Deutsche bei der Schwimm-WM:Drei Kugeln Eis sind sicher

Die deutschen Schwimmer haben bei der WM in Kasan nur geringe Medaillenchancen - dafür bieten sie witzige, traurige und wütende Geschichten. Ein Kaderrundgang.

Von Claudio Catuogno

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Ein Kaderrundgang

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Quelle: dpa

Der bekannteste deutsche Schwimmer, die bekannteste deutsche Schwimmerin? Da fällt vielen bis heute der Name van Almsick ein. Die "Franzi" schwimmt aber leider nicht mehr mit, wenn sich die internationale Elite alle zwei Jahre zu ihrer WM versammelt. Und auch Britta Steffen, die Olympiasiegerin von Peking 2008, zieht inzwischen ein Studium in Human Resources Management sowie Kung-Fu-Kurse dem Kachelzählen vor. Trotzdem hat der Deutsche Schwimm- Verband (DSV) ein beachtliches Kontingent an Beckenschwimmern nach Kasan entsandt, die dort seit Sonntag - tja: um die Medaillen mitschwimmen? Das wäre bei fast allen der 13 Frauen und 18 Männer eine kühne Erwartung. Ein paar beachtenswerte Charaktere sind aber dennoch am Start. Eine subjektive Auswahl von B wie Biedermann bis V wie Vogel.

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"Süß, janz uffjeregt"

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Quelle: Martin Schutt/dpa

Paul Biedermann, 28, geboren in Halle (Saale), aufgewachsen in Halle (Saale) und eine Zeitlang Praktikant der Stadtwerke Halle (Saale) ist die unumstrittene Leitfigur im DSV-Team. Motto: Biedermann, geh du voran! Unvergessen sind seine WM-Titel über 200 und 400 Meter Freistil, beide in Weltrekord-Zeit, 2009 in Rom - auch, weil sie das größte Erdbeben auslösten, das je ein Praktikant der Stadtwerke Halle (Saale) zu verantworten hatte: Michael Phelps (18 Olympiasiege) machte dem Weltverband Fina damals klar, dass er nicht mehr mitzuschwimmen gedenke, wenn nicht sofort die Hightech-Anzüge verboten würden, von denen Biedermann besonders profitierte. Seitdem wird wieder in Badehose geschwommen. Unvergessen auch, wie ein schüchterner Biedermann Ende 2009 in Baden-Baden den Titel "Sportler des Jahres" entgegennahm und die Berlinerin Britta Steffen im Publikum "Süß, janz uffjeregt" murmelte. Kurz darauf waren die beiden das Traumpaar des deutschen Schwimmens. Bei der WM 2011 in Shanghai gewann Biedermann noch mal drei Bronzemedaillen, zwei Jahre später in Barcelona fehlte er wegen Krankheit. Nach Russland ist er mit der Weltjahresbestzeit über 200 Meter Freistil gereist (1:45,60 Minuten). Hat seither viel zu tun, die Erwartungen zu bremsen - ein eher mauer Auftritt am Sonntagmorgen in der 4x-100- Meter-Freistil-Staffel dürfte ihm wenigstens in dieser Hinsicht entgegenkommen. Weil auf den 200 Metern ein paar seiner Rivalen fehlen, zählt Biedermann aber wohl zu den wenigen DSV-Schwimmern mit Aussichten auf eine Medaille. Erreichte das Halbfinale souverän.

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Die durch die Hölle ging

Dorothea Brandt

Quelle: David Ebener/dpa

Dorothea Brandt, 31, geboren in Bremervörde/Niedersachsen, hat bisher weder Weltrekorde noch große Titel gesammelt. Das liegt unter anderem daran, dass sie in der Vergangenheit viel Pech hatte: Brandt verpasste die Spiele in Peking 2008 und London 2012. Wechselte dann von Berlin nach Essen und verkörpert seither den Lieblings-Hashtag des Chef-Bundestrainers Henning Lambertz (#Fokus) so radikal wie niemand sonst. Nämlich so radikal, dass sie sich auf die WM kaum fokussiert hat - legte den #Fokus gleich auf Rio 2016, wo sie eine Medaille über 50 Meter Freistil gewinnen will. Absolvierte dafür im Frühsommer ein Trainingsprogramm, das inzwischen unter dem Arbeitstitel "Vier Wochen Hölle" berüchtigt ist (siehe SZ vom 1. August). Brandt ist außerdem, Stichwort #Fokus, inzwischen als Mannschaftssprecherin zurückgetreten, damit sie nicht wieder die ganze Woche lang die Tränen der anderen trocknen muss. Um es mal so zu sagen: Es gibt ja immer eine Menge Tränen zu trocknen, wenn eine DSV-Reisegruppe auf die Realitäten des Weltschwimmens trifft. Brandt ist dem DSV aber auch entgegengekommen: Am Sonntag schwamm sie - obwohl sie das nie mehr wollte - in der 4x-100-Meter-Freistil-Staffel mit, die sich als 13. dennoch knapp nicht für Rio qualifizieren konnte. Nötig wäre Rang zwölf gewesen. Pech.

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Volle Rotze

Schwimm-WM - Schwimmen

Quelle: Friso Gentsch/dpa

Marco di Carli, 30, geboren in Löningen bei Cloppenburg, ist das Stehaufmännchen in der Mannschaft. War vor elf Jahren schon im Olympia-Team von 2004 (hat also Franzi Schwimmen sehen und gleich mal mitgekriegt, wie das mit dem Tränentrocknen funktioniert). Di Carli selbst ist aber nicht von der weinerlichen Sorte. Wo er auftaucht, ist ein flotter Spruch nicht weit. Während andere versuchen, alles zu geben, schwimmt di Carli "volle Rotze". Aber, deutsche Schwimmerkrankheit: Meistens kommt was dazwischen. Als 2010 die Freundin auszog, schlug di Carli zu. Aus Wut. Gegen den Schrank. Die Freundin kam deshalb nicht zurück, aber die Hand kam in Gips. 2012 war dann plötzlich di Carli zurück, mit deutschem Rekord und Weltjahresbestzeit über 100 Meter Freistil. Bei den London-Spielen wurde er trotzdem nur 18., Diagnose: volle Rotze übermotiviert. Und als es 2013 in Barcelona nur für Platz 31 reichte, stöhnte di Carli: "Wer gibt mir 'ne Knarre und erschießt mich?" Fand, dass das ein guter Zeitpunkt wäre, um aufzuhören, und stellte fest, dass das viele im DSV genau so sahen. Machte also weiter. Vor allem als Staffel-Schwimmer immer noch gerne gesehen: Am Sonntagmorgen, als das 4x-100-Meter-Freistil-Quartett als Elfte das Finale verpasste, aber die Olympia-Qualifikation schaffte, war er sogar schneller als Biedermann.

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Drei Kugeln in der Waffel

Swimming - 15th FINA World Championships: Day Nine

Quelle: Adam Pretty/Getty Images

Steffen Deibler, 28, geboren in Biberach, ist neben Biedermann der einzige im Team, der schon mal Weltmeister war, wenn auch mit einer kleinen Fußnote. Lieferte bei der WM 2013 über 90 Meter Schmetterling das Rennen seines Lebens ab. Leider kommt aber nach 90 Metern kein Beckenrand, nach 100 Metern war Deibler nur noch Vierter. Ob er in Kasan um eine Medaille wetteifert, sei es über 90 oder 100 Meter Schmetterling, ist hingegen fraglich: War im Frühjahr krank. Und wird neuerdings auch noch vom jüngeren Bruder daran erinnert, dass es ein Leben nach dem Leistungssport gibt: Markus Deibler, 25, trat im Winter neun Tage nach seinem Weltrekord zurück und betreibt lieber die Eisdiele "Luicella's" in Hamburg. Das hat auch etwas Tröstliches: Wenn Steffen in Kasan wieder keine Medaille gewinnt, kriegt er nach der WM drei Kugeln in der Waffel gratis: Gurke-Melone, Erdnuss mit Karamell-Salz-Toffee und Ziegenmilch mit Mandel-Tannenspitzensirup.

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Die andere Franzi

Franziska Hentke

Quelle: Martin Schutt/dpa

Franziska Hentke, 26, geboren in Wolfen/Sachsen-Anhalt, räumt gerade auf. Und zwar mit dem Vorurteil, dass sich die deutschen Schwimmer am liebsten die Strecken aussuchen, die nicht so anstrengend sind. Ihre Disziplin: 200 Meter Schmetterling - puh! Da kommt selbst manch ambitionierter Hobby-Schwimmer nur 20 Meter weit. Aber der Schmetterling Hentke, der in Magdeburg das Flattern trainiert, hat das Larvenstadium hinter sich und kürzlich eine bemerkenswerte Zeit hingelegt: 2:05,26 Minuten, deutscher Rekord - 1,19 Sekunden schneller als die sechs Jahre alte Bestmarke von Annika Mehlhorn. Und die schwamm damals noch in einem der Hightech-Anzüge, die wegen eines Praktikanten der Stadtwerke Halle (Saale) bald darauf verboten wurden. "Sprachlos", war Hentke auch wegen des Zusatzes WJB. Weltjahresbestzeit. Also: Medaillenkandidatin? "Es wäre schon klasse, egal was dann rauskommt, wenn sie die Zeit in Kasan wiederholt", sagt der Chef-Bundestrainer Lambertz. Und, ach ja: Die neue Franzi des deutschen Schwimmens versteht sich als eines ganz sicher nicht: als neue Franzi des deutschen Schwimmens. Wer in Magdeburg für die 200 Meter Schmetterling trainiert, hat für den ganzen Firlefanz, der die alte Franzi durchs Leben begleitet hat, auch gar keine Zeit.

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Vegan mit Fußnote

Schwimmen - Kurzbahn DM

Quelle: Bernd Thissen/dpa

Marko Koch, 25, geboren in Darmstadt, isst seit einiger Zeit Folgendes nicht mehr zum Frühstück: Brot, Cornflakes, Joghurt, Kuhmilch. Was bleibt da noch übrig, mal abgesehen von Mandel-Tannenspitzensirup natürlich? Koch sagt: "Reiswaffeln mit Erdnussbutter, und ab und zu eine Banane obendrauf." Das ist gerade der heißeste Ernährungstipp im Schwimmen (wobei man davon ausgehen muss, dass bei so einer WM manche auch noch was anderes einwerfen). Jedenfalls führt Koch seine jüngsten Erfolge auch darauf zurück, dass er seine Ernährung umgestellt hat: Er war 2013 in Barcelona der einzige deutsche Beckenschwimmer mit Medaille (Silber 200 Meter Brust), bei der EM 2014 in Berlin war er der einzige deutsche Einzel-Europameister. Für Kasan ist er neben Biedermann der heißeste Medaillentipp. Sein Geheimnis, außer, klar, hartem Training? Er ernährt sich inzwischen vegan, wobei auch hier eine Fußnote angebracht ist: "vegan mit Fleisch". Und Mama kocht glutenfrei.

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Der Rettungsschwimmer

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Quelle: Martin Schutt/dpa

Florian Vogel, 20, geboren in Bayreuth, war auch vor dem 24. Juni schon eine der spannendsten Figuren: als neuer deutscher Meister über 400 und 800 Meter - und als einer, der schon mal die Klappe aufreißt, wenn auch nur etwa 20 Prozent so weit wie Marco di Carli. Aber nun wird er diese Geschichte nicht mehr los: Wie er am 24. Juni in München am Isar-Ufer stand für ein Fotoshooting - und wie hinter ihm plötzlich eine junge Frau zu ertrinken drohte, die wohl über ein Geländer gefallen war. Vogel sprang in den 14 Grad kalten Fluss, hakte die bewusstlose Frau unter und zog sie ans Ufer. Im Frühstücksfernsehen wurde er als "Held der Woche" gefeiert - und wäre danach beinahe selbst außer Tritt geraten. Sein Trainer Olaf Bünde hat ihn dann aber wieder mit Training beschäftigt, wenn auch allenfalls mit vier Wochen Vorhölle. In Kasan war Vogel am Sonntag der zweite Deutsche im WM-Becken. (Die erste war Alexandra Wenk, 20, sie schwamm im Vorlauf persönliche Bestzeit über 100 Meter Schmetterling und am Abend im Halbfinale noch mal schneller: 57,77 Sekunden, deutscher Rekord, womit sie sich auch fürs Finale am Montag qualifizierte). Vogel? Ging seinen Vorlauf über 400 Meter Freistil volle Rotze an, aber am Ende brach er ein und verpasste als Neunter das Finale. Es gab Tränen zu trocknen.

© SZ.de/ska
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