Denise Herrmann:Anfängerin verblüfft die Biathlon-Szene

Biathlon World Cup in Pokljuka

In der zweiten Karriere: Biathletin Denise Herrmann, 27.

(Foto: Antonio Bat/dpa)

Wann ist es zu spät, sich einen Lebenstraum zu erfüllen? Mit 27 Jahren steigt Denise Herrmann vom Langlauf auf Biathlon um - und beeindruckt alle.

Von Saskia Aleythe

Wenn sie das Schießen trainiert, steht Denise Herrmann schon mal in der Küche. Gewehr von den Schultern holen, in den Anschlag und zurück, zwischendurch die ausgedruckten Zielscheiben auf dem Hängeschrank anvisieren. Geschossen wird selbstverständlich nicht, aber der Umgang mit der Waffe beginnt ja schon lange vor einem Wettkampf.

"Du schlägst dir an den Kopf, du schlägst dir an die Arme, überall blaue Flecke", berichtet die 27-Jährige. Ganz so stümperhaft schaut das in Wirklichkeit dann aber nicht aus: Denise Herrmann erlebt in ihrer zweiten Karriere als Sportlerin gerade ein beeindruckendes Debüt.

Bis zum Frühjahr war Herrmann eine der besten deutschen Langläuferinnen, dann gab sie ihrem Leben eine neue Richtung und wurde Biathletin. Monate werde es dauern, bis sie stabil schieße, hatte Bundestrainer Gerald Hönig im November prophezeit, vermutlich liegt er damit richtig. Aber Herrmanns Biathlon-Leben begann ja nun so: Platz eins im zweitklassigen IBU-Cup bei ihrem ersten internationalen Rennen überhaupt.

Schon zwei Wochen später durfte sie im Weltcup ran für die erkrankte Franziska Preuß, lief mit zwei Fehlern beim Sprint in Pokljuka auf Rang 18. "Wir wurden von der Zeit etwas überrollt", sagt Hönig. Für den Weltcup am Wochenende in Nove Mesto hat er sie erneut nominiert.

Denise Hermann und das Schießen, das ist schon lange eine heimliche Liebe. Im Frühjahr 2012 war sie in Ruhpolding bei einem Schnupperworkshop im Biathlon. Magdalena Neuner hatte gerade ihre Karriere beendet, der Zuschauersport fürchtete um seine Zukunft. So hielt der Deutsche Skiverband (DSV) testweise ein Casting mit den Langläuferinnen ab, um dort vielleicht ein Talent zu entdecken. Hermann stellte sich an diesem Tag im April ganz pfiffig am Schießstand an. Das Problem war nur: Sie wollte nicht zum Biathlon. Noch nicht.

Ihr Umstieg zum Biathlon kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt

"Damals hat mir der Mut gefehlt und ich wusste, dass im Langlauf noch etwas für mich kommt", sagt sie; aber "der Gedanke an Biathlon hat mich nicht mehr losgelassen". Herrmann trainierte weiter Langlauf, im Winter 2014 kam sie so zu Olympia-Bronze mit der Staffel. Im Weltcup hievte sie sich dreimal im Sprint aufs Podium, doch in der vergangenen Saison waren Erfolgserlebnisse selten. Auch weil die Norwegerinnen unbezwingbar sind, "da laufen die Frauen fast so schnell wie die Männer", sagt sie.

Hermann probierte es vor dieser Saison also doch mit dem Biathlon - und hätte sich kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können. Die Lage im deutschen Lager ist ja eine andere als zu den Casting-Zeiten von 2012: In Laura Dahlmeier, die dominant in den Weltcup gestartet ist, Franziska Hildebrand und Franziska Preuß bringen drei deutsche Frauen konstant die Befähigung fürs Podest mit, auch dahinter lauert eine starke zweite Reihe. Na und? "Wenn ich es jetzt nicht gewagt hätte, dann gar nicht mehr", sagt Herrmann, "und das hätte ich mir irgendwann vorgeworfen."

Der Glaube an ihre Chance und die Begeisterung fürs Biathlon sind nun größer als die Angst, es nicht bis nach ganz oben zu schaffen. "Möglichst schnell und kontinuierlich in die Weltspitze" will sie, aber das übergeordnete Ziel lautet: Pyeongchang 2018, Olympische Winterspiele. "Schnell laufen, gut schießen, dann regelt sich alles von alleine", sagt sie. Dass sie dafür noch viel Lernstoff nachholen, viele Abläufe einstudieren muss, merkt Herrmann vor allem bei den Details: Waffe abstreifen, wieder aufsetzen, Patronen reinfummeln, Nachladen in der Staffel, richtiges Hinlegen, solche Sachen.

Zum Einstieg bekam sie vom Bundestrainer zwei Monate lang Schießtraining. "Sie ist in keinster Weise talentfrei", kommentiert Gerald Hönig das, er meint das sehr viel positiver als es klingt. Hönig schätzt ihren Willen, ihre Erfahrung aus den Weltcups im Langlauf, mit Rückschlägen umgehen zu können. "Denise ist insgesamt eine Bereicherung", sagt Hönig, "vor allem, was das Laufen angeht."

Im IBU-Cup konnte Herrmann sich bei zehn Scheiben sechs Fehler erlauben - sie holte alles in der Loipe auf. Beim Weltcup-Sprint in Pokljuka war sie die fünftbeste Läuferin (zwei Fehler), in der Verfolgung (vier Fehler) ebenso und damit auch schneller unterwegs als Siegerin Dahlmeier. "Sie kann sich enorm quälen, Respekt", sagt die Weltcup-Führende. Auch wenn es noch Monate dauern könnte, bis Herrmann an der Waffe stabil sein wird: Sich noch für den Lebenstraum entschieden zu haben, wird sie sicher nicht bereuen.

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