Deutsche A-Nationalelf und U21:Spezialisten gesucht!

Viele Mittelfeldspieler und unzählige Flügelflitzer, aber kaum Stürmer und nirgendwo Linksverteidiger: Die Kader der A-Nationalelf und der U21 zeigen, wie der deutsche Fußball zurzeit tickt. Bundestrainer Joachim Löw und sein Kollege Rainer Adrion befinden sich auf der Suche nach Nischenprofis - und nach Konkurrenz für Mario Gomez und Miroslav Klose.

Christof Kneer

Man muss leider sagen, dass Marco Tardelli den deutschen Fußball gut kennt. Er weiß, wo die Lücken sind, er wusste das schon 1982. Im WM- Finale kam der Ball zu Tardelli, er stand plötzlich frei, aber er musste sich beeilen, von rechts kamen Bernd Förster und Manni Kaltz angerauscht. Tardelli wollte schießen, er rutschte, es kam eine Art Schussgrätsche dabei heraus, und während er auf dem Popo landete, sauste der Ball vorbei an Torwart Schumacher ins Eck - 69. Minute, 2:0. Kurz darauf war Tardelli Weltmeister: Italien drei, Deutschland eins.

Deutschland habe Stärken auf den offensiven Flügeln und im zentralen Mittelfeld, nicht aber in der Defensive, hat Tardelli gerade gesagt, und er meinte damit nicht Pierre Littbarski, Paul Breitner oder die Förster-Brüder. Mit 1982 hat Tardelli nichts mehr zu tun, ihn interessiert jetzt 2012. Er unterstützt jetzt einen Mann, der 1982 auch schon Trainer war, bei Juventus Turin. Heute trainiert Giovanni Trapattoni, 73, die irische Nationalelf und Tardelli, 58, ist sein Spielbeobachter und Co-Trainer.

Tardelli hat es geschafft, den deutschen Fußball in einem einzigen Satz schlüssig zusammenzufassen. Stärken auf den offensiven Flügeln und im zentralen Mittelfeld, nicht aber in der Defensive - selten hat sich so eine Analyse so komprimiert überprüfen lassen wie in dieser Woche, in der die beiden obersten DFB-Auswahlteams fast parallel ihre Spiele bestreiten.

Während Joachim Löws A-Elf am Freitag in Irland Punkte für die WM-Qualifikation sammeln will, hat die U21 "ein gefühltes Champions-League-Halbfinale" vor sich, wie Trainer Rainer Adrion sagt. "Und statt dem Finale wartet im Mai die EM in Israel." Um dort anzukommen, muss Adrions Team erst noch in Hin- und Rückspiel die Schweiz bezwingen (Hinspiel am Freitag in Leverkusen).

Aber das sollte gelingen mit einer Elf, in der Bundesliga-Spitzentalente wie Lewis Holtby und Moritz Leitner stehen, oder? Wobei: Wer spielt Linksverteidiger in der U21? Und Innenverteidiger? Und Mittelstürmer, wer war das noch mal?

Linksverteidiger in der U21 spielt Tony Jantschke aus Mönchengladbach, ein Rechtsverteidiger, der Sechser gelernt hat. Innenverteidiger sind der Mainzer Jan Kirchhoff (Kategorie: Bundesliga-Spitzentalent) und Lasse Sobiech, ein riesenhafter Mensch, der zum Erwerb von Spielpraxis von Dortmund nach Fürth ausgeliehen wurde, wo er nun auf der Bank herumsitzt. Und Mittelstürmer spielt wohl der Nürnberger Sebastian Polter, der Mittelstürmer gelernt hat, von Experten aber noch nicht auf dem Niveau veranschlagt wird, das man als Auswahlspieler braucht.

Andererseits: Wen soll er da vorne denn sonst bringen, der Rainer Adrion?

A-Team und U21 gleichen sich

Löw und Adrion kennen sich gut und lange, vor 15 Jahren war Adrion mal Löws Tardelli beim VfB Stuttgart, und wer die beiden Trainer nebeneinander sieht, könnte meinen, der eine (Adrion) sei der ältere Bruder vom anderen (Löw). Insofern ist es ein feiner Zug vom Schicksal, dass es den beiden Brüdern im Geiste jetzt auch zwei blutsverwandte Mannschaften anvertraut hat.

Germany's Miroslav Klose kicks the ball during a training session at the Aviva Stadium in Dublin

Spezialist im Sturm: Miroslav Klose. Doch wo ist die Konkurrenz?

(Foto: REUTERS)

A-Team und U21 gleichen sich bis aufs Haar, sie können die gemeinsamen Erzeuger (DFB-Stützpunkte und Bundesliga-Leistungszentren) nicht verleugnen. A-Team und U21 sind eine Art Bender-Zwillinge unter den Fußballmannschaften. Beide Teams haben neben einem Mannschaftsbus voller moderner Torhüter auch spielstarke Mittelfeldstrategen und rasante Flügelspieler im Überfluss; beide Kategorien würden bei Löw für mehrere Mannschaften reichen, und auch Adrion hat genügend Personal, um auf den Flügeln den verunglückten Boris Vukcevic und den verletzten Patrick Herrmann sowie in der Zentrale den erkrankten Rode zu ersetzen.

An diesem Freitag wird eine Art Gesamtbild des deutschen Fußballs vorgelegt, die beiden Kader zeigen, wie der deutsche Fußball tickt. Es ist derselbe Luxus, aber auch derselbe Mangel, den Löw und Adrion verwalten. Beide leiden unter akuter Unterdeckung auf der Linksverteidiger-Position und im Sturmzentrum, wo Löw seit mehreren Jahrzehnten auf einen Herausforderer für Klose und Gomez wartet. Und in der Innenverteidigung ist, vor allem in der U21, gerade so das Nötigste vorhanden.

A-Elf und die U21 sind sich in ihrer Kaderstruktur so ähnlich, dass sich der Glaube an Zufall verbietet. "Das Muster ist ja unverkennbar", sagt Robin Dutt, der Sportdirektor des DFB, "und das Muster beschränkt sich nicht nur auf A-Elf und U21, es zieht sich auch durch die Bundesliga." Mit dem kleinen Unterschied, dass Ligatrainer sich im Zweifel mit einem Transfer auf dem internationalen Markt behelfen.

Robin Dutt war gerade mit der U17 unterwegs, er hat dort mehr Talente gesehen als eine Zeitungsspalte passen, aber die meisten davon waren "diese modernen Mischtypen", wie Dutt sie nennt. Spieler wie Götze, Holtby oder Leitner, die auf der Sechs, der Acht, der Zehn oder auf dem Flügel spielen können. "Durch die hervorragende technische Ausbildung sind auf diesen Positionen Qualität und Quantität explodiert", sagt Dutt, "aber der Erfolg bringt immer auch neue Aufgabenstellungen mit sich."

Er meint: Weil hierzulande mehr Mischtypen wachsen als man in einer Elf unterbringen kann, ist das Leben für Spezialisten schwerer geworden. Ein Jugendtrainer, der für drei Mittelfeldpositionen fünf herausragende Talente hat, neigt dazu, die beiden überzähligen als Linksverteidiger und hängende Spitze aufzustellen - was den echten Linksverteidiger und den echten Stürmer aus der Mannschaft drängt.

"Ein Luxusproblem" sei das, sagt Dutt, aber er weiß, dass es sein Job ist, nun die Ausbildung zu überprüfen. Vielleicht muss er anregen, dass deutsche Juniorenteams künftig mit zwei Spitzen spielen, um mehr Stürmer auszubilden, vielleicht muss er anordnen, dass hinten links immer ein echter Linksverteidiger spielt. "In zwei Jahren wird so was aber nicht gehen", sagt er, "in fünf Jahren kann man mal schauen, ob der Dutt was richtig gemacht hat." Am Freitag sollten sich Löw und Adrion sicherheitshalber noch anders behelfen.

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