Die Lippen des Bundestrainers bildeten ein Lächeln, ein sanftes zwar, aber immerhin: definitiv ein Lächeln. Es war ein Lächeln, das nun als endgültiger Beweis herhalten muss: Joachim Löw kann sich auch über Tore nach Standardsituationen freuen. Wahrscheinlich freute sich der Bundestrainer jedoch vor allem darüber, dass sein Plan aufgegangen war. Und wie.
Monatelang hat Löw der Fußballnation von den Bedingungen in Brasilien berichtet, es war eine ewige Warnung, eine WM der Urkraft erwartete er, in diesem heißen, schwülen Klima. Und so wählte Löw im ersten Gruppenspiel gegen Portugal einen cleveren Trick: Er stellte zwar in der Abwehr Boateng, Mertesacker, Hummels und Höwedes auf, vier gelernte Innenverteidiger, die unter der brasilianischen Sonne mächtige Schatten werfen.
Im offensiven Mittelfeld jedoch vertraute Löw auf Kroos, Özil und Götze, auf drei Künstler also, die völlig außer Verdacht stehen, einen Schatten zu hinterlassen. Und als einzige Sturmspitze startete Thomas Müller, der Mann mit den Laufwegen, die kein Schatten der Welt nachbilden kann.
Außerdem hatte er, Löw, sein Team auf Situationen vorbereitet, in denen die Schatten kurzzeitig unverändert stehen bleiben. Auf Standardsituationen.
Es schien also die brasilianische Mittagssonne über der Arena Fonte Nova, die WM begann auch für die deutsche Elf, und am Ende einer Partie mit einer sehr eigenen Urkraft hatte das Team von Bundestrainer Löw 4:0 (3:0) gewonnen.
Es war ein Auftritt, den dieser Elf zuletzt so nicht viele zugetraut hatten, überlegt waren Löws Spieler, sie traten so selbstsicher auf, wie eine Mannschaft nun einmal auftritt, die sich viel vorgenommen hat. "Wir wissen, dass es funktioniert", sagte Kapitän Lahm, "aber wir sind noch lange nicht am Ende." Diese Elf aus mächtigen, dünnen und kaum nachvollziehbaren Schatten spielte gerade in der ersten Halbzeit teilweise flotten Fußball, mit schnell vorgetragenen Kombinationen über die drei feinen Künstler. Sie profitierte dabei davon, dass sie auf eine Auswahl aus Portugal traf, die sich selbst zugrunde richtete. Doch sie stand eben auch so sicher, dass die Abwehrkette aus vier Innenverteidigern kaum gefordert wurde. Vor allem aber spielte diese Mannschaft so, dass Müller die Wege gehen konnte, auf denen ihm niemand zu folgen verstand. Und auf denen er schließlich zu drei Toren ging.
DFB-Elf in der Einzelkritik:Lahm überhitzt, Götze wurstelt
Philipp Lahm wird erst spät zum Spieler, den die Welt unter "Philipp Lahm" kennt. Thomas Müller schießt ein schrulliges Tor nach dem anderen - und Mario Götze gewinnt tatsächlich ein Kopfballduell. Die DFB-Elf beim 4:0 gegen Portugal in der Einzelkritik.
Zunächst prägten die Partie viele Unkonzentriertheiten, auf beiden Seiten, es entstanden so einige Zufallsangriffe. In der zweiten Minute etwa flankte Boateng, der Innenverteidiger auf der rechten Seite, Götze verfehlte das Tor mit einem Kopfball. Es folgten Minuten, in denen die deutsche Elf etwas chaotisch verteidigte. Einen Schuss von Hugo Almeida fing Torwart Manuel Neuer (5.), was eine wichtige Botschaft mitlieferte: Neuers vor dem Turnier lädierte Schulter hielt.
Zwei Minuten später verlor Kapitän Lahm den Ball, er wurde gefoult, doch der Schiedsrichter pfiff nicht ab, und so stand Cristiano Ronaldo frei vor Neuer. Wieder parierte der Torwart, wieder hielt die Schulter. Es war die letzte Aktion des Torwarts für den Rest der Halbzeit.
"Die Mannschaft war unheimlich kompakt, und wir haben kaum Konterchancen zugelassen", lobte Löw.
Das Spielgeschehen konzentrierte sich danach erst einmal auf die andere Spielfeldhälfte, dorthin, wo das Stadiondach bereits einen riesigen Schatten warf. Und nun waren es die portugiesischen Verteidiger, die sich Fehler leisteten. Nach einem missglückten Rettungsversuch von Torwart Rui Patricio verfehlte Khedira knapp das leere Tor (8.).
Es war eine Aktion, die der deutschen Elf mehr Zuversicht gab, sie kombinierte nun flüssiger, flinker. Nach einer Passfolge über Özil und Müller wurde Götze im Strafraum von Joao Pereira ein wenig gezogen, er wurde ein wenig geschubst - Schiedsrichter Mazic zeigte auf den Elfmeterpunkt. Müller lief an, verzögerte, schaute nur auf das Tor, nicht auf den Ball, er schoss, die Führung (12.).
Die Mannschaft beugte sich anschließend vorübergehend der Urkraft der brasilianischen Mittagssonne, spielte kräfteschonend, ruhig, gelassen. Sie wartete ab, wie gefährlich ihnen die Portugiesen wurden. Und merkte schnell, dass die Gegenspieler nicht sehr gefährlich wurden. Nani schoss knapp über das Tor (25.), ansonsten wurden die mächtigen Schatten in der deutschen Abwehr nicht gefordert.
Weswegen sie sich auch nach vorne wagten, zum Beispiel in der 32. Minute: Eckball Kroos, am Fünfmeterraum standen mehrere Portugiesen, doch keiner von ihnen sprang so kräftig ab wie Hummels, der Innenverteidiger stand über all seinen Gegenspielern, vor allem über seinem Bewacher Pepe, sein Kopfball landete unhaltbar im Tor (32.). Und Löw jubelte mitten unter seinen Spielern über diesen Kniff, dass sein Team inzwischen auch über ein paar Standardvarianten verfügt.
Seine Mannschaft spielte nun immer souveräner, wartete auf geeignete Momente für Angriffe, bloß keine Kräfte verschenken. Und hatte dann plötzlich einen enormen Vorsprung an Kraftreserven: Der portugiesische Innenverteidiger Pepe sah nach einem Kopfstoß gegen den sitzenden Müller die rote Karte (37.). Der Münchner wurde endgültig zum Spieler der ersten Halbzeit, als er in der Nachspielzeit nach einer Flanke von Kroos den Ball gegen Bruno Alves behauptete und das 3:0 erzielte.
In der zweiten Halbzeit bedeckte das Dach der Arena fast das gesamte Spielfeld, es wurde nun eine gemütliche Partie für die deutsche Mannschaft. Die Portugiesen bewegten sich behäbig über den Platz, sie wehrten sich nicht mehr gegen die drohende Niederlage. "In der zweiten Halbzeit haben wir versucht, nicht noch tiefer einzubrechen", sagte Portugals Trainer Paulo Bento. Löws Spieler konzentrierten sich auf vereinzelte Angriffe. Nach einem Zuspiel von Götze stand Özil frei vor dem Tor, sein lascher Schuss war jedoch kein Problem für Torwart Patricio (51.).
Zwölf Minuten später wurde Özil ausgewechselt, es kam Schürrle mit seinem etwas dynamischeren Schatten. Der Angreifer des FC Chelsea bereitete kurz nach seiner Einwechslung eine Chance für Götze vor; dessen Schuss blockte Pereira zur Ecke ab (69.). Einen Schrecken bekamen die Deutschen, als Mats Hummels ausgewechselt wurde, jedoch nur kurz, die Oberschenkelverletzung erwies sich als eher harmlos. "Es wird nichts sein, was mich drei Monate kostet", erklärte Hummels, "sondern vielleicht verpasse ich mal ein Spiel, das kann passieren."
In der 78. Minute erzielte Müller seinen dritten Treffer an diesem Mittag, der Endstand. Auch weil Manuel Neuer seine Schulter noch einmal testen durfte, mit einem Hechtsprung, nach dem zweiten gefährlichen Schuss von Cristiano Ronaldo.