Eiskunstlauf:Chickaboom!

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Harmonie bis in die Fingerspitzen: Minerva Fabienne Hase und Nikita Wolodin in Grenoble. (Foto: Laurent Cipriani/AP)

Die Paarläufer Minerva Hase und Nikita Wolodin weisen eine nahezu makellose Bilanz auf und wollen in Oberstdorf ihren nationalen Titel verteidigen. Ziel ist Olympia – sofern der Russe Wolodin rechtzeitig einen deutschen Pass erhält.

Von Barbara Klimke

Vorsicht bei der Äußerung von Wunschvorstellungen – das gilt auch für Rhythmusfragen. Ein wenig zu elegisch, zu romantisch, zu weich war für Nikita Wolodins Geschmack die Musikauswahl in seinem ersten Berliner Paarlaufwinter vergangenes Jahr. Er hätte da gern ein paar Takte zugelegt. Kein Problem, fand Minerva Hase. So haben sie für diese Saison zwei kraftvollere Programme ausgewählt, mit der Folge, dass Wolodin bei der Erarbeitung der Schritt- und Hebefiguren im Frühjahr zwischenzeitlich ein leichter Anflug von Nostalgie überkam. Die alte Kurzkür, so erzählt seine Partnerin dieser Tage amüsiert, „fand er anfangs dann doch entspannter“.

Das Resultat der Anstrengungen ist ein fabelhafter Blues, „You were mine“ von Tami Neilson: explosiv, synchron und trotz der Perfektion mit erstaunlicher Lässigkeit interpretiert. Der Titel des Albums, „Chickaboom“, deutet klanglich an, wohin die Reise geht. Minerva Hase findet, sie seien „bei der gemeinsamen Musikfindung jetzt auf einem sehr guten Weg“. Vor allem haben sich, chickaboom!, zwei Temperamente angenähert: der lebhafte ehemalige russische Show-Läufer Nikita Wolodin, 25, aus St. Petersburg, für den Eiskunstlauf auch immer mit einem gewissen Fun-Faktor verbunden ist, und die gleichaltrige Minerva Hase aus Berlin, die im Allgemeinen einen bedachten, intellektuellen Zugang zu den Dingen sucht. Auch den Preisrichtern ist diese Symbiose auf Kufen selbstverständlich nicht entgangen.

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:Satellitenstart in die Weltspitze

Obwohl sie erst seit einem Jahr ein Paar bilden, sind Minerva Hase und Nikita Wolodin das beste Eiskunstlauf-Duo des Winters. Wie die Berlinerin und der Sankt Petersburger Show-Läufer trotz des russischen Angriffskrieges zusammenfanden.

Von Barbara Klimke

In seiner erst zweiten gemeinsamen Paarlaufsaison hat das deutsch-russische Duo gerade zum zweiten Mal das Grand-Prix-Finale der Eiskunstläufer gewonnen: den höchstklassigen Vergleich der internationalen Wettkampfserie. In Grenoble tanzten Hase/Wolodin sich Anfang Dezember an die Spitze der Wertung vor den ehemaligen Weltmeistern Riku Miura/Ryuichi Kihara aus Japan. Ohnehin ist die Bilanz ihrer jungen Karriere so spiegelblank und kratzerfrei wie eine frisch geglättete Eisfläche: Seit 2023 stehen sechs Auftritte beim Grand Prix zu Buche, fünfmal ist hinter ihrem Namen die „1“ notiert, nur den Cup of China schlossen sie im Herbst als Zweite ab. An diesem Wochenende werden sie ihre Programme, den Blues und die lange Kür zu einer Adaption von Vivaldis „Winter“ aus den „Vier Jahreszeiten“, dem Publikum in Oberstdorf bei den deutschen Meisterschaften präsentieren – wo sie ebenfalls als Titelverteidiger antreten. Und wenn im Januar dann der zweite Teil der Saison mit der Europameisterschaft beginnt, führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass die WM-Dritten Hase/Wolodin die Favoriten sind.

Im vergangenen Winter endete ausgerechnet die EM für das grippegeschwächte Duo mit einer Enttäuschung auf Rang fünf. Diesmal, glaubt Minerva Hase, haben sie sich die Kräfte besser eingeteilt. Ohnehin sieht sie Verbesserungen in allen Bereichen, trotz der Höchstnoten der vorigen Saison, weil für eine Weltklasseläuferin mit Perfektionsanspruch schon eine minimale Zeitverzögerung bei den Synchron-Pirouetten auf die Mängelliste gehört. „Es hat vergangenes Jahr zwar immer geklappt mit den Podiumsplätzen, aber die Leistung war durchwachsen“, sagt sie: „Vor allem in der Kür hatten wir immer wieder Fehler.“ In diesem Jahr spüren sie auch bei den kompliziertesten Hebungen, bei den Rotationen in der Luft, bei den Landungen nach weiten Würfen auf einer Kufe eine größere Sicherheit: „Man merkt, dass das Training richtig war.“

Auch hier hat das Duo nach anfänglichen Schwierigkeiten zu einer bewährten Routine gefunden. Der russische Trainer Dmitri Sawin, der Minerva Hase nach der Beendigung ihrer Zusammenarbeit mit Nolan Seegert die neue Allianz mit Wolodin vermittelte, steht zwar bei den Wettkämpfen an der Bande, reist aber nur sporadisch nach Berlin. Das tägliche Pensum findet am Bundesstützpunkt im Sportforum Hohenschönhausen unter der Ägide der Berliner Paarlaufspezialisten Knut Schubert und Rico Rex statt.

Detailarbeit an der Ballettstange

Neu im Team ist ein Ballettmeister, Sidnei Brandão aus Leipzig, mit dem einmal wöchentlich an den Details der Choreografien gefeilt wird, an den Bewegungen, die „man tausendmal durchgeht, auch vor dem Spiegel im Ballettsaal“, wie Minerva Hase sagt: „Er zeigt uns, wie man es schafft, das Publikum für sich zu gewinnen, da dürfen wir sehr viel von ihm lernen.“ Im Sommer wird dann weiter klassisch an der Stange gearbeitet, Nikita Wolodin sei ohnehin ein großer Ballettfan.

Das Resultat ist eine Harmonie bis in die Fingerspitzen, die man sehen kann. Sie soll die von der Bundeswehr geförderte Eiskunstläuferin Minerva Hase und ihren russischen Partner Nikita Wolodin in anderthalb Jahren bis zu den Olympischen Winterspielen in Mailand und Cortina tragen. Voraussetzung ist neben der sportlichen Qualifikation auch ein politisch-bürokratischer Akt, die rechtzeitige Einbürgerung. „Wir versuchen, alles in unserer Macht Stehende dafür zu tun, und das ist, Deutsch zu lernen und die Deutschprüfungen zu bestehen“, sagt Minerva Hase. Auch die Sportdirektorin der Deutschen Eislauf-Union, Claudia Pfeifer, hat frühzeitig darauf gedrängt, dass dieser Sprachunterricht im Trainingsplan verankert ist. Weil der ausgebildete Diplomtrainer Wolodin, der als Jugendlicher einen Grand Prix gewann, es dann aber nicht mehr in den Wettkampfkader schaffte, keine Verbindungen zur russischen Armee hat, ist Minerva Hase bei der Aussicht auf ihre olympische Zukunft zuversichtlich. Auch Bruno Massot, der französische Partner von Aljona Savchenko, hatte vor dem Paarlaufgold 2018 Vokabeln büffeln müssen. Von Wolodin heißt es, dass er im Training seine Sprachkenntnisse anzuwenden versucht. Und für ihn spricht, dass er es selten gemächlich angehen lässt.

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