Deutsch-türkische Fußballer:Wenn zwei Nationen an einem 17-Jährigen zerren

Deutsch-türkische Fußballer wie Mesut Özil oder Ömer Toprak müssen sich entscheiden: Spielen sie für Deutschland oder die Türkei? Serdar Tasci hat sich auf die deutsche Nationalmannschaft festgelegt - doch sein Fall zeigt, wie schwierig diese Entscheidung ist.

Christof Kneer

Serdar Tasci ist kompakt gestanden, er hat gut verschoben und natürlich ein paar schöne Pässe nach vorne gespielt. Es war eine souveräne Vorstellung alles in allem, aber der Bundestrainer hat es nicht gesehen. Joachim Löw war in Mainz, in einem schönen Hotel am Rheinufer, dort hat die deutsche Nationalelf die Nacht vor dem Abflug nach Istanbul verbracht. Serdar Tasci war in Bonlanden, dort spielte er mit dem VfB Stuttgart gegen den ortsansässigen Oberligisten.

Serdar Tasci

Seit über einem Jahr ist Serdar Tasci nicht mehr im Trikot der deutschen Nationalmannschaft aufgelaufen.

(Foto: imago sportfotodienst)

Beziehungsweise: Er spielte mit dem, was vom VfB noch übrig war. Die meisten Kollegen sind in dieser Woche zu ihren Nationalteams gereist, Tasci war einer von nur vier Profis auf dem Feld. Der VfB siegte 2:1, die Tore erzielten Spieler namens Benyamina und Aschauer.

Ich hab' mich jetzt ein Jahr dran gewöhnen können, dass ich nicht mehr bei der A-Elf dabei bin", sagt Serdar Tasci, "aber ist es immer noch ein seltsames Gefühl, wenn die Kollegen auf Reisen gehen und man selbst zu Hause bleibt."

Serdar Tasci und die deutsche Nationalelf, das ist die eine Geschichte. Sie erzählt von einem talentierten, noch etwas fehlerhaften Verteidiger, der mangels Konkurrenz früh in Löws Elf aufrückt und nach ein paar Fehlern erst mal wieder verschwindet. Und der jetzt, da er praktisch fehlerfrei spielt, nicht mehr zurückfindet, weil es von Konkurrenten plötzlich nur noch so wimmelt. "Ex-Nationalspieler klingt blöd", sagt Tasci, "das klingt, als hätte ich meine Karriere beendet. Ich bin 24, ich würde mich schon noch als Nationalspieler bezeichnen."

Die andere Geschichte, die man mit Tasci erzählen kann, ist hoch aktuell, und sie eignet sich perfekt, um ein brisantes Thema ins Bild zu setzen. Die Reise nach Istanbul wird ja von jenem konspirativen Personalgeraune begleitet, das sich immer dann verselbständigt, wenn das DFB-Team der Türkei begegnet. Der Deutsch-Türke Mesut Özil wird dann reflexhaft befragt, ob er im Falle eines Torerfolges wieder nicht jubeln wird. Und was seine Eltern davon halten. Und seine Freunde. Und der Taxifahrer. Und überhaupt.

Im Gegenschnitt bietet sich die Geschichte der türkischen Elf an, die mit ihren almancilar, ihren Deutschländern dagegen hält - mit Mehmet Ekici, Tunay Torun, Hamit Altintop, Gökhan Töre, Hakan Balta und neuerdings mit dem Leverkusener Ömer Toprak, 21, der einst mit der deutschen U19 Europameister wurde und sich erst vorige Woche zum Übertritt entschied. Ihn hat bisher keiner gefragt, ob er bei einem Tor gegen Deutschland jubeln würde, aber vielleicht liegt das daran, dass er Verteidiger ist.

Toprak wird am Freitag in der Startelf erwartet, in der Abwehr ist die Türkei dünn besetzt. Keinen Spieler bräuchten die Türken dringender als Serdar Tasci.

Dem DFB fällt es schwer, gelassen zu bleiben

Tasci ist ein Einzelschicksal, einerseits. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass sich junge Migrantenkicker sein Schicksal zu Herzen nehmen. Dass sie sich nicht mehr an Özil orientieren, der über Deutschland zur WM und direkt weiter zu Real Madrid stürmte. Sondern dass ihnen Tasci als Warnung dient, der sich früh für ein Land entschied, das ihn vielleicht nicht mehr braucht. Und gebraucht zurücknehmen kann ihn das andere Land ja nicht mehr - wer ein Pflichtspiel im A-Team absolviert hat, ist festgespielt, wie das im Branchenjargon heißt.

Es war immer klar, dass Deutschland der schwierigere Weg ist", sagt Tasci, "aber ich habe die Entscheidung nicht bereut. Die Entscheidung wurde so getroffen, und jetzt muss man sie auch akzeptieren." Die Entscheidung wurde getroffen. Tasci redet im Passiv über sich selbst, man hört ihm an, dass das eine schwierige Entscheidung war, aber er will nicht, dass man da Zweifel heraushört. Er weiß ja, dass Löw seinen Spielstil immer noch schätzt, und er weiß, dass er selbst stabil spielt wie nie zuvor. "Mein Ziel ist immer noch, Stammspieler in der deutschen Elf zu werden", sagt er, "und ich sehe auch noch Chancen für die EM."

Für den türkischen Verband ist der Fall Tasci eine so dankbare Vorlage, dass nun sogar Erdal Keser aus der Kulisse getreten ist. Keser, früher Profi in Dortmund und heute Leiter des Europabüros des türkischen Verbandes, hält sich sonst gerne im Verborgenen, von dort lenkt er jenen Spähertrupp, der Europas Ligen nach türkischstämmigen Talenten absucht.

Im Fall Tasci gebe es "drei Verlierer", hat Keser gerade demonstrativ in einigen Interviews gesagt, aber die Situation sei vor allem "schade für den Spieler". Nebenbei hat Keser noch schnell erwähnt, dass er auch dem erklärten Löw-Kandidaten Ilkay Gündogan eine Hintertür offen halte, und von den acht türkischstämmigen U17-Spielern, die den DFB bei der Junioren-WM in Mexiko gerade so überwältigend vertreten haben, habe er "mit allen acht gesprochen". Und bis auf einen, so Keser, hätten alle "erklärt, dass sie sich beide Möglichkeiten offenhalten möchten".

Der Tonfall in dieser Debatte wird hörbar spitzer, und dem DFB fällt es nicht immer leicht, gelassen zu bleiben. "Unmöglich" finde er Kesers Aussage über die deutschen U17-Spieler, sagt der zuständige Sportdirektor Matthias Sammer, "mit diesem Satz im Gepäck müssen die Jungs jetzt zu unserem nächsten Lehrgang."

Es ist nicht leicht für einen 17-Jährigen, wenn zwei Nationen an einem zerren, wenn die Familie mitredet, der Verein, der Berater. Wer Rat sucht, könnte sich natürlich an einen der Integrationsbotschafter des DFB wenden. Einer davon ist Serdar Tasci.

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