Der FC Bayern im DFB-Pokal:Warten auf die große Explosion

Vor dem Pokalspiel in Stuttgart fordert Bayern-Coach Jupp Heynckes die Rückbesinnung auf alte Stärken. In den drei Murks-Begegnungen gegen Gladbach, Wolfsburg und den HSV war zuletzt aufgefallen, dass es dem Spiel der Münchner in diesem Jahr nicht nur an Stabilität fehlt - sondern auch auf fast groteske Weise an Offensiv-Lösungen.

Claudio Catuogno

Jupp Heynckes trägt wieder eine flauschige Strickjacke über dem gemusterten Baumwollhemd, keinen FC-Bayern-Sweater, wie ihn seine Vorgänger gern präsentierten, nicht mal einen FC-Bayern-Sticker am Kragen. Im Corporate-Identity-Betrieb an der Säbener Straße sieht der 66 Jahre alte Trainer bisweilen aus wie der gemütliche Onkel, der zwischen Lehnsessel und Plattenspieler hin- und herschlendert. Aber natürlich täuscht dieser Eindruck, gemütlich ist beim FC Bayern, abgesehen von Heynckes' Strickjacke, gerade wenig.

Heynckes will 'Flagge zeigen'

Wen soll ich bloß aufstellen? Bayern-Trainer Jupp Heynckes hat jede Menge Offensiv-Juwelen im Kader - aber ihre richtige Anordnung auf dem Platz, die sucht er noch.

(Foto: dapd)

"Wir haben unmittelbar nach der Rückkehr aus Hamburg die Analyse gemacht", berichtet Heynckes, "dann stand gleich die nächste Spielvorbereitung auf dem Programm." Es geht nun Schlag auf Schlag für die Münchner, schon diesen Mittwoch ist Pokalabend in Stuttgart. Der Lehnsessel bleibt leer - und der Plattenspieler läuft mit doppelter Geschwindigkeit. Heynckes nennt das aber nicht Stress. Er nennt es "den Rhythmus, den wir brauchen".

In verschiedenen Variationen ist der Bayern-Trainer in dieser Woche immer das Gleiche gefragt worden: was er nun ändern muss. Die Frage stützt sich auf die ernüchternde Rückrundenbilanz in der Liga (drei Spiele, vier Punkte), es liegt ihr aber noch mehr zugrunde als Zahlen. Aufgefallen war in den drei Murks-Begegnungen gegen Mönchengladbach (1:3), Wolfsburg (2:0) und den HSV (1:1) ja vor allem, dass es dem Bayern-Spiel des Jahres 2012 bisher nicht nur an Stabilität, sondern auch auf fast groteske Weise an Offensiv-Lösungen fehlt.

Heynckes schickt all seine überragenden Einzelkönner auf den Platz (Robben, Ribéry, Müller, Kroos, Gomez, Schweinsteiger), aber deren Geistesblitze bleiben meist Privatsache: hier ein Tempodribbling, da ein Hackentrick. Für taktisch gut vorbereitete Abwehrformationen ist das redundante, meist in die Breite gezogene Angriffsspiel der Bayern berechenbar geworden.

Und als wäre das angesichts der eigenen Ansprüche nicht betrüblich genug, führt im Fernduell der Meister aus Dortmund gerade wieder diesen überfallartigen, unberechenbaren Nahtstellenfußball vor, bei dem sich die Vermutung aufdrängt, es würden bisweilen Kollektiv-Geistesblitze zwischen Lewandowski, Großkreutz und den anderen hin und her zischen.

Frage also an Jupp Heynckes: Hat er eine Lösung?

Heynckes stellt sich der Frage, er sagt: "In dieser Situation ist auch der Trainer gefragt." Er beantwortet sie auch - indem er aufzählt, was ihn trotz aller Defizite optimistisch stimmt. Und da ist die erhöhte Schlagzahl, die nun nötig sein wird, um kurz hintereinander im Pokal (Stuttgart), in der Liga (Kaiserslautern, Freiburg, Schalke) und in der Champions League (Basel) zu bestehen, ein erstes Argument.

Schweinsteiger als Fixpunkt

Gerade der Scharnierspieler Bastian Schweinsteiger, den Heynckes "meinen Fixpunkt" nennt, hat ja eher zu wenige als zu viele Partien in den Knochen nach seinem Schlüsselbeinbruch. Gleiches gilt für den Langzeitpatienten Arjen Robben. "Der Rhythmus, den wir brauchen", vielleicht gibt es ihn tatsächlich für die Bayern. Ihre beste Saisonphase hatten sie jedenfalls, als sie im Herbst zwischen Villareal, München, Leverkusen, Freiburg und Neapel hin und her brausten.

Viel von dem Mut, den sich die Akteure gerade selbst zusprechen, wurzelt noch in jener Euphoriephase, die den Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß zu der Einschätzung verleitete, als herkömmlichen Fußball könne man die Darbietungen des Rekordmeisters nicht mehr bezeichnen. Eher schon als "Kunst". Es hat doch schon mal geklappt - diese Gewissheit schwingt also immer mit.

Wenn Heynckes nun vor dem Stuttgart-Spiel versichert, man habe "so gute Offensivspieler, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die explodieren". Wenn er auf die Selbstheilungskräfte seines Kaders hofft ("So selbstkritisch, wie die Spieler mit der Situation umgehen, ist mir nicht bange"). Oder wenn er als Rezept die Rückbesinnung ausgibt: "Wir müssen einfach wieder selbstverständlich Fußball spielen."

Und die Details? Ob Toni Kroos wieder auf die offensive Zehner-Position vorrücken wird, wie es ein anschwellender Expertenchor dem Bayern-Trainer seit Wochen einzusingen versucht? Ob Thomas Müller - statt Robben - mal wieder über rechts versuchen darf, dem Angriffsspiel Überraschung und Zuspitzung zu verleihen? Dazu schweigt Heynckes öffentlich. Seine Antwort wird die Aufstellung sein - der will er nicht vorgreifen.

Beobachter des Münchner Betriebes stellen sich indes schon grundsätzlichere Fragen: Ob die Wer-spielt-wo-Debatten der letzten Tage zu sehr den Blick verengen. Ob die Bayern nicht umfassender überprüfen müssten, inwieweit ihr Angriffsspiel noch State of the Art ist. So gesehen ist die Partie beim VfB auf verschiedenen Ebenen ein K.o.-Spiel.

Entweder es kommt zu der von Heynckes erhofften Qualitäts-Explosion - dann dürften viele Kritiker verstummen. Oder der erste von drei angestrebten Titeln gerät aus dem Blick - dann dürfte es endgültig ungemütlich werden. Mit Debatten, die aus Misserfolgen resultieren, haben die Bayern mehr Routine als mit Systemfragen.

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