Süddeutsche Zeitung

Saisonstart im Eishockey:Die Ersten werden die Letzten sein

Nach mehr als neun Monaten Pause startet die DEL doch noch in die Saison: mit reduziertem Spielplan, gekürzten Etats - und sehr viel Ballast im Gepäck.

Von Johannes Schnitzler

Als Niklas Sundblad, der Trainer der Schwenninger Wild Wings, von der Deutschen Presse-Agentur nach seinem Titelfavoriten gefragt wurde, antwortete er: die Adler Mannheim. Weil es immer ein lustvoller Moment ist, dem direkten Nachbarn die Favoritenrolle aufzubürden, vor allem aber: "Weil sie den bestbesetzten Kader haben." Da wusste Sundblad vermutlich noch nicht einmal, dass die Adler nur einen Tag, nachdem sie ihren Center Andrew Desjardins wegen einer Hüftverletzung verloren, diesen Ausfall mit der Verpflichtung von Felix Schütz, 2018 Silbermedaillengewinner mit dem deutschen Olympiateam, kompensieren würden. Der Nationalspieler Schütz, 33, stand zuletzt beim Zweitligisten EV Landshut unter Vertrag, was nur eine der bemerkenswerten Volten ist, die das deutsche Eishockey in diesem Jahr durchlebt hat.

Dass Mannheim, Titelträger 2019, und der EHC Red Bull München, Champion der Jahre 2016 bis 2018, in der Umfrage unter Trainern und Klubverantwortlichen den üppigsten Vorschusslorbeer ernteten, muss nicht verwundern. Manche Dinge ändern sich nie, nicht einmal in einem Jahr, in dem sonst alles anders ist. Bevor die Deutsche Eishockey Liga (DEL) - nach zwei Verschiebungen und drei Monate später als geplant - an diesem Donnerstag mit dem rheinischen Derby zwischen Kölner Haien und Düsseldorfer EG in die Saison startet, lohnt aber der Schulterblick zurück.

Der Sommer war geprägt von Beinahe-Pleiten, Pech und Pöbeleien

Die DEL war die erste Profiliga in Deutschland, die ihren Spielbetrieb angesichts der heranrollenden Corona-Pandemie einstellte. Am 10. März war Schluss, einen Tag vor Beginn der Playoffs. 2020 wird als Jahr ohne deutschen Eishockeymeister in die Bücher eingehen. Jetzt, etwas mehr als neun Monate später, ist die DEL die letzte Liga, die ihren Betrieb wieder aufnimmt. Vor leeren Häusern in zwei regionalen Gruppen, mit reduziertem Spielplan und heruntergefahrenen Budgets. Dafür mit allen 14 Teams - und ordentlich Ballast im Gepäckraum. Denn wenn das Jahr 1967 den Summer of Love brachte, dann liegt hinter der DEL ein Sommer der Beinahe-Pleiten, des Pechs und der Pöbeleien.

Die Krisenbewältigung der Klubs und der DEL, die ja eigentlich ein Zusammenschluss von 14 GmbHs mit einer gemeinsam Verwaltung in Neuss ist, gestaltete sich extrem unterschiedlich. Beispiel Köln. Die Haie, mit durchschnittlich mehr als 13 000 Besuchern pro Spiel unter den Top 3 in Europa, standen kurz vor dem Ruin. Keine andere Liga ist so abhängig von Zuschauereinnahmen wie die DEL, die bis zu 80 Prozent ihrer Budgets aus Tageseinnahmen speist. Und die Haie hatten ohne Zuschauer den tiefsten Krater zu füllen. Was ihnen dank opferwilliger Fans, die 100 000 (!) virtuelle Tickets kauften, prominenter Fürsprecher wie Leon Draisaitl und Lukas Podolski sowie staatlicher Hilfen gelang.

13 der 14 Klubs beantragten Unterstützung aus dem Hilfsfonds des Bundes. Alle bis auf - anderes Beispiel - München. Der EHC, dank einer privaten österreichischen Geldquelle krisenfest, bat pünktlich im August zum Trainingsauftakt, absolvierte insgesamt 17 Testspiele und gewann fast selbstverständlich den Magentasport Cup, eine Erfindung des TV-Partners der DEL, der wenigstens etwas Eishockey im Angebot haben wollte. Wie fragil die Lage ist, zeigte sich, als Schwenningen und Berlin wegen Corona-Fällen aus dem laufenden Wettbewerb aussteigen mussten.

Trotz Sparkurs: Klubs leisten sich prominente Verstärkungen

Aus Bayern hatte bis auf München erst gar kein Team gemeldet. Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg und Straubing verabredeten sich lieber zu einer inoffiziellen Landesmeisterschaft, von der lediglich der Auftritt von Daniel Pietta in Erinnerung bleiben wird. Der Nationalspieler, der nach einem Zerwürfnis mit seinem Herz- und Heimatklub Krefeld in Ingolstadt einen Neuanfang starten wollte, schmähte den dunkelhäutigen Straubinger Sena Acolatse mit einer mittlerweile als ,Affen-Geste' berüchtigten Pantomime. Pietta beteuerte zwar seine Unschuld. Der Disziplinarausschuss der DEL war von der Einlassung indes nicht überzeugt und sperrte Pietta für neun Spiele.

Ingolstadt, noch ein Beispiel, fiel außerdem dadurch auf, dass der Klub sich von Nationaltorwart Timo Pielmeier trennte - nicht ohne zu erwähnen, dass Pielmeier sich als einziger Profi nicht am vereinbarten Gehaltsverzicht habe beteiligen wollen -, um direkt nach Freigabe der staatlichen Hilfen gleich mehrere Spieler der Preisklasse Pietta zu verpflichten. Und die Eisbären Berlin holten den ehemaligen Augsburger Matt White aus der russischen KHL zurück nach Deutschland

In dem erbitterten Streit, der letztlich zur Gründung der gewerkschaftsähnlichen Spielervereinigung Eishockey (SVE) führte, erwies sich Ingolstadts Klubboss Jürgen Arnold, Aufsichtsratsvorsitzender der DEL, als gewichtiger Verfechter des Prinzips Gehaltsverzicht. Später flötete er, die Treffen mit der Spielervertretung hätten entscheidend dazu beigetragen, dass nun doch gespielt werden kann. Während Arnolds DEL-Aufsichtsratskollege Wolfgang Brück, Geschäftsführer der Iserlohn Roosters, in einem Interview mit dem Magazin Eishockey News auf kritische Fragen zum Thema wiederholt mit der Gegenfrage antwortete, wie man nur solche Fragen stellen könne.

Die Profis verzichten auf bis zu 60 Prozent Gehalt - manche spielen für den Mindestlohn

Auf bis zu 60 Prozent ihrer Gehälter verzichten die Profis in der nun beginnenden Saison, größtenteils nach einem Dreivierteljahr Kurzarbeit mit maximal 2900 Euro pro Monat; manche spielen gar für den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. Der Münchner Nationalspieler Patrick Hager sagte am Dienstag: "Wenn es keine andere Möglichkeit gibt als einen Gehaltsverzicht, dann muss man miteinander reden." Den größten Beitrag zur Lösung hätten aber zweifellos die Spieler geleistet. Dass ausgerechnet Münchens Kapitän diesen Beitrag noch einmal betonen musste, entbehrt nicht einer leisen Ironie.

Zu all den Querelen, die längst auch den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) erfasst haben, hätte man im Sommer gerne auch den DEB einmal laut und deutlich gehört. Dessen Präsident Franz Reindl hegt Ambitionen auf die Spitzenposition im Weltverband IIHF, Krach im eigenen Haus dürfte dem 66-Jährigen eher ungelegen kommen. Stattdessen drang aus der DEB-Zentrale vergangene Woche die Kunde, dass Sportdirektor Stefan Schaidnagel von der Erfüllung seines bis April 2021 laufenden Vertrags freigestellt ist. Schaidnagel gilt als einer der Väter des Aufschwungs der Nationalmannschaften, sparte aber auch nicht mit pointierter Kritik am System DEL, aus dem sich wiederum die Nationalmannschaft speist. Die Trennung sei begründet in "unterschiedlichen Auffassungen über die Personalführung des Verbandes", hieß es in der Mitteilung des DEB.

Alles hängt mit allem zusammen. Bevor also am Donnerstag Köln und Düsseldorf die Saison eröffnen und sich beide - dieses eine Mal - ausnahmsweise und ganz offiziell sogar aufeinander freuen, gebührt das letzte Wort dem Trainer der Eisbären Berlin: "Die letzten Monate haben gezeigt, dass sich die Situation bei jedem Klub von heute auf morgen ändern kann", sagte Serge Aubin. "In dieser Saison ist wirklich alles möglich."

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