Ingolstadt im DEL-Finale:Ein klassischer Held

Ingolstadt im DEL-Finale: Rückhalt im Halbfinale: Ingolstadts Torwart Kevin Reich (rechts) nimmt den Dank seines Mitspielers Mathew Bodie entgegen.

Rückhalt im Halbfinale: Ingolstadts Torwart Kevin Reich (rechts) nimmt den Dank seines Mitspielers Mathew Bodie entgegen.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Kaum bekannt, aber fast unüberwindbar: Dank der Paraden von Ersatz-Torwart Kevin Reich zieht Ingolstadt gegen Mannheim ins DEL-Finale ein. Dabei ist dies die bislang "schwerste Saison" seiner Karriere - weil er in Gedanken bei seinem Bruder ist.

Von Christian Bernhard

Seine Mannschaftskollegen hatten ihn schon alle geherzt, als auch Mark French bei Kevin Reich ankam, ihn fast schon zärtlich in den Arm nahm und den von der Torhütermaske verdeckten Hinterkopf Reichs mehrmals tätschelte. French, Trainer des ERC Ingolstadt und seit wenigen Wochen auch Trainer des Jahres in der Deutschen Eishockey Liga (DEL), wusste genau, bei wem er sich zu bedanken hatte. 2:0 hatte Ingolstadt am Ostermontag das sechste Playoff-Halbfinalspiel bei den Adlern Mannheim gewonnen und so den Finaleinzug perfekt gemacht - Mann des Spiels war wie schon in den Partien zuvor der Torhüter der ERC.

Kevin Reich habe das Spiel "definiert", sagte French hinterher: "In Spielen wie diesen muss oft dein Torhüter der beste Spieler sein - und Kevin war die ganze Serie über herausragend." Auch die unterlegenen Adler mussten Reichs Leistungen honorieren. "Ich weiß gar nicht, wie viele Tore wir in der Serie geschossen haben", sagte Mannheims Korbinian Holzer. Reich machte das Lösen dieser mathematischen Aufgabe - auf die letzten drei Spiele der Serie bezogen - ziemlich einfach. Denn da gelang den Adlern nur noch ein einziges Tor. "Das ist gut für ihn (Reich) und gut für Ingolstadt. Für uns ist es scheiße", sagte Holzer dazu lapidar.

Kevin Reich ist der klassische Playoff-Held, den vor den Playoffs kaum einer auf dem Zettel hatte. Der 27-Jährige war bei Ingolstadt die klare Nummer zwei, Michael Garteig war gesetzt. Doch der Kanadier wurde nach dem abschließenden Viertelfinalspiel gegen Düsseldorf von Alec McCrea gecheckt, als er sich seinen jubelnden Teamkollegen anschließen wollte, seitdem fehlt er verletzt.

So kam Reich ins Tor - und er liefert seitdem. Seine Playoff-Fangquote von knapp 95 Prozent ist herausragend. Wenn ihm jemand vor zwei Monaten gesagt hätte, dass er der entscheidende Faktor beim Meisterschafts-Finaleinzug des ERC werden würde, "dann hätte ich wahrscheinlich gelacht", sagte Reich am freien Tag nach dem entscheidenden Sieg in Mannheim, den er für einen ausgiebigen Spaziergang mit seinen Hunden nutzte.

Wie speziell seine Saison ist, wird dadurch deutlich, dass er trotz des Erfolgs von der "schwersten" Saison seiner Karriere spricht. Anfang Dezember hatte sich sein jüngerer Bruder Robin, der seit der Geburt wegen einer seltenen Erbkrankheit körperlich und geistig beeinträchtigt ist, bei einem Sturz zweimal das Genick gebrochen und musste ins künstliche Koma versetzt werden.

Neun Gegentore - seine Gedanken kreisten um das Wohl seines jüngeren Bruders

Kevin Reichs Gedanken kreisten nicht mehr um gegnerische Schussvorlieben, sondern um den Überlebenskampf seines Bruders. Mittlerweile ist Robin außer Lebensgefahr und auf Rehabilitation in Bayreuth, nicht weit von Ingolstadt entfernt. Ihm gehe es den Umständen entsprechend, Rückschritte wechseln sich mit guten Phasen ab, erzählt Kevin Reich. "Das Gute ist: Es gibt auch Tage, an denen er Quatsch macht", das gebe ihm Energie. Auch an den zwei freien Tagen vor dem Start der Finalserie besuchte er den Bruder in Bayreuth. Robin sei auf einem guten Weg, "aber der Weg ist noch ein ganz langer".

Kevin Reichs Weg zurück in den Profi-Alltag war nicht einfach. Nach dem Schock und einigen Tagen bei der Familie half ihm sehr das Training: "Das waren die zwei Stunden, in denen ich abgeschaltet habe und nur an Eishockey dachte." Doch als er wieder im Spiel im Tor stand, merkte er, dass er mental noch nicht dafür bereit war: In seinem zweiten Spiel nach dem Unfall kassierte er in Wolfsburg neun Gegentore. "Es war anders. Schwierig", erzählt er rückblickend. Besonders, als die Scheibe weit weg von seinem Tor war, im anderen Drittel: "Da hat es bei mir im Kopf zu rattern angefangen." Reich fühlte sich in jener Zeit körperlich "fertig", weil er mental so viel verarbeiten musste.

"Extrem" geholfen, aus dieser Situation herauszukommen, habe ihm die Mannschaft, "wie sehr, kann ich gar nicht in Worte fassen". So einen Zusammenhalt wie dieses Jahr in Ingolstadt habe er in seiner Karriere noch nicht erlebt. Als klar war, dass er in den Playoffs gebraucht wird, hat er sich vorgenommen, der "Ruhepol" der Mannschaft zu sein. "Ich versuche einfach zu wachsen", sagt Reich, der seit 2017 in der Liga ist und nun zum ersten Mal in den Playoffs die Verantwortung im Tor trägt.

Weiter geht es nun am Freitag, wenn das erste Finalspiel steigt. Auf wen der ERC dann trifft, wird am Mittwoch im siebten Halbfinalduell zwischen dem Hauptrundensieger EHC München und den Grizzlys aus Wolfsburg entschieden.

Reich ist schon länger für seine Hauptrolle bereit. Schon im Februar, als diese Entwicklung noch nicht abzusehen war, sagte er, dass er in den Playoffs helfen und "die entscheidende Parade" machen wolle. Ein paar entscheidende waren im Halbfinale schon dabei - und die entscheidende Parade fürs Finale ist auch noch möglich.

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