Eishockeyspieler Moritz Müller:"Wir müssen was machen, nicht nur so vor uns hin vegetieren"

Moritz Mueller Koelner Haie beim Spiel Adler Mannheim gegen die Koelner Haie am 29 09 2017 in der; Müller

Moritz Müller.

(Foto: Eibner/imago)

Die DEL verschiebt den Saisonstart - für die Eishockey-Profis ist das ein Schock. Moritz Müller, Kapitän der Kölner Haie, beklagt die Ideenarmut der Liga in der Corona-Krise.

Interview von Johannes Schnitzler

Die Nachricht, dass die Deutsche Eishockey Liga (DEL) ihren von 18. September auf 13. November verlegten Saisonstart noch einmal verschiebt, auf einen nicht genannten Termin in der zweiten Dezemberhälfte, war einerseits erwartbar: 60 Millionen Euro fehlen den 14 Klubs nach Angaben der DEL-Geschäftsführung in der Corona-Pandemie für einen "verantwortungsbewussten" Spielbetrieb, wenn sie ihre Hallen nur zu 20 Prozent auslasten dürfen. Für die Profis war die Nachricht trotzdem ein Schock, für sie geht die Zeit des Bangens weiter. Moritz Müller, 33, Kapitän der Kölner Haie und der Nationalmannschaft sowie Vorsitzender der in diesem Jahr gegründeten Spielervereinigung Eishockey (SVE), vermisst Kreativität und Konzepte für die Lösung des Problems.

SZ: Herr Müller, wie viel Hoffnung haben Sie noch, dass es eine DEL-Saison 2020/2021 geben wird?

Moritz Müller: Ich kann und will mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass nicht gespielt wird. Und ich hoffe, dass das auch sonst keiner kann. Bei allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass wir das nicht hinbekommen sollen, wenn wir alle Optionen ausschöpfen. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass wirklich alle Register gezogen werden.

In einer Stellungnahme erkennt die SVE die "wirtschaftliche Argumentationslinie" der Klubs an, nennt deren Entscheidung aber auch enttäuschend: "Während nahezu alle Hallensportarten und Eishockey-Ligen in Europa gestartet sind, ist für die höchste deutsche Spielklasse aktuell keine Lösung in Sicht." Findet der Austausch zwischen SVE und DEL auf Augenhöhe statt?

Wir waren bei der Gesellschaftsversammlung am Freitag nicht dabei. Unser Geschäftsführer Alexander Sulzer steht im Austausch mit DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke und mit dem Aufsichtsrat. Aber das kann nur ein Anfang sein. Ich hoffe, dass man die Sorgen und Nöte der Spieler ernst nimmt. Nicht nur die SVE, alle Standorte müssen aktiv daran teilnehmen wollen, dass wir einen Spielbetrieb hinbekommen. Sonst sind das alles nur Lippenbekenntnisse.

Als die DEL die vergangene Saison am 10. März abgebrochen hat, wurde das als konsequent und vorausschauend gelobt. Die meisten Spieler sind seit Monaten in Kurzarbeit, alle mussten einem Verzicht auf mindestens 25 Prozent ihres Gehalts zustimmen. Trotzdem ist jetzt, sieben Monate später, der Stand derselbe wie im März. Die DEL sagt: Wir wollen spielen - aber wir können nicht. Reicht Ihnen das?

Vielleicht bin ich nicht nahe genug dran, um zu sehen, was noch passiert. Wenn ich mir die Situation bei uns in Köln anschaue: Wir haben die größte Halle mit 18 500 Zuschauern Fassungsvermögen, den größten Apparat. Wenn da nur 3500 Leute reindürfen, geht die Rechnung nicht auf, das ist klar. Dann haben wir auch das größte Minus. Bei uns in Köln habe ich aber das Gefühl, dass Tag und Nacht alles dafür getan wird, die Lücke zu schließen. Aber dass man als Liga jetzt, sieben Monate nach dem Abbruch der vergangenen Saison, sagt, die Rechnung geht immer noch nicht auf? Es kann doch nicht nur diese eine Lösung geben: 60 Millionen Euro oder mehr Zuschauer. Da fehlt mir die Alternative.

Was haben Sie gedacht, als die DEL-Gesellschafter am 21. September genau diese Forderung an die Politik gestellt haben - 60 Millionen und/oder höhere Zuschauerkapazitäten - und diese Forderung mit einer Zehn-Tage-Frist bis 2. Oktober verknüpft hat? Viele haben das als Ultimatum, manche als Erpressung aufgefasst.

Das habe ich nicht so empfunden. Ich finde es richtig, die Dinge klar zu benennen und auch entsprechend an die Politik zu adressieren. Denn auch sie steht für mich mit in der Verantwortung, wenn es darum geht, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen.

Ich habe gedacht: Okay, dann starten wir wohl nicht am 13. November. Man gibt sich Zeit bis 2. Oktober, um 60 Millionen zu finden, die man in dem halben Jahr davor nicht gefunden hat: Es war klar, dass das nicht funktionieren wird. Jetzt ist es allerhöchste Eisenbahn, endlich mal umzudenken.

Was schlagen Sie vor?

Vielleicht müsste man mit dem DEL-Sender Magentasport reden, vielleicht mit den Öffentlich-Rechtlichen. Dort könnte eventuell in den dritten Programmen im Wechsel etwas übertragen werden: eine Woche Handball, eine Woche Basketball, eine Woche Eishockey. Das ist nur eine Idee, aber ist das passiert? Ich weiß es nicht. In Schweden bekommt jeder Klub vier Millionen Euro vom Fernsehen. Bei uns sind es 290 000. Klar, in Schweden ist Eishockey Sportart Nummer eins. Aber Schweden hat zehn Millionen Einwohner, wir haben 80 Millionen. Wir haben nach dem Fußball die meisten Zuschauer. Wir haben ein sehr gutes Produkt, das top übertragen wird. Aber wir müssen das auch besser vermitteln.

Um unabhängiger vom Hallenzuschauer zu werden?

Wir sind ein zuschauerfinanzierter Sport. Das geht bei den Tickets los über das Merchandising bis zur Bratwurst. Wir müssen uns ein bisschen breiter und gesünder aufstellen. Aber wir bleiben immer in unserer Eishockey-Blase. Das ist unser Problem. Wir müssen raus aus unserer Schublade und dahin kommen, wo zum Beispiel der Handball ist. Die bekommen es hin.

Handball war international erfolgreicher als Eishockey und hat mehr Aktive.

Wir haben 2018 bei Olympia die Silbermedaille geholt, wir waren bei den vergangenen vier Weltmeisterschaften dreimal im Viertelfinale, was für deutsche Verhältnisse sehr, sehr gut ist. In Leon Draisaitl ist erstmals ein Deutscher zum wertvollsten Spieler der NHL gewählt worden, in dieser Woche könnten beim NHL-Draft erstmals drei deutsche Talente in der ersten Runde gezogen werden. Vieles läuft gerade gut. Wir haben in den vergangenen Jahren viel Schwung aufgenommen. Marco Sturm (von 2015 bis 2018 Bundestrainer, d. Red.) und Stefan Schaidnagel (DEB-Sportdirektor) haben da viel angeschoben. Aber unsere Außendarstellung könnte besser sein.

"Wir spielen! Ich hoffe es zumindest"

Einer der Vorschläge aus Fankreisen war: mehr junge deutsche Spieler, Kader verkürzen, weniger Importspieler, Geld sparen. Die Klubs argumentieren dagegen: Unsere Kader sind seit Dezember voll besetzt. Sobald wir spielen, entstehen uns die vollen Kosten.

Die Kader sind nicht ganz voll. Es hat auch im Sommer eine ganze Reihe von Nachverpflichtungen gegeben. Aber wären die Vereine, die sagen, dass sie unter den gegebenen Voraussetzungen nicht spielen können, nicht näher am Ziel, wieder zu spielen, wenn man auf Neuverpflichtungen verzichtet? Dass davon die Nationalmannschaft profitieren kann, wenn junge Spieler die Chance bekommen, das hat man in der jüngeren Vergangenheit ja gesehen.

Kurzfristig bleibt das größte Problem dennoch: Zu wenige erlaubte Zuschauer ist gleich zu wenig Geld.

Die Politik untersagt im Moment unser Geschäftsmodell, wegen Corona, das ist schon so. Aber ich kann mich doch nicht immer nur daran aufhängen, wenn Plan A nicht funktioniert. Ich glaube, es liegt weniger am Wollen. Alle wollen spielen. Aber haben wir wirklich alles dafür getan?

Haben Sie Angst, dass Eishockey langfristig Schaden nimmt?

Bevor man die Saison absagt, wäre es Aufgabe der Vereine, noch mal mit den Spielern zu sprechen. Ich habe auf jeden Fall Angst. Ich habe jetzt seit März kein Eishockey mehr gespielt. Am Wochenende habe ich mir im Fernsehen das Turnier in Dresden angeschaut. Da habe ich gemerkt, dass ich ganz unruhig werde. Ich will doch nicht eineinhalb Jahre nicht spielen. Wir sprechen in der Kabine, wir sagen, wir müssen was machen, nicht nur so vor uns hin vegetieren. Wir wollen doch weiter nach oben, nicht nach unten. Deshalb finde ich es ein sehr gutes Zeichen, dass der Deutsche Eishockey-Bund den Deutschland Cup (5. bis 8. November) stattfinden lassen will.

Bundestrainer Toni Söderholm sagt, eine Absage der DEL-Saison wäre "katastrophal", schon jetzt sei die Lage der Nationalmannschaft im Hinblick auf die WM 2021 und Olympia 2022 sehr schwierig. Was glauben Sie: Wird im Dezember DEL-Eishockey gespielt?

(überlegt lange) Die Frage müsste man der Liga stellen. Aber ich sage: Wir spielen! Ich hoffe es zumindest.

Zur SZ-Startseite
Stanley Cup 2020: Steven Stamkos von den Tampa Bay Lightning stemmt den Pokal in die Höhe

Stanley-Cup-Sieger Tampa Bay
:Kraft gezogen aus der Blamage

Tampa Bay Lightning löst mit dem Stanley-Cup-Gewinn alle Versprechen ein - nach einer Peinlichkeit in der Vorsaison, die den Klub tief prägte.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: