Deutsche Abwehrdebatte:Das zweite war Abseits

Warum Jürgen Klinsamnn glaubt, dass seiner Hintermannschaft gegen Costa Rica gerade mal zwei Abwehrfehler passiert sind.

Christof Kneer

Fußball ist ja ein relatives Geschäft, es kommt meistens nur darauf an, wie man rechnet. Zum Beispiel hat am Montag der Assistent Joachim Löw eine Rechnung von verblüffender Schönheit präsentiert.

Er hat Costa Ricas Torchancen im Eröffnungsspiel durchgezählt und ist bei "2" gelandet. Am Dienstag ist auch Jürgen Klinsmann unter die Mathematiker gegangen, er hat sogar mit zwei Zahlen hantiert.

"Man muss sehen, dass gegen Costa Rica gerade mal zwei Abwehrfehler passiert sind", hat er vor dem Abflug zum Polen-Spiel nach Dortmund gesagt, "aus denen dann zwei Tore entstanden sind."

"Übertriebene Abwehrdebatte"

Oh heilige Relativitätstheorie, was soll uns das denn sagen jetzt? Ist das gut, wenn der Gegner nur zwei Chancen hat? Oder ist das nicht so gut, weil es ja auch null Chancen sein könnten?

Und ist es nicht eher ziemlich schlecht, wenn aus zwei Chancen zwei Toren fallen, weil das im Umkehrschluss bedeutet, dass 100 Prozent aller Abwehrfehler mit einem Tor bestraft werden?

Man weiß nicht genau, ob Klinsmann selber an seine Rechnung glaubt oder ob sie nur ablenken soll von der aktuellen Debatte, die seine Elf erdulden muss. Für "ein bisschen übertrieben" hält der Bundestrainer die Abwehrdebatte, was ein bisschen untertrieben ist.

Auch im Spiel gegen Polen wird die Welt wieder Deutschlands Defensive in den Blick nehmen, weil potenzielle Gegner längst potenzielle Schwachstellen auskundschaften. Inzwischen weiß die Welt, wie Deutschland spielt, und sie wird gegen Polen kaum Überraschungen erleben.

Der verunsicherte Arne Friedrich darf sich wohl weiter versuchen, so wird wohl einzig Tim Borowski aus der Elf kippen, dessen Platz Michael Ballack übernimmt.

Löw-Jargon

Deutschlands Abwehr wird weiterhin versuchen, hoch zu stehen, wie das im Löw-Jargon heißt, sie wird also weiterhin aufrücken und auf Abseits spielen, ohne auf Abseits spielen zu wollen, und mit Spannung wird erwartet, wie sich Ballacks Rückkehr auf die Disziplin im Mittelfeld auswirkt.

"Aber auch wir Stürmer müssen schneller hinter den Ball kommen, das war gegen Costa Rica nicht optimal", sagt Miroslav Klose. Lerning by doing, das ist das Gebot der Stunde im deutschen Lager, und es trifft sich gut, dass die leichte Vorrundengruppe Tests im laufenden Spielbetrieb möglich macht.

Torwart Lehmann sind immerhin schon zwei Gründe eingefallen, warum die Abwehr gegen Polen besser halten wird. "Erstens sind wir uns unserer Fehler bewusst, und zweitens haben wir jetzt wieder vier, fünf Tage Zeit zum Trainieren gehabt."

Kein schlechtes Argument, aber mit Mathematik geht alles besser. "Wir haben eigentlich nur ein Tor kassiert", rechnet Borowski vor, "das zweite war Abseits."

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