Der Flügelflitzer:Jogis Buben in Gottes Stuben

Ist der Fußball eine Ersatzreligion? Die Kirchenbewegung der Jogianer ist (noch) nicht in Sicht, und dennoch werden sich während der EM die Hände falten. Vor allem auf Sylt.

Thomas Hummel

Oh, wird das erbaulich! Der Einzug der Spieler in ihren festlichen, bunten Gewändern. Auf, auf, mit feierlichen Fanfaren. Ergriffen sind die Massen in der Kathedrale und an den Bildschirmen, sie erheben ihre Stimmen und huldigen der Fahne und dem Reich mit einem hohen Lied. Spontane Hosianna-Rufe wogen durch das Rund! Ole ole, heiliger Jogi, erlöse uns von der Angst, die Österreicher könnten uns besiegen. Ole, ole, denn dein ist das Pressing und der Vertikalpass und die höggschde Disziplin. Amen.

Der Flügelflitzer: Denn dein ist das Pressing und der Vertikalpass und die höggschde Disziplin: Jogi Löw.

Denn dein ist das Pressing und der Vertikalpass und die höggschde Disziplin: Jogi Löw.

(Foto: Foto: Reuters)

Ist der Fußball eine Ersatzreligion? Im Ruhrgebiet soll es Menschen im blau-weißen Gewand geben, die das standhaft behaupten. Doch selbst Nicht-Schalker Fußballbegeisterte müssen sich fragen, ob ihr Stadion- beziehungsweise Public-Viewing-Ritus nicht durch und durch geprägt ist von der christlichen Liturgie.

Die Tendenz jedenfalls geht in Deutschland eindeutig raus aus der Kirche und hinein in den Fußball-Dom. Früher spendeten die Menschen ihren letzten Groschen für den Bau neuer Kirchen, heute geben sie ein Monatsgehalt für eine Eintrittskarte für das Gruppenspiel gegen Polen aus. Doch ist das nicht alles verwerflicher Götzendienst?

In Argentinien haben ein paar zehntausend diese Frage eindeutig mit Nein beantwortet, haben die "Iglesia Maradonia" gegründet und huldigen ihrem Gott "D10S". Sie feiern Neujahr am 30. Oktober, weil Diego Maradona (die Nummer 10) an diesem Tag Geburtstag hat. Sie haben sich sogar eigene Zehn Gebote gegeben. Unter anderem: "Liebe den Fußball mehr als alles andere", "Verkünde die Wunder Diegos in der Welt" oder "Nenne all deine Söhne Diego".

Nun ist hierzulande die Kirchenbewegung der Jogianer (noch) nicht in Sicht. Aber auf der Ferieninsel Sylt verfolgt ein Pastor eine ausgefeilte Strategie wider den Fußballkult. Eine, die sich in der Menschheitsgeschichte schon häufig bewährt hat: Vereinnahme die aufstrebende Konkurrenz, mache sie dir zu nutze! Pastor Rainer Chinnow veranstaltet in seiner Gemeinde vor den deutschen EM-Spielen einen "Fußballgottesdienst". Danach rollt der Ball auf Großbildleinwand. Das Ganze trägt den wunderbaren Namen "Jogis Buben in Gottes Stuben". Da dürfte kein Platz frei bleiben in der Friesenkapelle.

Und so sieht man die Gläubigen schon sitzen, wie sie bald nach Anpfiff ihre Hände zum Gebet schließen: Oh Herr, hilf dem schwachen Christoph auf die Beine und gib dem Jens die titanische Kraft, den polnischen Angriffen zu widerstehen. Für dich, oh Mario, schicke der Herr den Glanz des Torschützenkönigs. Und ach, auf dass der Erzengel Michael den bösen Holländer aus dem Finalparadies vertreibt und seine Tränen trockne am himmlischen Pokal.

Balleluja!

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