Süddeutsche Zeitung

Derby in Glasgow:Späte Taufe

Das erste Liga-Derby der schottischen Traditionsteams Celtic und Rangers seit vier Jahren bringt im Emotionen im Übermaß - und einen 5:1-Erfolg von Celtic.

Von Sven Haist, Glasgow

Im Gefühl des sicheren Erfolgs legte der sonst so um Kontrolle bemühte Brendan Rodgers seine Zurückhaltung ab. Rodgers drehte sich weg vom Spielfeld hin zu den Fans auf der Tribüne und lief langsam, die Arme weit von sich gestreckt, auf sie zu. Was als Siegerpose gemeint war - soeben hatte Scott Sinclair das 3:1 gegen den Stadtrivalen Rangers erzielt -, verstanden die Menschen im Celtic-Park als Geste der Zuneigung. Sie breiteten ebenfalls ihre Arme aus und zogen Rodgers zu sich hin.

Jürgen Klopps Vorgänger beim FC Liverpool fing an zu zögern, seit Sommer ist er ja erst bei Celtic als Trainer im Amt. Euphorische Anhänger kennt der Nordire bereits aus der Heimat und von der Anfield Road, aber die Fans in Glasgow, das musste er jetzt erfahren, sind noch stürmischer. Der Fußballlehrer versuchte zaghaft, sich zu lösen, aber ein Entkommen war nicht möglich. Rodgers wurde eins mit der wartenden Meute - und als er wieder auftauchte in dieser 61. Minute, war er einer von ihnen.

Für die Taufe des Neuen hätten die Zuschauer keinen besseren Anlass finden können, als Celtics 5:1 im "Old Firm" gegen die Rangers. "Die Atmosphäre war unglaublich. Das ist der Grund, warum dieses Derby eines der größten, wenn nicht sogar das größte auf der Welt ist ", sagte Rodgers: "Eine brillante Leistung von uns und ein großartiges Resultat."

Zugang Moussa Dembele trifft dreimal

Nach dem Schlusspfiff gab es weitere Liebesbekundungen für ihn von der Tribüne aus, sofern die Fans nicht damit beschäftigt waren, Moussa Dembele hoch leben zu lassen. Der Zugang vom Zweitligisten FC Fulham erledigte die Rangers mit drei Toren am Samstagmittag nahezu allein (33./42./83.) und reihte sich ein neben Stevie Chalmers, dem dasselbe Schaustück zuletzt vor 50 Jahren gelungen war. Als Erinnerung steckte Dembele, 20, nach Abpfiff den Spielball ein und streckte drei Finger in die Luft. Dabei sollte der Franzose gar nicht in der Startelf stehen. Erst der verletzungsbedingte Ausfall von Celtics bestem Torjäger Leigh Griffiths ermöglichte seinen Einsatz.

Durch die Sternstunde Dembeles bleibt Celtic nach vier Spieltagen in der aktuellen Saison weiter ohne Punktverlust an der Spitze der Tabelle. Der fünfte Meisterschaftsgewinn hintereinander deutet sich schon jetzt an, weil der Qualitätsunterschied zwischen den beiden Glasgower Vereinen kaum aufholbar zu sein scheint. Bei einer Partie weniger besitzt Celtic schon vier Punkte Vorsprung auf die Rangers. Weitaus schwieriger wird Celtics Einstand in der Champions League nach zweijähriger Abstinenz - am Dienstag geht es ins Camp Nou zum FC Barcelona.

Sie können nicht miteinander, aber erst recht nicht ohne einander

Die Einseitigkeit im 402. "Derby aller Derbys" ist auf Celtics Blamage im Frühjahr zurückzuführen. Im Halbfinale des schottischen Pokals blamierten sich die Grün-Weißen im Elfmeterschießen. Nun waren sie seit Bekanntgabe des Spielplans auf Revanche aus. Glasgow zählte ebenfalls die Tage herunter bis zum ersten Kräftemessen in der Liga nach dem Zwangsabstieg der Rangers vor vier Jahren. Die Zeitungen simulierten die Partie vorher mehrmals durch, leuchteten jeden Aspekt bis in die hinterste Ecke aus. Die Strahlkraft reichte sogar weit über die größte Stadt Schottlands hinaus. In der Wochenendausgabe widmete die New York Times dem giftigsten Wettstreit in Großbritannien den Aufmacher im Sportteil. Das Blatt fand, dass es bei Celtic gegen Rangers nicht nur um Fußball gehe, sondern um Religion, Politik und Geschichte zugleich.

Speziell macht die Beziehung, dass beide Vereine wissen, dass sie mit dem anderen nicht leben können, aber ohne ihn eben auch nicht. Seit 148 Jahren geht das schon so. Zwei Weltkriege hat die Begegnung überlebt und nun auch das finanzielle Missmanagement der Rangers, der einen Neuanfang in der vierten Liga zur Folge hatte. Der Vereinsname blieb gleich, aber die Identität ist jetzt eine andere, weil die Betreibergesellschaft sich nach der Insolvenz verändern musste. Gerade für die Fans von Celtic sind die 1873 aus der Taufe gehobenen Rangers deshalb gestorben. Als "Zombie" begrüßte der Celtic-Park den schottischen Rekordmeister. Seit April 2012 hatten die Heimfans Gelegenheit, sich auf den Moment vorzubereiten. So lange ist es her, dass die Rangers beim 0:3 letztmals im Stadtteil Parkhead gastierten.

Auf der Tribüne jubelt Rod Stewart

Die Sehnsucht hat das nur befeuert. Schon in der Anfangsphase entlud sie sich in einem außerordentlichen atmosphärischen Spektakel der 60 000 Zuschauer, das kein anderes Spiel im europäischen Fußball erzeugen kann. Nach dem Doppelschlag von Dembele in der ersten Halbzeit wähnte sich Celtic im eigenen Stadion, dem sogenannten "Paradise", schon früh geradezu im Paradies. Auf der Tribüne jubelte Rod Stewart, ein bekennender Anhänger Celtics. Der britische Rockstar stand für Konzerte selbst bereits einige Male auf dem Rasen des Stadions und arbeitete seine Zuneigung zum Verein ein in seinen Welthit "You're in my heart".

Das zwischenzeitliche 2:1 durch Joe Garner (44.) trübte die Stimmung genauso wenig wie der Topzuschlag, den Celtic für dieses Heimspiel verlangte. Statt der üblichen 26 Pfund kostete eine Karte in der billigsten Kategorie 49 Pfund. Die Entschädigung konnte sich ja sehen lassen. Neben dem fünften Treffer von Stuart Armstrong (92.) und dem Platzverweis für Rangers-Innenverteidiger Philipp Senderos gab es Brendan Rodgers zum Anfassen.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2016
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