Gernot Tripcke bläst die Backen auf und schnaubt: "Pfrrrh." Ein Pferd? Noch mal Lippenflattern: "Pfrrrh." Es gibt allerlei Wildgetier in der Deutschen Eishockey Liga, Grizzlys, Haie, Eisbären, Tiger, alles. Die halbe Rote Liste der Gefährdeten Arten. Aber Pferde? Mustangs? Fehlanzeige.
Man muss Tripcke fairerweise zugute halten, dass er den kommenden deutschen Meister tippen sollte - vor dem Playoff-Viertelfinale der DEL. Seit Donnerstag hätte er es leichter, da zog Titelverteidiger Berlin mit einem 4:0 gegen die Kölner Haie als erstes Team in die am nächsten Mittwoch beginnenden Halbfinals ein; in den anderen Best-of-five-Serien zwischen München und Düsseldorf, Wolfsburg und Bremerhaven sowie Mannheim und Straubing steht es jeweils 2:1. Im Eishockey gebe es nun mal keinen FC Bayern, auf den man blind tippen könnte, sagt der Geschäftsführer der DEL. Deshalb antwortet Tripcke auf die Frage nach dem nächsten Meister mit einem entschiedenen akustischen Schulterzucken: "Pfrrrh."
Kluge Antwort. Eigentlich. Kritiker sagen, es ist genau die Antwort, die man von der DEL immer bekommt. Ein Schnauben, ein Schulterzucken, nur nichts Klares, Verbindliches.
Einer der schärfsten Kritiker Tripckes, der seit 22 Jahren die Geschäfte der DEL führt, ist Christopher Röder, 39, seit 1. Januar Geschäftsführer der Spielervereinigung Eishockey. Die SVE wurde 2020 in der Corona-Pandemie gegründet, um den Spielern Stimme und Gehör zu verschaffen. Röder sagt: "Die DEL versucht uns am langen Arm wegzudrücken nach dem Motto: Die sind aus der Not geboren, das wird schon wieder abebben."
Die zurückliegenden beiden Jahre waren schwierig. Die nächsten zwei werden noch schwieriger, prophezeit Tripcke
Auf bis zu 60 Prozent ihres Gehalts verzichteten die Profis in der Saison 2020/21, die in Stadien ohne Zuschauer gespielt werden musste. Für die erfolgreichste Hallensportart in Deutschland mit rund 6500 Zuschauern pro Partie - vor der Pandemie - ein extrem harter Schlag. Rund zwei Drittel ihres Umsatzes erwirtschaften die 15 DEL-Klubs an den Spieltagen, sprich: im Stadion. Und als alle hofften, die aktuelle Saison werde leichter, weil die Zuschauer zurückkommen dürften, wurde es erst kompliziert. "Ja, die Saison war wirtschaftlich wie sportlich vielleicht sogar schwerer als die Geistersaison 2020/21", sagt Lothar Sigl, geschäftsführender Gesellschafter der Augsburger Panther. "Damals wussten wir alle, auf was wir uns einlassen und wie wir zu kalkulieren haben. 2021/22 wurden wir von den Entwicklungen ein Stück weit überrascht."
Die große Hoffnung ist, dass die Zuschauer nun wieder zurückkommen. Und im Oktober waren die Stadien ja voll. Dann kam Omikron. "Insgesamt 13 verschiedene Hygienekonzepte für den Spielbetrieb vor Fans haben wir dieses Jahr erstellt", sagt Sigl. Dennoch mussten in dieser DEL-Spielzeit mehr als 40 Partien verlegt werden, zum Teil wegen behördlicher Anordnungen, zum Teil weil die Klubs darauf hofften, im Frühjahr wieder vor zahlendem Publikum spielen zu dürfen. Am Ende der Hauptrunde blieben acht Partien, die nicht mehr nachgeholt werden konnten, Augsburg etwa war allein vier Mal betroffen. "Natürlich hatte das große Auswirkungen, wir reden schnell von hohen sechsstelligen Einnahmeverlusten, die sich nicht mehr verhindern ließen", sagt Sigl. "Auch die Spieler trifft das hart. Deren Gehälter sind ja auch in einem gewissen Maße an die Zuschauerzahlen gekoppelt."

Die Spieler, sagt Gernot Tripcke, seien im deutschen Eishockey "doch die einzigen, die Geld verdienen", neben den Trainern und Geschäftsstellen-Mitarbeitern. Die oberste Prämisse lautete: überleben. Irgendwie präsent bleiben. "Wir haben viel Gedankenschmalz investiert und viele Lösungsmöglichkeiten diskutiert." Dazu gehörte vor der Saison die Einführung eines Quotienten eben für den Fall, dass nicht alle Spiele ausgetragen werden könnten: Punkte geteilt durch Spiele ist gleich Platzierung. "Wir haben den Quotienten bewusst eingeführt, einstimmig", sagt Tripcke. Trotzdem gab es am Saisonende Ärger, weil die Krefeld Pinguine absteigen mussten. Aus Sicht der Pinguine ungerecht, weil sie spielen mussten, als sie selbst dezimiert waren und so ihren Schnitt nicht verbessern konnten. "Allen war bewusst, dass es eine Notlösung ist", sagt Tripcke. Er könne die Aufregung in Krefeld "aus der Einzelperspektive" verstehen, zumal erstmals seit 2006 ein Team die DEL auf sportlichem Weg verlassen muss. Letztlich habe der Quotient für Krefelds Relegation aber "gar keine Rolle gespielt". Zu groß war der Abstand, zu lange watschelten die Pinguine schon den absteigenden Ast hinunter.
Das Problem der SVE ist: Sie war nicht Teil der Diskussionen. Der Informationsaustausch habe sich zur "Einbahnstraße" entwickelt, sagt Christopher Röder. Die Entscheidungsprozesse der DEL und ihres Aufsichtsrats, der seit Jahren aus denselben altgedienten Klubfunktionären wie Augsburgs Sigl besteht, liefen "sehr stark intransparent" und "top-down" ab, von oben nach unten, um nicht zu sagen: von oben herab.
Die Spielervertretung fordert mehr sportlichen Sachverstand in den Gremien, mehr Kontrollmöglichkeiten, mehr "Mitspracherecht der relevanten Akteure", also: der Spieler. Denn die Spieler - und die Fans - seien die Basis des Geschäftsmodells. "Sonst wackelt der Schwanz mit dem Hund."
Röder vermisst in der Pandemie Unternehmergeist und frische Ideen. Das Pochen auf bestehende TV-Verträge mit dem Streamingdienst Magentasport sei allenfalls fantasielos, das antike Prinzip pacta sunt servanda keine Zukunftsstrategie. Hätte die Politik in der Pandemie immer nur auf Verträge verwiesen, findet Röder, wäre das Land nicht so vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Die Rückkehr der Zuschauer in die Stadien sei kein Selbstläufer, im frei empfangbaren Fernsehen ist die DEL gerade mal wieder beim Spartensender Servus TV verschwunden. Hat man etwa versucht, ein Fenster bei den Öffentlich-Rechtlichen zu bekommen?

"Wenn man sieht, welche Reichweite ein einzelner Spieler in den sozialen Netzwerken hat, teilweise mehr als der ganze Klub - das kann doch nicht sein", sagt der ehemalige Nationalspieler Marcus Kink. Der 37-Jährige, 2018 Silbermedaillen-Gewinner in Pyeongchang, ist Vorstandssprecher der SVE, er fordert "einen Platz am Tisch". "Wir wollen konstruktiv über Themen sprechen und unsere Erfahrung einbringen", sagt der Mannheimer Meisterkapitän von 2019. Und da soll sich das Establishment mal nicht täuschen: "Wir sind Profis, wir sind ehrgeizig. Wir lassen uns nicht so leicht vertrösten."
Gernot Tripcke, 54, Anwalt, Experte für Sport- und Unterhaltungsrecht, wetterfester DEL-Geschäftsführer mit Vertrag bis 2025, kann das: unangenehme Themen wegdrücken, auf Distanz halten. Vielleicht auch Menschen. Mit Alexander Sulzer, Röders Vorgänger, habe die Zusammenarbeit prächtig funktioniert. "Wir waren auf einem sehr guten, vertrauensvollen Weg", sagt Tripcke. Aber Sulzer ist nun Trainer. Und die SVE "fährt eine neue Schiene", sagt Tripcke.
Was die mediale Reichweite betreffe, gibt er Kink teilweise recht: "Wir müssen die Leute mehr über die Highlights und Social-Media-Kanäle anfüttern, besonders die Jüngeren. Live-Spiele bei den Öffentlich-Rechtlichen wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Playoffs passen in ihrer Unberechenbarkeit nicht zur Programmplanung der quotenstarken Sender."
Was Tripcke am Vorstoß der Spielervertretung stört: "Es gibt keine Anrufe, sondern Kommunikation über die Medien." Kaum eine Liga sei leichter zu erreichen und "weniger prätentiös" als die DEL. "Irgendwann ist man dann einfach sauer." Zumal, das scheint durch, die Liga-Vertreter die Legitimation der SVE als Sprachrohr der Profis anzweifeln. Offizielle Mitgliederzahlen gibt es nicht, die zum Teil geschätzten Angaben reichen von 80 bis 800, was bedeuten würde, dass praktisch alle Spieler der beiden Profiligen unter dem Dach der SVE organisiert wären. "Niemals", sagt ein Branchenkenner. Trotzdem seien ihre Anliegen legitim.

"Die SVE, aber auch jeder Spieler kann immer anrufen", sagt Tripcke. "Die Spieler sind das Kapital der Klubs." Augsburgs Klub-Boss Sigl sagt: "Einer der Hauptgründe für zuschauerbedingte Spielverlegungen war: Wir wollten jedem Spieler die Chance geben, sein Zielgehalt zu erreichen. Wir kommen aus dieser Saison mit einem, vielleicht eineinhalb blauen Augen raus." Profis und Zuschauer sollten sich nicht täuschen, warnt Tripcke. Die vergangenen zwei Jahre seien schwierig gewesen: "Aber die nächsten zwei Jahre werden noch schwieriger." Corona-Hilfen aus der Politik wird es nicht mehr geben, und die Gesellschafter hätten noch mehr investieren müssen als früher: Jedes Engagement stoße irgendwann an Grenzen.
Jetzt laufen erst mal die Playoffs, die hohe Zeit des Rempelns, der Sponsorenverträge und des Dauerkartenverkaufs. "Wir sind froh, dass wir jetzt vor Zuschauern spielen können", sagt Tripcke.
Wie es dann weitergeht, sportlich, wirtschaftlich und mit der SVE? Pfrrrh. Müsste man mal miteinander drüber reden.