Deutsche Fußball-Nationalmannschaft:Jogi-Mobil mit kleinem Wendekreis

Gerade ist die deutsche Nationalmannschaft im Stile eines futuristischen Sportwagens durch die EM-Qualifikation gebrettert. Ist sie aber schon Spanien-tauglich? Wir haben Bremskraft, technische Ausstattung und Beschleunigung des deutschen Qualifikations-Flitzers einem unabhängigen Prüfverfahren unterzogen.

Boris Herrmann und Philipp Selldorf

Selbstverständlich ist die deutsche Fußball-Nationalelf kein Auto. Sie verhält sich aber manchmal wie eines. Vor gut zehn Jahren noch rumpelte sie wie ein durchgerosteter Gebrauchtwagen vor sich hin. Unter der Obhut eines innovativen Konstrukteurs mit Wohnsitz in Kalifornien erfuhr sie um das Jahr 2006 erste Schönheitskorrekturen und nun, im Frühherbst des Jahres 2011, steht sie plötzlich wieder so strahlend da, als sei sie gerade frisch vom Band gerollt.

Deutschland - Oesterreich

Den fünften Treffer gegen Österreich feiern Boateng, Klose, Schweinsteiger und Schürrle (v. li.); Letzterer hat ihn erzielt und sich erneut als schnellstartender Einwechselspieler erwiesen.

(Foto: dapd)

Gerade ist sie im Stile eines futuristischen Sportwagens durch die EM-Qualifikation gebrettert und zwei Spieltage vor Schluss im Ziel angekommen, wo sie jetzt in aller Ruhe auf die Ankunft der anderen EM-Teilnehmer warten kann.

Da bleibt viel Raum und Zeit für großen Visionen. "Jetzt wollen wir den EM-Titel", war aus der DFB-Boxengasse nach dem rauschhaften 6:2 von Gelsenkirchen zu hören. Es steht allerdings außer Frage, dass die Gegner aus Österreich dabei nur einer Prüfung der niederen der Kategorie darstellten. Wenn man so will, haben sie sich dem Jogi-Mobil bereitwillig vor die Räder geschmissen.

Der zweieinhalbmalige Torschütze Mesut Özil sah dennoch keinen Grund, sich bei den weitgehend verkehrsuntauglichen Gästen zu bedanken: "Wir haben gezeigt, dass wir auch eine kleine Mannschaft dominieren können", stellte er zufrieden fest. Vor den Großen (Argentinien, England, Brasilien) haben sie ohnehin keine Angst mehr, nur für die Allergrößten hat es bislang noch nicht gereicht.

Wer aber im kommenden Jahr in Polen und in der Ukraine die Marktführerschaft in Europa übernehmen will, der muss mutmaßlich den Welt- und Europameister Spanien im Direktvergleich abhängen können.

Die SZ-Sportredaktion hat die einzelnen Teile des deutschen Qualifikations-Flitzers vor diesem Hintergrund schon einmal einem unabhängigen Prüfverfahren namens "EM-TÜV" unterzogen. Die Messwerte orientieren sich dabei an der höchsten Qualitätskategorie, der sogenannten "Spanierskala".

Kofferraum

Kofferraum

Ganz hinten präsentiert sich das Jogi-Mobil von seiner besten Seite. Das in Gelsenkirchen gefertigte Bauteil Manuel Neuer hat inzwischen nicht nur die Kunden in Bayern überzeugt, sondern wird auch weltweit bewundert. Neuer ist extrem zuverlässig und hoch belastbar.

Deutschland - Oesterreich

Weltweit bewundert: Manuel Neuer.

(Foto: dapd)

Ein gewisser Jens Lehmann behauptet zwar, es gebe derzeit in diesem Bereich gar keine Weltklasse (womit er wohl andeuten will: seit seinem eigenen Rückzug aus dem operativen Geschäft) - vermutlich stimmt jedoch das Gegenteil. An den Produktionsstandorten Hannover (Zieler), Leverkusen (Adler, Leno), Kaiserslautern (Trapp), Mönchengladbach (ter Stegen) oder Freiburg (Baumann) werden erstklassige Neuer-Alternativen produziert, die sich schon in naher Zukunft allesamt als internationale Exportartikel eignen dürften.

Testsiegel: sorgenfrei.

Bremskraft

Die viergliedrige Kettenbremse ist grundsätzlich hochwertig verarbeitet, bei besonders schwierigen Manövern allerdings nicht immer ganz zuverlässig. Auch gegen Österreich waren in der zentralen Schweißstelle Hummels/Badstuber zwei tückische Aussetzer zu erkennen. Als Alternative steht das Kettenglied Per Mertesacker bereit, dem Chefingenieur Löw trotz geringfügiger Geschwindigkeitsdefizite grundsätzlich "ein hohen Vertrauen" schenkt. Links hält Lahm, was die Fachliteratur verspricht. Vor allem für den rechten Kettenrand aber fehlt noch eine überzeugende Dauerlösung. Die aus der Autostadt Wolfsburg importierte Variante Träsch hat jüngst im Testspiel gegen Brasilien einige Fragen offen gelassen, die gegen Österreich getesteten Versionen mit Höwedes und Boateng waren zufriedenstellend, allerdings längst noch nicht spanientauglich.

Testsiegel: unvollständig.

Kupplung

Bei der WM in Südafrika hat sich das Duo Schweinsteiger/Khedira als verlässliches Umschaltsystem erwiesen, das in den großen wie in den kleinen Gängen ruckelfrei funktionierte. Allerdings liebäugelt Werkstattmeister Löw auch mit dem Bauteil Toni Kroos, das dem Gesamtkonstrukt noch etwas mehr Vortrieb verleiht. Löw hat dafür einen eigenen Fachausdruck, den des "Zwischenspielers" erfunden. Langfristig könnte sich dahinter der verwegene Plan verbergen, den spanischen Turbomotor Xavi schon im Ansatz auszubremsen. In der Testphase kann es dagegen durchaus noch zu kurzfristigen Problemen im Rückwärtsgang kommen - selbst gegen die österreichische Kleinwagenklasse.

Testsiegel: wachstumsorientiert.

Technische Ausstattung

Deutschland - Österreich 6:2

Nichts zu beanstanden: Mesut Özil und Mario Götze.

(Foto: dpa)

Technische Ausstattung

In diesem Bereich ist nun wahrlich nichts zu beanstanden. Vor allem Mesut Özil, Thomas Müller und Mario Götze bestechen durch eine hervorragende Kurvenlage und einen besonders kleinen Wendekreis. Ungeachtet ihres relativ jungen Baujahres überzeugen sie mit bemerkenswerter Konstanz in der gehobenen Anspruchsklasse, bieten dabei allerdings immer noch genügend Raum für jugendhafte Überraschungsmomente. Der Torinstinkt wird serienmäßig mitgeliefert.

Testsiegel: verdächtig spanisch.

Beschleunigung

Aufgrund der besonderen Anforderungen im modernen Tempofußball (mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 250 km/h) ist dies ein neuralgischer Punkt auf dem Weg zum amtlich zertifizierten EM-Favoriten. Das weiß auch Löw, weshalb er weder Ermahnung noch Vieraugengespräch noch Schürrle-Lob scheute, um seinen zuletzt etwas stotternden Flügelrenner Lukas Podolski um ein, zwei Gänge hochzutunen. Derart angetrieben wurde Podolski damit gegen Österreich zur Wiederentdeckung des Abends. Er beschleunigte auch ohne Ball so schnell wie auf der anderen Seite Thomas Müller, also von null auf hundert in rund 4,5 Sekunden. Beide können im Übrigen von Glück sagen, dass die Uefa keinen Videobeweis hat und deshalb auch keine Radarfallen toleriert.

Testsiegel: zunehmend sportlich.

Ersatzteilsortiment

An dieser Stelle ist ohne Zweifel der größte Entwicklungsschritt auszumachen. Während seine Vorgänger zum Teil Jahre lang auf eine Bestellung warten mussten, wenn sie zum Beispiel mal spontan einen Linksverteidiger benötigten, kann sich Löw aus einem schier unerschöpflichen Sortiment an Mannschaftsbauteilen bedienen. An nahezu jeder Ecke dieses Landes finden sich die wundersamsten Ersatzteile, von denen die Österreich-Torschützen André Schürrle und Mario Götze nur die besonders naheliegenden sind. Auch Marco Reus, Kevin Großkreutz sowie mehrere Benders warten nur darauf, ins Gesamtgefüge eingeschraubt zu werden. Lediglich ganz vorne im Stoßstangenbereich ist die Auswahl dünner. Da gibt es neben Gomez und Klose praktisch nur die Optionen Klose oder Klose.

Testsiegel: breit in der Tiefe - außer in der Spitze.

Umweltplakette

Die Umwelt reagiert mit wachsender Euphorie auf den Gesamteindruck des Jogi-Mobils. Inzwischen werden sogar schon Bayerntorhüter und Dortmundspieler auf Schalke bejubelt, was keinen anderen Schluss nahelegt, als dass die Zuschauer bei dieser Art der Unterhaltung zufriedener nach Hause gehen und dabei weit weniger Kohlenmonoxid ausstoßen als nach herkömmlichen Spielen. In den kommenden Wochen und Monaten wird es vor allem darum gehen, diese Euphorie zu konservieren, zumal sie offensichtlich direkt in ein titeltaugliches Selbstbewusstsein mündet. In diesem Kontext gilt bis zum Beweis des Gegenteils Özils bemerkenswerte Analyse: "Es gibt viele Mannschaften, die mithalten können. Spanien zum Beispiel."

Testsiegel: klimaneutral

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