halbfinales hatte Lotta Schelin noch einmal nach oben geblickt. Dorthin, wo auf Höhe der Mittellinie am Stadiondach ein Paar ihrer Fußballschuhe baumelt. Das Gamla Ullevi ist die angestammte Spielstätte der schwedischen Frauen-Nationalmannschaft, und entlang der Haupttribüne, hinter den Scheinwerfern, ist ein dünner Steg für die Handwerker. Als Schelin im vergangenen Herbst das Stadion besuchte, ließ sie sich dort hinaufführen, um ihre Schuhe anzubringen. Die Stürmerin wusste, Schweden würde hier während der EM spielen, sie wollte ein sichtbares Zeichen setzen.

Doch die Schuhe haben nichts gebracht: Die Schwedinnen verloren am Mittwoch das Halbfinale 0:1 (0:1) gegen Deutschlands Frauen - die stehen damit am Sonntag (16 Uhr) im Endspiel von Solna und können den Titel zum sechsten Mal nacheinander gewinnen. "Eigentlich war es ein ausgeglichenes Spiel", fand Bundestrainerin Silvia Neid nachher. Sie sprach von Glück, "dass Schweden in der zweiten Halbzeit den Ausgleich nicht gemacht hat", und lobte ihre Mannschaft, die "mit sehr viel Leidenschaft gespielt" habe.

Vorab hatten beide Mannschaften debattiert, wer denn nun in dieser Partie der Außenseiter sei. Die stark verjüngte deutsche Auswahl, die zwar als Titelverteidiger antrat, aber nur dank einer Energieleistung gegen Italien unter die letzten Vier vorgestoßen war? Oder der eingespielte Gastgeber, dessen erfahrene Mannschaft mit der Empfehlung von 13 Turniertoren auflief? "Dass Schweden Favorit ist, liegt doch auf der Hand. Sie spielen zu Hause, haben die ganzen Fans hinter sich", hatte Neid festgestellt: "Sie haben ein Team mit vielen Weltklassespielerinnen. Wir sind hier quasi mit einer U23."

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Noch immer gilt es als weniger athletisch, langsamer und wenig ansehnlich, wenn Frauen Leistungssport treiben. Entsprechend weniger Platz erhalten die Wettkämpfe in der Berichterstattung. Die Fußball-EM in Schweden zeigt, dass sich die deutschen Fußballfrauen einen Platz als beachtete Minderheit erkämpft haben. Nur die Medien müssen noch lernen.

Ein Kommentar von Kathrin Steinbichler

Da hatte Neid doch etwas untertrieben: Selbst ohne die angeschlagene Celia Okoyino da Mbabi, die wegen einer im Viertelfinale erlittenen Oberschenkelzerrung nur auf der Bank saß und durch Anja Mittag ersetzt wurde, kam die deutsche Elf auf einen Altersschnitt von 25,4 Jahren.

Dennoch war die deutsche Elf natürlich weniger erfahren, und so hatte Schwedens Nationaltrainerin Pia Sundhage ein "hohes Tempo" angekündigt, um die deutsche Defensive unter Druck zu setzen. Ihre Mannschaft setzte die Vorgabe von Anfang an um: Gleich den ersten schwedischen Freistoß zog Verteidigerin Sara Thunebro aus spitzem Winkel direkt aufs deutsche Tor - allerdings knapp vorbei. Kurz darauf sorgte Lena Goeßling für das erste Raunen im Stadion, als eine Ecke von ihr an den Außenpfosten klatschte (7.).

Von da an lieferten sich beide Mannschaften einen offenen Schlagabtausch. Schweden stürmte, weil es in seiner Rolle als Gastgeber das Spiel machen wollte. Die deutsche Elf wiederum nutzte die Räume, die sich dadurch boten, und versuchte immer wieder, über die Flügel zum Tor zu kommen.

Nach gut einer Viertelstunde schlug Simone Laudehr einen Pass auf Dzsenifer Marozsán, doch Schwedens Torhüterin Kristin Hammarström kam vor der jungen Frankfurterin an den Ball. Im Viertelfinale hatte die Bundestrainerin die Spielmacherin Marozsán erstmals eine Halbzeit auf der Bank sitzen lassen. Im Halbfinale zeigte die 20-Jährige, warum sie als eines der großen Talente im Frauenfußball gehandelt wird: Immer wieder setzte sie ihre Mitspielerinnen mit feinen Pässen in Szene, und anders als zuvor arbeitete sie nun auch nach hinten gut mit.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde war es dann ausgerechnet die während der Vorrunde so gescholtene Marozsán, die für die deutsche Führung sorgte (33.). Nach einem Zuspiel von Mittag, die wie Marozsán ihr bestes Turnierspiel zeigte, spitzelte die 20-Jährige den Ball an Schwedens Charlotte Rohlin und Torfrau Hammarström vorbei ins Tor (33.). "Ich habe noch überlegt, grätsche ich rein oder lass' ich es lieber sein", beschrieb sie die Szene, bevor sie ihren Fuß dann doch ganz lang machte: "Ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe."

In der zweiten Halbzeit lief Schweden immer wütender an gegen das deutsche Tor, doch je länger das Spiel dauerte, desto verzweifelter wirkten die Bemühungen. Die deutsche Elf dagegen wirkte von Minute zu Minute ruhiger und zuversichtlicher. In der 62. Minute traf dann Lotta Schein mit einem schönen Schlenzer ins Tor, doch weil sie sich zuvor mit dem Ellbogen gegen Annike Krahn Platz verschafft hatte, ließ die Schweizer Unparteiische Esther Staubli den Treffer nicht gelten - und pfiff unter dem tosenden Protest der 16 608 Zuschauer Freistoß für Deutschland.

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Bei der Heim-WM war im Viertelfinale Schluss, nun setzt Bundestrainerin Silvia Neid alles daran, bei der EM in Schweden den Titel zu holen. Die 49-Jährige achtet auf jedes Detail - und lässt deswegen in einem Industriegebiet trainieren.

Von Kathrin Steinbichler, Växjö

Es war der Auftakt zu einer turbulenten Schlussphase. In der 70. Minute war es der Pfosten, der nach einem Schuss von Josefine Öqvist den Ausgleich verhinderte, drei Minuten später fischte Nadine Angerer einen Schuss von Kosovare Asllani gerade noch von der Linie. "Die Schwedinnen habe viel Druck gemacht", sagte Dzsenifer Marozsán, "aber wir haben bis zur letzten Sekunde gekämpft." Schelins Schuhe haben ihrem Team also kein Glück gebracht, Deutschland aber feierte seinen Coup von Göteborg.

© SZ vom 25.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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