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Basketball-WM:Dennis Schröder trägt die größte Last

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Deutschlands bester Basketballer soll das Nationalteam bei der WM ab diesem Wochenende führen. Viele glauben, er kann das - doch ein paar kleine Zweifel bleiben.

Von Jonas Beckenkamp

Wenn Dennis Schröder abseits des Basketballfeldes auftritt, ist er kaum zu übersehen. 1,88 Meter, blondierte Haarspitzen, ein gemachter NBA-Millionär, der gerne zeigt, was er hat. In den USA, wo er seit sechs Jahren spielt, gehört das "Bling Bling" bei vielen Profisportlern dazu, in Deutschland aber staunt so mancher, wenn Schröder - wie auch diesen Sommer - mit seiner "Flexgang" durchs Land zieht. Familienmitglieder, Freunde und Businesskollegen umgeben ihn meist fast so eng wie Verteidiger auf dem Parkett. Wie Schröder seine Freizeit verbringt, war bis vor kurzem auf Instagram zu sehen: Mit Sportflitzern in Tarnfarben, dicken Sonnenbrillen, Glitzerklamotten oder gerne auch mal behangen mit Diamantenkette. Er ist das, was landläufig als "Styler" durchgeht.

Noch immer umgibt Deutschlands obersten Basketballer die Aura eines dollarschweren Rapmoguls, des Streetballers, der es nach oben geschafft hat. Aber das ist nur der eine Teil seiner Persönlichkeit. Ein anderer offenbarte sich in diesem Sommer: Schröder, der gestählte Athlet mit neuer Ernsthaftigkeit. Seinen Instagram-Account hat er abgeschaltet, er hat geheiratet und sein Handy bleibt öfter in der Hosentasche.

Der Schlaks mit den Krakenarmen und Händen in DIN-A-3-Größe ist mittlerweile reifer, als es seine Outfits vermuten lassen. Und was sind schon Jacken, Schmuck und Autos, wenn das Leben einem etwas viel Größeres in die Hände spielt: ein eigenes Kind. Bei der Geburt von Dennis Malick Junior war er "14, 15 Stunden mit dabei. Das war der Hammer. Das muss man einmal fühlen", sagte Schröder. Und natürlich sei auch seine Hochzeit in Braunschweig "der Wahnsinn" gewesen. "Familie, Freunde - alle sind gekommen. Wir haben richtig gut gefeiert."

Dennis Schröder muss bei der WM dominieren

Haufenweise private Termine hatte der gebürtige Braunschweiger zuletzt zu bewältigen, doch der noch viel größere Termin steht jetzt in sportlicher Hinsicht an: die Basketball-WM in China mit der deutschen Nationalmannschaft, mit der er an diesem Sonntag (14.30h Uhr/Liveticker SZ.de) im ersten Spiel gegen Frankreich ran muss. Schröder steht in der Verantwortung, schließlich ist er nach dem DBB-Abschied von Dirk Nowitzki im Jahr 2015 längst Deutschlands Körbewerfer Nummer eins. Er muss Antreiber sein, Organisator, Inspirationsquelle, Punkteproduzent und dabei auch noch verteidigen wie eine Bulldogge. Eine Last, die er gerne auf sich nimmt.

Für den 25-Jährigen ist das Nationalteam eine Herzenssache, er hat - anders als viele NBA-Kollegen - sogar richtig Lust auf die Abwechslung vom US-Sport. Das liegt auch am versammelten, nie dagewesenen Können seiner Mitspieler beim DBB. "Wir können viel erreichen mit der Mannschaft", befand er kürzlich, "wir haben so viel Potenzial, da können wir schon selbstbewusst an die Sache rangehen und müssen niemanden fürchten." Er selbst ist wohl der talentierteste von allen Deutschen. Ehrgeiz, Korbdrang, Wettkampfhärte, das sind seine Qualitäten. "Seine unglaubliche Schnelligkeit ist für uns sehr wichtig", sagt zudem Nationalcenter Johannes Voigtmann, der mit Schröder schon zwei gemeinsame EM-Turniere spielte. "Sein Wurf hat sich in den letzten Jahren immer verbessert. Wenn er alles annimmt, kann er einer der besten Spieler der WM werden."

Alles annehmen, das heißt auch: Sich treu bleiben, seinem Naturell entsprechend Führungskraft sein, aber gleichzeitig teamfähig sein - diesen Spagat muss Schröder hinkriegen. An Selbstbewusstsein fehlte es ihm nie, auch in Sachen Motivation geht er voran. "Ich bin total begeistert, mit welcher Einstellung er hier angekommen ist", schwärmte etwa Bundestrainer Henrik Rödl in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur während der WM-Vorbereitung, die Schröder mit sehr guten Auftritten hinter sich brachte. Beim Supercup in Hamburg gelang ihm gegen Polen sogar ein Karrierebestwert mit 33 Punkten, im letzten Test gegen Australien waren es immerhin 15. Wege zum Korb findet er dank seiner Aggressivität fast immer, neuerdings glänzt er aber auch hinten mit Zupackergeist, wie Rödl erkannt hat: "Was mir am meisten Spaß macht, ist, dass er konstant verteidigt." Und: Schröder habe "wieder einen deutlichen Schritt in seinen spielerischen Fähigkeiten gemacht."

Somit verfügt Deutschland nach Jahren der Orientierung und des Post-Nowitzki-Blues wieder über einen echten Leader. Dabei ist Schröder lauter als Nowitzki, chefiger. Genau diese Qualität hatte dem 21-jährigen Schröder bei seiner ersten EM 2015 noch gefehlt. Damals wollte er ganz allein gegen ganz Europa gewinnen, er übertrieb es mitunter mit Alleingängen und wilden Dribblings ins Dickicht der Gegner. Heute zieht er laut Rödl "die anderen in allen Bereichen mit. Es ist ein Privileg, so einen Spieler dabei zu haben." Jetzt kommt es drauf an, etwas aus diesem Potenzial zu machen.

Schröders Anforderungsprofil ist klar: Alles muss bei der WM über ihn gehen, wenn die Deutschen weit kommen wollen. Er wird Minuten abreißen wie eine Dampflock, er wird werfen, wirbeln und bestimmt auch Zauberpässe zu seinem besten Kumpel Daniel Theis hinüber schmeißen, damit dieser per Druckkorbleger (sprich: Dunking) vollendet. "Da er den Ball nach vorne trägt, ist er an jedem Angriff beteiligt. Natürlich ist das Spiel da auf ihn zugeschnitten", sagt der Bundestrainer, der genau weiß, welche Freiheiten er Schröder dafür gewähren muss. "Wir müssen das Beste nutzen, was wir haben. Wir haben aber sehr, sehr viele gute Optionen, die er einzusetzen weiß", lautet Rödls Vorgabe.

Die Mitspieler kennen ihren Besten mittlerweile gut, sie haben akzeptiert, dass er Tempo und Taktung im Angriff bestimmen wird. Dass er auch mal einen Wurf zu viel nimmt, um seinen Rhythmus zu finden. So hat man sich beim DBB offenbar darauf verständigt, dass im Grunde alle vom Fokus auf Schröder profitieren. Die Devise ist simpel und einleuchtend: Wenn der Gegner nur Augen für Schröder hat, entstehen Räume und freie Wurfchancen für andere. "Dennis ist unser Schlüsselspieler, er wird die meiste Aufmerksamkeit von allen Teams haben", sagt NBA-Kollege Maximilian Kleber (Dallas). Er findet aber auch: "Dennis muss die richtigen Entscheidungen für uns treffen."

Die anderen besser machen, aus der Bedrängnis Bälle durchstecken, taktisch smart agieren, positiv bleiben, auch wenn es mal nicht so läuft. Das sind die Herausforderungen für den NBA-Aufbau, der in Oklahoma zuletzt hinter Überathlet Russell Westbrook von der Bank kam. Schröder sei eben ein "sehr dominanter Aufbauspieler", bemerkte auch der frühere Europameister Henning Harnisch, der 1993 an der Seite von Rödl die EM gewann. Und genau darin könnte die Gefahr liegen: Was, wenn am Ende zu viel von Schröder abhängt? Wenn sich alle auf ihn verlassen und auf Eigeninitiative verzichten? Dann reicht es im Teamsport Basketball wohl nicht gegen die Passmaschinen aus Serbien, die Sprungwunder aus Frankreich und Amerika oder die Dreierspezis aus Litauen.

Aber: War das mit dem Ein-Mann-Fokus zu Nowitzkis besten Zeiten nicht auch so? Dieser Vergleich hinkt. Nowitzki war ja individuell noch ein ganzes Stückchen besser als Schröder, er spielte als großer Flügelspieler eine andere Position und führte mehr durch Leistung als mit Worten. Damals glänzten neben dem großen Würzburger die Okulajas, Femerlings und Rollers in Nebenrollen - heute muss Schröder Kollegen wie Kleber, Theis oder Paul Zipser gewinnbringend integrieren. Ein paar Bedenken bleiben also ob der Ausgewogenheit im DBB-Team. "Bei dieser Mannschaft hängt noch viel mehr von Dennis ab, wie er es handelt, individuell seine Leistung zu bringen und andere einzubinden", warnt zum Beispiel Marko Pesic. Der Sportdirektor des FC Bayern muss es wissen: Er gewann als Nationalspieler mit Nowitzki zwei Medaillen bei großen Turnieren.

Solche Erfolge kann Dennis Schröder nur erreichen, wenn er seinen Reifeprozess bei dieser WM weiter vorantreibt. Am Tag des Finales wird er übrigens 26 - sollte Deutschland es dorthin schaffen, hätte Schröder sich einen weiteren Traum erfüllt: die Olympia-Teilnahme 2020. "Da spielen zu dürfen und dein Land zu vertreten, ist das Beste, was du machen kannst", sagt er. An ihm soll's also nicht liegen.

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