Der FC Bayern in der Krise:Mir war'n mir

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Von der Abteilung Attacke zur Abteilung Mimose: Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg des FC Hoeneß - "Bruder Barnabas" beklagt den Identitätsverlust bei Bayern München.

Michael Lerchenberg

Michael Lerchenberg, 56, leitet die Luisenburg-Festspiele Wunsiedel. Auf dem Münchner Nockherberg verkörpert er jährlich den Fastenprediger "Bruder Barnabas".

Was wurde aus dem Siegern-Gen des FC Bayern? Auch Bastian Schweinsteiger (li.) scheint sich das zu fragen. (Foto: Foto: AFP)

Ach, was waren das noch für Zeiten in Bayern, als die CSU die absolute Mehrheit hatte und der FC Bayern zumindest in der Bundesliga die Gegner reihenweise wegputzte, als Arroganz noch Wahlen gewann und Tore schoss. Jetzt ist die CSU eine normale 40-plus-x-Partei geworden, und dem FC Bayern zieht man nicht nur in Barcelona und Bordeaux die Lederhosen aus, nein, sogar normale Bundesligisten erschaudern nicht mehr bei dem Schlachtruf "Mir san mir", denn längst ist daraus ein gequältes "Mir war'n mir" geworden.

Ausgerechnet jetzt verlässt Göttervater Franz Beckenbauer die Niederungen der Vereinspolitik, zieht sich in den Olymp zurück, die Erde höchstens noch betretend, um mit hübschen Sterblichen kleine Fußballhalbgötter zu zeugen. Beckenbauer, der Geniale, der mit seinem Außenrist die Bälle ansatzlos und punktgenau in die wunderlichsten Richtungen schicken konnte, war für seinen FC Bayern fußballerisch fast 50 Jahre eine Gnade. Seine Ratschläge aber, veröffentlicht via Bild, sind immer ein Fluch gewesen. Wobei er zu 90 Prozent recht hat, aber im Gegensatz zum vereins- und leibeigenen Kritiker Philipp Lahm war Beckenbauer immer sakrosankt, selbst für einen Uli Hoeneß unangreifbar.

Dieser polternde Donnergott aber soll nun dem fußballaltersweisen Kaiser in dessen Ämtern beim FCB nachfolgen und will sich künftig bei Auswärtsspielen der Schachabteilung über die verpatzten Ungarischen Eröffnungen seiner internationalen Großmeister ärgern. Alle Gazetten überbieten sich derzeit mit Nachrufen, ganz nach dem Prinzip "De mortuis nihil nisi bene", über Tote nur Gutes. Aber Uli Hoeneß ist nicht tot, ja, er wird nicht einmal das Büro wechseln. Der junge Christian Nerlinger, von Hoeneß selbst einst fußballerisch als Wasserträger eingestuft, wird sein Nachfolger. Wer glaubt da wirklich an Abschied, Veränderung, gar Neuanfang?

Die Bayern-Familie bleibt unter sich

Als Uli Hoeneß 1979 als Manager anfing, war da kein Vorgänger, kein Robert Schwan als aufsichtführender Präsident, da fand er, neben vielen Schulden, einen leeren Schreibtisch vor, aber er hatte den Freiraum zur Gestaltung. Er hatte damals einen Anfang bekommen, wie er ihn heute seinem Nachfolger verweigern wird, und geradezu panisch verhindert man beim FCB den Einstieg eines Außenstehenden, ganz so, als müsse man unliebsame Entdeckungen fürchten, wenn dann der Neue in Akten und Verträgen blättert. "La famiglia" will unter sich bleiben, als wäre man in Palermo bei der Mafia. So aber sind schon viele alte Familienunternehmen gescheitert, die Angst vor neuer, von außen herein getragener Kompetenz hatten. Und genauso wie die siechende CSU scheut man die Analyse, berauscht sich an der Vergangenheit und scheitert an der Zukunft.

Sicher, die Verdienste von Uli Hoeneß als Geldbeschaffer und -vermehrer sind unbestritten; Waldemar Hartmann hat mal in einem Buch beschrieben, wie Hoeneß TV-Rechte an das DSF verkaufte, die er gar nicht hatte. So genial wie der Franz am Ball war, so unübertroffen ist Uli als Kaufmann.

Aber als Sportmanager ist er längst glück-, ja, noch schlimmer, hilflos. Der alte Intimfeind Klinsmann? Erst zähneknirschend engagiert, dann genüsslich abgeschossen. Retter aus der Not: Jupp Heynckes, natürlich einer aus "la famiglia". Dann installierte man in Person des Zuchtmeisters van Gaal eher einen Unterstufenpräfekten eines Benediktinergymnasiums der Adenauerzeit. Der Versuch, sich mit Mehmet Scholl einen Erfolgstrainer aus "la famiglia" selbst zu backen, scheint auch schiefzugehen. Für 24 Millionen kaufte man den zartknochigen Arjen Robben als Beschäftigungsgarantie für Bayernarzt Müller-Wohlfahrt.

Stürmer stehen sich auf den Füßen

Der kapriziöse Franck Ribéry, der seit dem Sommer am Madrid-Bazillus leidet, führt ein Wehwehchen nach dem anderen vor, heute das Knie, morgen die Ferse, jetzt ist es die Schweinegrippe seiner Frau, übermorgen hat die Schwiegermutter Schnupfen, und selbst ein Uli Hoeneß muss ohnmächtig diesem Theater zusehen. Die Zufallsentdeckungen Thomas Müller und Holger Badstuber spielen sich auf Stammplätze. Dafür hortet man für zig Millionen Spieler, die man dann nicht braucht und setzt sie auf die Bank. Allein bei den fünf Topstürmern, Robben und Ribery nicht mitgerechnet, stehen sich gegenseitig 100 Millionen auf den Füßen! Auch eine völlig neue Interpretation des von Hoeneß so geliebten Festgeldkontos.

Und dieses Bankkonto ist prall gefüllt, als Morgengabe bringt der neue Präsident sogar noch 100 Millionen von Audi mit, gleichzeitig aber streitet er sich öffentlich mit dem verhassten Lokalrivalen, dem Stadionbeschmutzer TSV1860 um ein paar hunderttausend Euro wegen ein paar zu wenig verkaufter Bratwürste - nur um für die längst unzufriedenen Bayern-Fans einen willkommenen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. Kritiker werden von Uli Hoeneß niedergebügelt, aber aus der "Abteilung Attacke" ist längst die Abteilung Mimose geworden.

Und vom Traum, eine europäische Spitzenmannschaft zu sein, ist man weiter entfernt denn je. Heute muss schon ein Unentschieden gegen einen Tabellenführer Leverkusen reichen.

Bayerische Zukunftsmusik

Wo und wie aber wird das enden? Im Chaos? Oder vielleicht, wenn dereinst im Jahr 2025 der Aufsteiger FC Bayern sensationell und unter dem 80-jährigen Trainer Beckenbauer die Deutsche Meisterschaft gewinnt? Wenn dann der 83-jährige Ministerpräsident Edmund Stoiber, beim letzten Mal mit 56 Prozent wiedergewählt, auf dem Münchner Rathausbalkon den bayerischen Verdienstorden an Bayern-Präsident Oliver Kahn überreicht, Landesbankpräsident Uli Hoeneß anschließend zum Bankett lädt, wo dann Beckenbauer aus dem Rollstuhl von einem Weißbierglas aus fünf Bälle in die ZDF-Torwand versenkt, während auf dem Marienplatz Ex-OB Ude, Alt-Ministerpräsident Söder und Ex-Manager Kalle Rummenigge in einem weiß-blauen Löwenkäfig öffentlich den Fans zu Hohn und Spott dargeboten werden.

Und in einer Ecke weint still und leise der Platzwart Lothar Matthäus vor Glück. "La famiglia" feiert. Bayerns Welt wird dann wieder in Ordnung sein und jener Uli Hoeneß, dem man nach seinem Torabstoß vom Elfmeterpunkt beim Europameisterschaftsfinale 1976 in Belgrad die Fußballgötterwürde entzogen hatte, der aber gewissermaßen als Merkur, der Gott der Fußballkaufleute, längst wieder in den Fußballhimmel zurückgekehrt war - jener Uli Hoeneß kann wieder rufen: "Mir san endlich wieder mir!"

© SZ vom 26.11.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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