Dennis Schröder wird in den USA schon lange nicht mehr Dennis Schröder genannt. Die Amerikaner tun sich mit der Aussprache des Nachnamens so schwer wie deutsche TV-Reporter mit Fußballern aus Island. Zudem verpassen sie in diesem Land jedem Sportler einen Spitznamen - notfalls werden die Initialen mit der Rückennummer kombiniert wie bei Chris Paul (CP3), Kristaps Porzingis (KP6) oder Dwight Howard (einst D12, nun D8). Schröder heißt also DS17, er ist stolz darauf und trägt diesen Namen schon mal als helle Farbe in den dunklen Haaren oder als goldene Kette um den Hals. Sein Restaurant in Atlanta heißt: The DS17 Lounge.
Seit dieser Saison ist DS17 Stammspieler bei den Atlanta Hawks, der Verein hat den Vertrag mit dem deutschen Aufbauspieler zudem für insgesamt 70 Millionen Dollar Gehalt um vier Jahre verlängert. "Das ist doch Wahnsinn, dass man mit seinem Hobby so viel Geld verdienen und für seine Familie sorgen kann", sagt Schröder am Sonntagabend nach der Niederlage bei den Los Angeles Lakers: "Ich habe finanziell alles, was ich brauche - ich glaube aber nicht, dass ich mich deshalb verändert habe. Ich hänge noch immer mit den gleichen Jungs ab, meine Familie ist immer noch bei mir. Was sich verändert hat, das sind die Ziele."
Die Hawks haben Schröder, 23, vor drei Jahren als 17. Spieler seines Jahrgangs gewählt und nach wenigen Wochen in die kalifornische Provinz geschickt. Wer ihn damals in dieser muffeligen Halle in Bakersfield erlebt hat und ihn nun in dieser prächtigen Umkleidekabine im Staples Center von Los Angeles trifft, der bemerkt tatsächlich: Sie mögen ihn vielleicht DS17 nennen in der nordamerikanischen Profiliga NBA, sie mögen ihm nun viele Millionen Dollar bezahlen, doch verändert hat sich dieser Typ wirklich nicht.
Was einem wie vor drei Jahren auffällt, das ist diese bei Profisportlern nicht mal so seltene Mischung aus vorsichtiger Schüchternheit und grenzenlosem Selbstbewusstsein. Schröder sieht oft nach unten, er spricht extrem leise - ganz so, als wäre ihm das alles immer auch ein wenig peinlich, was er da sagt. Es sind große Begriffe, die er bei der Beschreibung seiner Ziele verwendet: "All-Star-Spiel" etwa, "Wahl zum Spieler mit den größten Fortschritten" oder "Finale". Er sieht auch oft hinüber zu Kyle Korver, als wolle er sich eine Antwort vom erfahrenen Mitspieler absegnen lassen.
Korver, 35, ist zu einem Mentor für Schröder geworden, die beiden haben im Sommer in Kalifornien gemeinsam in Los Angeles trainiert und vor allem an der noch immer nicht ausreichenden Trefferquote Schröders gearbeitet. "Er hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt, nun vertrauen wir alle darauf, dass er den nächsten Schritt macht", sagt Korver: "Es gibt kein Geheimrezept für Erfolg, die Zutaten sind ganz einfach: Arbeit, Arbeit, Arbeit."
Die Hawks haben vor Saisonbeginn auch Center Dwight Howard verpflichtet. Der hatte sich früher mal den Namen "Superman" verpasst, nach durchwachsenen Spielzeiten in Houston verwendet er nun lieber die Initialen-Rückennummer-Kombination. DS17 und D8 sollen die Hawks in dieser Spielzeit in die Playoffs und irgendwann in die NBA-Finalserie führen - der Kader jedenfalls gehört zu den spannenderen in der Eastern Conference.
In den ersten Partien funktionierte das Zusammenspiel bei den Hawks herausragend: Howard stellte einen Block für Schröder, der dribbelte um Howard und schloss entweder selbst ab oder passte auf den zum Korb geeilten Howard oder den an der Drei-Punkte-Linie lauernden Korver. Natürlich gefiel das einem Typen wie Howard, wenn der Aufbauspieler nicht wie bei seinen früheren Vereinen Lakers (Kobe Bryant) oder Rockets (James Harden) am liebsten selbst wirft, sondern eifrig nach ihm sucht.
Mittlerweile jedoch haben sich die Gegner auf diesen Pick and Roll-Spielzug eingestellt. Außerdem will Howard den Ball dann doch lieber bequem unter dem Korb haben, ohne davor einen Block stellen zu müssen. Die Hawks haben sechs ihrer vergangenen sieben Spiele verloren, die 100:105-Niederlage bei den Golden State Warriors am Montag steht symbolisch für Schröders Saison bislang: Er erzielte 24 Punkte und verteidigte herausragend gegen Steph Curry.
43 Sekunden vor dem Ende jedoch wurde er geblockt, zudem erlaubte er Curry sechs Punkte in den letzten vier Minuten. Schröder sagt über solche Begegnungen: "Man darf bitte nicht vergessen: Es ist meine erste Saison als Stammspieler - und ich spiele nun jeden Abend gegen die besten Aufbauspieler der Welt."
Schröder soll diese Mannschaft führen, derzeit wirkt er bisweilen wie ein Dirigent, der von den Musikern mitgeteilt bekommt, wie er den Stab zu schwingen hat. Er sieht häufig zu Howard und Korver oder zu Trainer Mike Budenholzer - so als wolle er sichergehen, gerade keinen Fehler gemacht zu haben. Meist bekommt er ein aufmunterndes Nicken, bisweilen aber auch einen Anpfiff wie von Budenholzer während der Partie in Los Angeles.
Schröder ist ein Starter in der besten Basketballliga der Welt geworden, er strebt nun den Starstatus an. Ein Profisportler bekommt dauernd mitgeteilt, wie er sich verhalten und woran er arbeiten muss. Schröders Art wird bisweilen als arrogant und beratungsresistent interpretiert. Wer sich mit ihm unterhält, der bemerkt aber, dass er lediglich aus dem Vielklang der Ratschläge jene sortiert, die er für hilfreich hält: die von Korver, Budenholzer und nun auch Howard. "Ich muss in vielen Bereichen besser werden", sagt er und fügt hinzu: "Das werde ich auch."