Süddeutsche Zeitung

Deutsche Eishockey Liga:Vertrauen zahlt sich aus

Die Eisbären Berlin gehen als bestes Team aus dem Norden in die Duelle mit dem Süden. Unter Trainer Serge Aubin gilt der DEL-Rekordmeister wieder als Titelkandidat. Das liegt vor allem an der Reihe um Liga-Topscorer Marcel Noebels.

Von Johannes Schnitzler, München

Der deutsche Draisaitl? "Das wäre ein schönes Kompliment", sagt Marcel Noebels und lacht. Wenn es denn Sinn ergäbe. Mit dem Kollegen aus dem Nationalteam, der in der nordamerikanischen NHL in die Liga der Superstars aufgestiegen ist, will Noebels sich gar nicht vergleichen. Ein guter Eishockeyspieler ist er dennoch. Ein sehr guter sogar, wenn er seiner eigenen Definition folgt. Statistisch der beste in dieser Saison der Deutschen Eishockey Liga (DEL).

Rückblende. 11. März 2020, ein Tag, nachdem die DEL ihre Saison abgebrochen hatte. Wegen eines Virus, von dem noch keiner so recht wusste, was es anrichten würde. "Vielleicht erleben wir noch einen kompletten Shutdown weltweit", ahnte Noebels damals. Der Stürmer der Eisbären Berlin hatte gerade die erfolgreichste Hauptrunde seiner Karriere hinter sich, 49 Torbeteiligungen in 52 Spielen, wurde zum Spieler der Saison gewählt und war heiß auf die Playoffs. "Zumal ich in den vergangenen Jahren dann immer noch ein bisschen besser gespielt habe", sagte Noebels damals der SZ. Aber alles Wenn und Hätte nutze nichts: "Ich fokussiere mich jetzt auf die nächste Saison und freue mich darauf, da weiterzumachen, wo ich jetzt aufgehört habe. Gute Spieler halten ihr Niveau langfristig."

Noebels kommt auf rund 1,5 Scorerpunkte pro Spiel - genauso viele wie Leon Draisaitl in der NHL

Das ist Noebels, wenn man so will, nicht ganz gelungen: Denn er hat seine Leistung noch mal auf ein völlig neues Niveau gehoben. Nach nur 23 Spielen in der laufenden Saison hat er bereits 37 Scorerpunkte auf seinem Konto, rund 1,5 pro Partie - genau wie Leon Draisaitl in der NHL. Damit führt der seit wenigen Tagen 29-Jährige die DEL-Wertung mit großem Vorsprung an. "Mir war wichtig, dass ich eine gewisse Konstanz in mein Spiel bringe. Ich wollte nicht nur mir beweisen, dass ich mein Level halten kann. Ich wollte auch anderen zeigen, dass mit mir zu rechnen ist." Lange galt der 1,90 Meter große Angreifer aus Tönisvorst, dessen NHL-Transferrechte sich die Philadelphia Flyers 2011 sicherten, als großes Talent, gut an der Scheibe und mit einem scharfen Auge. Aber auch als zu schmal, zu ruhig. Vier Jahre spielte er in den USA für unterklassige Klubs - zum Durchbruch reichte es nicht. Seit er 2014 nach Deutschland zurückgekehrt ist, hat Noebels seine Leistung kontinuierlich gesteigert. Und jetzt? "Würde ich behaupten, dass ich mich noch besser fühle als im vergangenen Jahr." Und das hat viel mit seinem direkten Arbeitsumfeld in Berlin zu tun.

Die Eisbären liegen in der DEL-Gruppe Nord klar an der Spitze. Neben Mannheim, dem noch souveräneren Tabellenführer der Gruppe Süd, München und vielleicht dem ERC Ingolstadt zählen sie zu den Titelfavoriten in dieser Spielzeit. "Wir haben uns ganz gut verkauft", sagt Noebels - eine hemmungslose Untertreibung. Gemeinsam mit Liga-Toptorschütze Leo Pföderl (27 Jahre, 18 Treffer) und dem erst 18-jährigen Lukas Reichel, der bei der jüngsten Talentbörse der NHL neben Tim Stützle (Ottawa) in der ersten Runde von den Chicago Blackhawks gedraftet wurde, bildet Noebels die spektakulärste Angriffsreihe der Liga. "Wir arbeiten hart füreinander, keiner ist sich für die Defensive zu schade, und wir verstehen uns auch privat gut", sagt er.

Auf dem Eis ergänzen sie sich perfekt. Noebels, in früheren Jahren oft als Arbeitsbiene unterschätzt, schafft mit neuer Athletik Räume für die Mitspieler und setzt sie kreativ in Szene. "Wenn der Luki an mir vorbeifliegt und ich ihm einen Pass spiele, dann fängt er schon was damit an. Und der Leo haut die Dinger zu jeder Uhrzeit rein." 32 Treffer hat Noebels bereits vorbereitet. "Die Eisbären haben einen neuen Serientäter", schrieb die Berliner Zeitung, als er im Februar in 15 Spielen nacheinander mindestens einen Punkt verbuchte - Klubrekord. Auch Pföderl stellte mit einer Serie von neun Spielen mit mindestens einem Treffer eine neue Bestmarke auf.

"Der Trainer ist der Erste, der sagt: ,Jungs, ihr könnt ein Bier trinken'. Er sagt aber auch: ,An die Arbeit!'"

Dass Berlin, mit sieben Titeln gleichauf mit Mannheim DEL-Rekordmeister, wieder ein Titelkandidat ist, liegt auch an Serge Aubin, im zweiten Jahr Cheftrainer der Eisbären. "Er ist extrem selbstkritisch, achtet auf jedes Detail und ist komplett mit dem Herzen dabei", sagt Noebels. Der Coach schenke seiner Reihe auch in kritischen Situationen viel Vertrauen. "Der Trainer ist der Erste, der sagt: ,Jungs, ihr könnt ein Bier trinken gehen'. Er sagt aber auch: ,An die Arbeit!', wenn es soweit ist." Die Spieler zahlten dieses Vertrauen zurück. Der Lohn: Platz eins für Berlin. Und ein neuer Zwei-Jahresvertrag für Aubin, wie die Eisbären am Donnerstag mitteilten.

Wenn in der DEL nun nach 24 Spielen die Gruppenphase endet und am Samstag mit der Partie zwischen Nürnberg und Iserlohn die sogenannte Verzahnungsrunde beginnt, in der die sieben Teams aus dem Norden in Hin- und Rückspiel gegen die sieben Teams aus dem Süden antreten, ist das wie der Beginn einer neuen Saison. "Es ist schön, mal andere Trikots zu sehen", sagt Marcel Noebels. Die Eisbären starten am Sonntag gegen die Augsburger Panther, Sechster im Süden, ein vergleichsweise beschaulicher Auftakt. Andererseits: Bei 14 Spielen innerhalb von 28 Tagen darf sich auch ein Spitzenreiter keinen Durchhänger leisten. Die vier Besten jeder Gruppe qualifizieren sich für die am 20. April beginnenden Playoffs. "Jeder Punkt zählt", sagt Noebels. "Und wir haben noch Ziele."

Es ist dieses Verantwortungsbewusstsein der Spieler füreinander und für das Team, das die Reihe mit Noebels, Reichel und Pföderl von vielen anderen in der Liga abhebt und sie auch für Bundestrainer Toni Söderholm interessant machen dürfte. Der Finne, der seit Monaten keinen direkten Kontakt zu seinen Spielern hat und im Herbst wegen einer Corona-Infektion auch den Deutschland Cup aus der Ferne verfolgen musste, sagte im Hinblick auf die WM im Mai in Lettland: "Das positive Gefühl, was in der Nationalmannschaft und in der Kabine steckt, wollen wir auf alle Fälle konservieren. Das ist eine gute Basis, um uns weiterzuentwickeln." Noebels kennt dieses gute Gefühl, 2018 zählte er neben Pföderl zur Olympia-Silber-Mannschaft. Schlecht entwickelt haben sie sich seitdem nicht.

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