Deutsche Eishockey Liga:Nerven auf der Streckbank

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"Es zählt nur, dass wir weitergekommen sind": Schienbeinschütze Nicolas Krämmer (rechts) jubelt mit Teamkollege Taylor Leier über das Tor in der Verlängerung zum Mannheimer 4:3-Sieg gegen Straubing. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Titelfavorit Mannheim steht gegen Straubing schon vor dem Playoff-Aus, als Adler-Trainer Pavel Gross auf alles oder nichts setzt. Der Plan gelingt, im Halbfinale wartet nun Wolfsburg, die Eisbären Berlin treffen auf Ingolstadt.

Von Johannes Schnitzler

Es war kurz vor sieben am Samstagabend, in der Sportschau kündigte sich die überraschende Niederlage des FC Bayern beim kleinen Karnevalsverein in Mainz an, als sich in Mannheim das wahre Drama abspielte. Aus den Augen der Adler war jede Kühnheit gewichen, in den Gesichtern der Spieler standen Zweifel, Verunsicherung - Angst. "Wir haben sie genau da, wo wir sie haben wollen", sagte Sandro Schönberger, der Kapitän der Straubing Tigers, und erklärte im schönsten Bairisch, wo genau sie die Adler denn nun hätten: "am Krawattl". 3:0 führten die Gäste nach zwei Dritteln im dritten und entscheidenden Playoff-Spiel um den Einzug ins Halbfinale der Deutschen Eishockey Liga (DEL), und die Aufgabe für die Tigers war nun relativ klar: "Jetzt derf ma's nimmer los lassen", sagte Schönberger bei Magentasport. Mannheim, das beste Team der DEL-Hauptrunde und der Favorit auf den Titel, stand vor dem Aus. Die Tigers hatten ihren vermeintlichen Dompteur an der Kehle gepackt.

Welche Bedeutung die Adler für Mannheim haben, erfuhren die Profis vor dem Spiel auf dem Weg zur SAP Arena: Rechts und links der Zufahrt säumten Fans die Straße und feuerten sie an. Was als moralische Stütze gedacht war, lastete mit zunehmender Spielzeit aber tonnenschwer auf ihren Schultern. Aus gegen Straubing? Unvorstellbar. Aber nun stand es nach 40 Minuten 0:3, die Katastrophe erschien plötzlich erschreckend realistisch.

Das verkürzte Format begünstigt die Außenseiter - so spannend waren die Viertelfinals noch nie

Auch rund 600 Kilometer von Mannheim entfernt lagen die Nerven auf den Streckbänken. In Berlin liefen die Eisbären, nach der Hauptrunde Erster der DEL-Gruppe Nord, einem 0:2-Rückstand gegen die Iserlohn Roosters hinterher, wenig erinnerte an ihren souveränen 6:0-Auswärtssieg zwei Tage zuvor. Nachdem sich am Donnerstag bereits München gegen Ingolstadt glatt nach zwei Niederlagegen aus dem Titelrennen verabschiedet hatte, zeichnete sich am Samstagabend ein Halbfinale ab, wie es die Liga noch nicht gesehen hat: mit Straubing, Iserlohn, Ingolstadt und Wolfsburg, das sich in der Verlängerung 3:2 in Bremerhaven durchsetzte - nachdem die Gastgeber drei Sekunden vor Ablauf der Spielzeit zum Ausgleich getroffen hatten.

Dieses Viertelfinale bestätigte, was Mannheims Trainer Pavel Gross zuvor in scharfen Worten ("Lachnummer") kritisiert hatte: dass die wegen der Corona-Pandemie verkürzten Playoff-Serien die Außenseiter begünstigen - zum Weiterkommen reichen in diesem Jahr zwei statt der üblichen vier Siege. Das mag unfair sein gegenüber den Teams, die 38 Punktspiele lang konstant ihre Leistung gebracht haben. Aber zur Hölle: Noch nie war ein Viertelfinale spannender als in diesem Jahr!

Zehn Minuten vor Schluss den Torwart rausnehmen? "Dafür brauchst du Eier aus Stahl."

In Berlin war es Matt White, der mit drei Treffern im zweiten Drittel die Partie gegen die Roosters drehte, ehe Kris Foucault und Verteidiger Ryan McKiernan mit seinem vierten Treffer im dritten Spiel das Schlimmste abwendeten. Im Halbfinale treffen die Eisbären von Montag an auf Ingolstadt. Auf der Mannheimer Bank aber kauten sie immer noch Nägel.

Der Berliner Matt White dreht den Spielstand gegen ERC Ingolstadt alleine mit drei Treffern. (Foto: O.Behrendt/imago)

Als auch das dritte Drittel schon wieder zur Hälfte ohne einen Mannheimer Treffer verstrichen war, entschied sich Adler-Trainer Gross für alles oder nichts: 10:19 Minuten vor dem Ende beorderte er Torhüter Dennis Endras vom Eis - ein Trick, wie man ihn von Münchens Trainer Don Jackson kennt. Aber der kontrollversessene Gross? War das taktische Meisterklasse - oder der Mut der Verzweiflung? Gross' Manöver hätte genauso gut nach hinten losgehen können. Ein 0:4 hätten die Adler in den letzten zehn Minuten kaum noch aufgeholt. Mit zwei Feldspielern mehr im Powerplay gelang ihnen aber tatsächlich der ersehnte Treffer: Sinan Akdag verkürzte auf 1:3 (50.). Keine Minute später wiederholte sich das Spielchen: Strafe gegen Straubing, Gross winkt Endras zur Bank, Tor Brendan Shinnimin, 2:3 (52.). Der ehemalige Nationalspieler Rick Goldmann raunte als Co-Kommentator voller Bewunderung: "Dafür brauchst du Eier aus Stahl."

Gross selbst analysierte die beiden Schlüsselszenen weniger testosteronschwanger: "Wir hatten da nichts zu verlieren. Wir mussten irgendwie ein Momentum kreieren." Dass es eine 50:50-Entscheidung war, darüber konnte er hinterher sogar lächeln: "Wir haben das vor ein paar Wochen schon probiert gegen Berlin und da ist es in die Hose gegangen. Heute haben wir zwei Tore geschossen." Es bedurfte dann neben der Mannhaftigkeit des Trainers auch noch der Entschlossenheit des holzfällerbärtigen Lombarden Thomas Larkin, der den Puck zum 3:3 ins Tor drosch (55.), und einer Prise Glück, als Mannheims Kapitän Ben Smith in der Verlängerung den Schienbeinschützer von Nico Krämmer fand, von dem die Scheibe zum 4:3 ins Netz prallte (71.). Krämmer war es einerlei, "es zählt nur, dass wir weitergekommen sind".

Das Gefühl, diese Partie und damit die ganze, kurze Serie noch gedreht zu haben, sei "unbegreiflich, unbeschreiblich", sagte Krämmer. Welche Worte Pavel Gross in der zweiten Pause in der Kabine gewählt habe, bleibe "ein kleines Geheimnis". Möglicherweise waren es ja auch keine gar so gewählten Worte (siehe: Eier). Wie auch immer. "Wir wollten nicht, dass es schon vorbei ist", sagte Krämmer. Bereits an diesem Montag (20.30 Uhr) treffen die Adler nun auf die Grizzlys Wolfsburg, jenen Klub, mit dem Gross in zehn Jahren als Trainer dreimal das Finale erreichte - und dreimal verlor. "Wolfsburg ist eine gefährliche Mannschaft", sagte Gross. "Die Serie gegen Straubing hat Kraft gekostet. Wir müssen wieder geduldig sein." Damit das Drama einen neuen Anlauf nehmen kann.

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