Eishockey:Neustart nach der Bruchlandung

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"Wirklich krass. Und heftig, dass es so ausgegangen ist." - Kilian Hinterdobler. (Foto: Markus Fischer/Passion2Press/Imago)

DEL-Schiedsrichter Kilian Hinterdobler ist nach einer Nierentransplantation zurück auf dem Eis. Er wird bei seinem Comeback nicht sanft von den Spielern behandelt - genau das ist es, was er sich wünscht: "Normalität."

Von Christian Bernhard

In der Deutschen Eishockey Liga (DEL) wird derzeit fast an jedem Tag gespielt, der ERC Ingolstadt etwa bestreitet am Sonntag wie selbstverständlich sein viertes Spiel innerhalb einer Woche. Alles andere als selbstverständlich ist es dagegen für Kilian Hinterdobler, wieder auf dem Eis zu stehen. Bei dem 29-jährigen DEL-Schiedsrichter war vor einem Jahr ein Nierenversagen diagnostiziert worden, das eine Nierentransplantation zur Folge hatte. Exakt ein Jahr später - an seinem "zweiten Geburtstag", wie er den 29. September, den Tag der Transplantation, nennt - kehrte er beim Spiel Düsseldorf gegen Iserlohn auf das DEL-Eis zurück.

Hinterdobler erzählt auf beeindruckend reflektierte Art und Weise, wie er den schweren Weg zurück ins Leben und aufs Eis gemeistert hat. Mit 17 Jahren war bei ihm festgestellt worden, dass er nur eine Niere hat. Beeinträchtigt hat ihn das aber nicht, Hinterdobler konnte alles machen, was er wollte. Bis zum Juni des vergangenen Jahres. Bis zur "Bruchlandung", wie er es nennt, die "aus dem Nichts" kam und die sein Leben auf den Kopf stellte.

Beschwerden in der Bauchgegend führten Hinterdobler ins Krankenhaus - und als seine Blutwerte vorlagen, ging es ganz schnell. "Die Ärzte haben mich mit großen Augen angeschaut und fragten sich, wie ich noch vor ihnen stehen könne, denn Leute mit solchen Werten würden normalerweise im Bett liegen und gar nicht mehr rauskommen", erinnert er sich zurück. Seine Niere war nicht mehr zu retten, Hinterdobler kam auf die Intensivstation.

Das Ziel war die Transplantation, sprich: eine Spenderniere zu finden. Bis dahin musste er zur Dialyse, was eine "Qual" war, da "dabei enorme Lebensqualität verloren geht", erzählt er. Und dann war da noch der Anruf bei seinen Eltern, verbunden mit der Frage an seine Mutter, ob sie als Spenderin zur Verfügung stehen würde. "Für sie war das gar keine Frage", erzählt er, "Mutterliebe ist unendlich." Das Zittern war damit aber noch nicht vorbei, denn es dauerte rund einen Monat, bis klar war, dass die Niere seiner Mutter passte.

Johannes Sedlmayr, Spieler der Tölzer Löwen, stand Hinterdobler in der schweren Zeit zur Seite

Die ersten Tage nach der Transplantation "waren die absolute Hölle", erzählt Hinterdobler. Er verlor viel Gewicht, konnte sich gar nicht mehr bewegen und musste sogar das Laufen neu lernen. Trotzdem wurde ihm klar, "dass es überhaupt nichts bringt, in Selbstmitleid zu verfallen". Hinterdobler blendete alles Negative aus und ließ nur noch positive Gedanken zu. "Das klingt vielleicht etwas absurd, aber ich habe so fest daran geglaubt, dass mir nie in den Kopf kam, etwas könnte schief gehen."

Zur Seite standen ihm dabei nicht nur Familie und Freunde, sondern auch ein "Leidensgenosse" aus der Eishockeywelt, wie Hinterdobler ihn nennt: Johannes Sedlmayr. Der Spieler der Tölzer Löwen machte aufgrund eines schweren Corona-Verlaufs ebenfalls eine gesundheitlich schwere Zeit durch. Die beiden trafen sich oft im vergangenen Winter - und standen dann im Sommer gemeinsam in einem Vorbereitungsspiel wieder auf dem Eis. Für Hinterdobler war es eines seiner ersten Spiele als Schiedsrichter, für Sedlmayr sogar das allererste Spiel seit mehr als eineinhalb Jahren. "Das war ein ganz schöner Moment mit ihm", erzählt Hinterdobler. "Wir haben uns nach dem Spiel angeschaut, er mit einem hochroten Kopf, und haben einfach nur gelacht."

Hinterdobler stammt aus Reichersbeuern bei Bad Tölz und stand von klein auf auf dem Eis. In den Poesiealben, die man als Kind gerne mal ausfüllt, stand bei ihm unter Berufswunsch: Eishockeyprofi. Hinterdobler hatte Talent, groß wurde er mit den heutigen Nationalspielern Leo Pföderl und Konrad Abeltshauser, mit denen er ab der Schüler-Bundesliga zusammenspielte. Körperlich aber war er ein Spätentwickler, wodurch er nicht wie erwünscht mithalten konnte. Deshalb machte er einen Schiedsrichterkurs, erst um das Taschengeld etwas aufzubessern. Doch daraus wurde schnell mehr, denn Hinterdobler startete als Linienrichter durch, stand im DEL-Finale auf dem Eis und auch beim Gastspiel der Edmonton Oilers in Köln. Seit drei Jahren ist er nun Hauptschiedsrichter in der DEL. Oder besser gesagt: jetzt wieder.

Er führte ein Videotagebuch auf Tiktok, bekam dort großen Zuspruch

Hinterdobler ging von Beginn an sehr offen mit seiner Krankheitsgeschichte um: Er führte ein Videotagebuch auf Tiktok, bekam dort großen Zuspruch. Auch das half ihm, die Positivität, die er sich selbst auferlegt hatte, aufrecht zu halten. Erst im Mai dieses Jahres, als die Kontrollen weniger wurden und so etwas wie Normalität zurückkehrte, reflektierte er die außergewöhnlichen Monate und stellte fest: "Ok, das ist absolut nicht alltäglich. Wirklich krass. Und heftig, dass es so ausgegangen ist."

Heute fühlt er sich fitter und vitaler als vorher. Und ist froh, dass es auch seiner Mutter sehr gut geht, die jetzt noch aktiver sei als davor. Der 29-Jährige weiß aber auch, dass die Gefahr einer Abstoßung der Spenderniere "eigentlich immer da" ist. Er ist sich bewusst, dass "das, was ich letztes Jahr erlebt habe, irgendwann wieder kommen wird." Wenn alles gut läuft, hält die Niere seiner Mutter 20, 30 Jahre, rechnet er.

Aber er versucht nicht daran zu denken, "und das gelingt mir auch sehr gut". Er erfreut sich am Leben - und ist froh, dass er bereits bei seinem Comeback-Spiel nicht sanft von den Spielern behandelt wurde. Genau das ist es auch, was sich Hinterdobler wünscht: "Normalität, zurück ins Leben."

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