Süddeutsche Zeitung

Deutsche Basketballer bei der EM:Krach zwischen Chef und Dirigent

  • Die deutschen Basketballer verlieren ihr vorletztes Gruppenspiel gegen Italien mit 82:89 und stehen bei der EM vor dem Aus..
  • NBA-Profi Dennis Schröder greift öffentlich Trainer Chris Fleming an.
  • Hier geht es zur Tabelle der deutschen Gruppe.

Von Jonas Beckenkamp, Berlin

Basketball kann brutal sein, in kaum einem anderen Sport pendelt das Momentum zwischen Sieg und Niederlage so gnadenlos hin und her. Hier flutscht ein Ball durch den Korb, dort kullert er heraus - das Schicksal entscheidet sich binnen Sekunden. Wer lange geführt hat, kann am Ende trotzdem bitter verlieren. Als Dennis Schröder in dieser Herbstnacht in Berlin durch die Katakomben der Arena an der Warschauer Straße schlurfte, konnte jeder sehen, wie sehr ihn das Ende der EM-Vorrundenpartie gegen Italien mitgenommen hatte. Ihm ist vermutlich ein Teil seines Sportlerherzens zerbrochen.

Es ist zu hoffen, dass er dieses 82:89 (42:42, 76:76) nach Verlängerung gegen Italien eines Tages abhaken kann. Der Aufbauspieler der deutschen Nationalmannschaft zitterte am ganzen Körper, während er versuchte, die bislang prägendste Pleite seiner Karriere zu verarbeiten. Er hatte viele Dinge richtig gut gemacht, hatte 29 Punkte erzielt, sieben Vorlagen verteilt - und doch hatte es wieder nicht gereicht.

Die dritte Niederlage in Serie, das Achtelfinale weit entfernt. Diese Gefühlszerrissenheit gilt es im Hinterkopf zu behalten, um zu beurteilen, was dann geschah: Schröder setzte vor laufenden Kameras zu einer Generalanklage gegen seinen Coach an, wie sie nur selten in der Öffentlichkeit vorkommt.

"Das war nicht smart"

"Ich hab' das nicht verstanden. Das war nicht smart", sagte der NBA-Mann aus Atlanta mit finsterem Blick - er meinte die Taktik von Bundestrainer Chris Fleming. Es ging um die entscheidenden Szenen der regulären Spielzeit, als die DBB-Auswahl durch einen Korbleger Schröders gerade 75:72 in Führung gegangen war. Drei Punkte sind 27 Sekunden vor Schluss ein passabler Vorsprung, doch mit einem Distanzwurf konnten die Italiener den Spielstand ausgleichen.

Also wies Fleming seine Leute in einer Auszeit an, ein Foul zu begehen, um den Gegner an die Freiwurflinie zu schicken. Zwei Punkte zu kassieren war ihm lieber, als einen Dreier der versammelten Gallinaris, Bellinellis und Gentiles zu riskieren - und damit den Ausgleich.

Schröder hielt das für einen schweren Fehler. "Ich habe dem Coach davon abgeraten, damit wir unserer Defense vertrauen", kritisierte der Spielmacher, der den letzten Angriff der Italiener lieber mit fairen Mitteln gestoppt hätte. Den von Fleming befürchteten Dreier hätten diese ja auch erst mal treffen müssen. Alessandro Gentile verwertete schließlich die Freiwürfe, während im Gegenzug Schröder nach einem Foul der Italiener einmal von der Linie scheiterte. Diesen Fehlwurf nutzte Italiens Nervenkönig Danilo Gallinari (25 Punkte), indem er für seine Mannschaft per Sprungwurf das 76:76 herstellte. Ein sicher geglaubter Sieg war den Deutschen so abhanden gekommen - es ging in die Verlängerung, weil Schröder auch den allerletzten Versuch nach einem Alleingang vergab.

Als Fleming mit den Vorwürfen seines Schützlings konfrontiert wurde, war ihm die Verärgerung anzusehen. Taktikkritik direkt ins Fernsehen? Das wollte er sich nicht gefallen lassen. "Ich finde die Taktik nicht verkehrt", konterte er - und schob mit hochgezogenen Augenbrauen hinterher: "Wenn er seinen Freiwurf oder den Korbleger trifft, ist das Spiel zu Ende. Der Freiwurf soll ja der leichteste Wurf im Basketball sein." So viel Süffisanz muss nun Schröder wegstecken.

Das Drama erreichte seinen Höhepunkt in der Overtime, als die Deutschen nichts mehr zustande brachten, während die Italiener weitere Fehler von Schröder und auch von Dirk Nowitzki (14 Punkte) zum finalen Umschwung nutzten. Nowitzki schien von der Taktik ebenso nicht ganz überzeugt - er packte seine Sicht aber in diplomatischere Worte. Zudem offenbarte sich ein gedanklicher Unterschied zwischen der NBA und dem hiesigen Spiel.

Der Abend endet im Streit

"Wir sind drei Punkte vorn und foulen - wie man das in Europa halt macht", meinte der 37-Jährige. "Ich weiß, dass wir es in der NBA nicht machen. Aber in Europa macht das jeder, wir haben das auch in den letzten Wochen so gemacht." Dass Flemings Anweisung den Erfolg gekostet hatte, wollte Nowitzki nicht bestätigen. Nicht öffentlich. Nicht auf Schröders Art. Der deutsche Kapitän, der erneut einige Male daneben zielte, bewahrte schließlich seine Integrität: "Das funktioniert auch oft. Das Problem ist aber: Du musst beide Freiwürfe treffen." So endete ein frustrierender Abend der deutschen Basketballer im offenen Streit - und es ist nicht auszuschließen, dass Fleming Dennis Schröder vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Spanien an diesem Donnerstag (17.45 Uhr Liveticker auf SZ.de) sogar sanktioniert.

Er steht vor dem Dilemma, seinen besten Spieler entweder auf die Bank zu setzen oder seine Autorität öffentlich in Frage gestellt zu sehen - denkbar ist, dass der 45-Jährige die Sache mit ein paar deutlichen Ansagen intern zu klären versucht. Er kann im alles entscheidenden Duell mit den Spaniern um den Einzug ins Achtelfinale kaum auf Schröder verzichten. Zudem werden sie beim DBB darauf hinwirken, ihr Gesicht der Zukunft nicht auf lange Sicht zu vergraulen.

So blieben die einzigen Worte der Versöhnung an diesem aufgeladenen Abend wieder Nowitzki überlassen. "Dennis war fantastisch heute", sagte der Würzburger, "ich bin stolz auf die Mannschaft." So deutlich hatte der alte Mann von den Dallas Mavericks seine jungen Kollegen bei dieser EM noch nie gelobt. Nowitzki hat sie eben alle schon erlebt: die Wellentäler dieses Sports. Er weiß, wie zerbrochene Basketballherzen wieder zusammenwachsen.

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