Dennis Schröder wechselt also zu den Golden State Warriors. Wie das bei einer polarisierenden Figur wie ihm so ist, führte die Nachricht in dieser Woche zu polarisierten Reaktionen: Ach schau, sagten die einen: Zieht er mal wieder los, der Wandervogel der US-Basketballliga NBA, zur mittlerweile neunten Station im zwölften Profijahr in Amerika. Schröder, so geht die Erzählung aus dieser Perspektive weiter, passt offenbar nirgends richtig rein. Aber so einfach ist die Geschichte nicht.
In seiner neuen sportlichen Heimat, bei den Warriors, wird sie wenig überraschend anders erzählt. „Ich glaube nicht, dass sie ihn hierher gebracht haben, weil er zu uns passt oder sich einfügen wird“, sagte etwa NBA-Veteran Draymond Green, der als ähnlich unangepasst gilt wie Schröder: „Wir spielen eine Art Basketball, die er nicht wirklich spielt. Aber: Wir brauchen einen, der Dinge kann, die er kann, und ich freue mich darauf, dass wir uns ihm anpassen werden.“

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Warriors-Trainer Steve Kerr hat Schröders Feuer auf dem Parkett nicht nur in der Liga erlebt, sondern auch als Coach des US-Nationalteams, das gegen Deutschland 2023 das WM-Halbfinale auf den Philippinen verlor und zwei Testspiele in London und Dubai knapp gewann. „Er hat mir nun auf drei Kontinenten den Hintern versohlt. Er ist ein Zocker, er bringt uns genau, was wir brauchen“, sagte der Coach – und meint damit konkret: einen Spieler, der jederzeit eine Partie prägen und entscheiden kann. Der nicht angelernt werden muss oder vor lauter Respekt vor den Team-Häuptlingen erstarrt; der auch mal macht, womit keiner rechnet.
Schröders Trade zu den Warriors ist ein klassischer Gegenwart-gegen-Zukunft-Tausch in der NBA
Kerr, 59, war als Spieler Teil des wohl faszinierendsten Teams der NBA-Geschichte. Er hat bei den Chicago Bulls Ende der Neunzigerjahre erlebt, wie Trainer Phil Jackson einen Zugang zum andersartigen Dennis Rodman gefunden hat – er selbst war, siehe Dokuserie „The Last Dance“, einer der ganz wenigen Mitspieler, die einen direkten Draht zu Rodman entwickelten. Er weiß also aus seiner Erfahrung als Spieler und Trainer: Wer Basketballer wie Rodman, Green oder Schröder mit all ihrer Andersartigkeit integriert, bekommt gleichzeitig auch besondere Qualitäten. „Das Tauschgeschäft macht absolut Sinn für uns“, sagt Kerr deshalb.
Der Deal sieht so aus: Die Warriors kriegen Schröder, 31, der bislang eine überzeugende Saison bei den Brooklyn Nets hingelegt hat: 18,4 Punkte, 6,6 Assists und drei Rebounds pro Partie – alles bessere Werte als sein Karrieredurchschnitt, wie übrigens auch bei der Wurfquote von der Dreierlinie (er trifft sehr ordentliche 38,7 Prozent). Und sie kriegen ein zusätzliches Zweitrunden-Wahlrecht beim Draft in der Sommerpause. Die Nets wiederum haben keine realistische Chance auf den Titel und wollen den Neuaufbau. Also geben sie ihren Leistungsträger ab und bekommen ein langfristig verletztes Talent (den am Kreuzband versehrten De’Anthony Melton) und den weitgehend unbekannten Reece Beekman sowie drei künftige Zweitrunden-Picks beim Draft. Es ist der klassische Gegenwart-gegen-Zukunft-Tausch in der NBA. Die beteiligten Sportler haben dabei meist wenig Mitspracherecht.
Die Besonderheit an Tauschgeschäften ist, dass sie innerhalb des Tarifvertrag-Reglements der NBA funktionieren müssen. Die Warriors hatten keinen Gehaltsspielraum, sie konnten nicht auf Shoppingtour gehen, wie sie das 2016 getan hatten und wobei sie ihrem edlen Kader damals Kevin Durant zufügten. Es musste alles passen, bis zu Vertragslängen und Gehältern der Akteure. Schröder verdient in dieser Saison 13 Millionen Dollar, danach kann er frei wechseln. Für die Warriors, viermal NBA-Champion zwischen 2015 und 2022, ist diese Spielzeit die womöglich letzte Gelegenheit, um mit den alten Recken Steph Curry, 36, und Green, 34, noch mal ein titelfähiges Team zu basteln. Die Verletzung von Melton zwang sie zum Handeln.
Schröders Mir-doch-egal-Einstellung ist geschaffen für Augenblicke, wie sie nun in Golden State folgen könnten
Was zuletzt unübersehbar war beim Team aus San Francisco: Sie haben massive Probleme, Partien erfolgreich zu Ende zu bringen – weil Gegner in den entscheidenden Momenten Dreierkönig Curry belagern und damit die Warriors herausfordern, jemand anderem den Dirigentenstab zu geben. In diese Lücke stößt nun Schröder mit seiner Mir-doch-egal-Einstellung, die seine ganze Karriere prägt. „Er kann punkten, eine Offensive leiten, Chancen kreieren“, urteilt Curry über seinen neuen Partner in der Spielorganisation: „Und er hat Lust aufs Verteidigen.“ Auch Draymond Green, der wie Curry von Klub-Manager Mike Dunleavy vor dem Trade konsultiert worden ist, gibt sich überzeugt von Schröder: „Wir wissen, wer er ist und was er ist – das zählt.“
Der Braunschweiger ist seinen Weg bislang konsequent gegangen. Der war gewiss nicht immer geradlinig und hat zu Vereinswechseln und Vertragspokern geführt, die aus der Beobachterperspektive mitunter schwer nachzuvollziehen sind. Er hat aber auch zu einer jahrelangen Aufsteigerreise durch die NBA geführt. „So wie ich aufgewachsen bin, ist es schon eine unbeschreibliche Leistung, hier überhaupt zwölf Jahre mitzuspielen“, erzählte Schröder kürzlich der SZ. Letztlich ist es bei aller Polarisierung wohl so: Schröders Selbstbewusstsein hat ihn dahin geführt, wo er heute ist. Es hat ihm Respekt von Leuten wie Steve Kerr und Steph Curry eingebracht. Und die sind wahrlich keine schlechten Fürsprecher.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass die Warriors „NBA-Champion von 2018 bis 2022“ gewesen seien. Das ist falsch. Korrekt ist, dass sie in der jüngeren Vergangenheit 2015, 2017 sowie 2018 und 2022 die Meisterschaft gewonnen hatten.