Debatte um Schlägereien im Eishockey:Fäuste gegen Verletzungen

New York Rangers v Anaheim Ducks

Patrick Maroon (links) von den Anaheim Ducks und Arron Asham von den New York Rangers geraten aneinander.

(Foto: AFP)

Seit ein 18-jähriger Spieler von Krämpfen geschüttelt liegen blieb, hat sich die Debatte über Faustkämpfe im US-Eishockey verschärft. Die Befürworter verteidigen die spektakulären Einlagen mit bizarren Argumenten.

Von Michael Neudecker

George Parros sieht aus wie Burt Reynolds in groß, er trägt einen coolen Schnauzer, er misst 1,96 Meter und wiegt 105 Kilogramm. George Parros ist eine Art schlitzohriger Actionheld mit Eishockeyschläger, in Nordamerika lieben ihn die Leute dafür; und dafür, dass er regelmäßig andere Spieler verprügelt.

Die Leute in Nordamerika lieben außerdem Statistiken, deshalb kann man mit Zahlen am besten erklären, wie der Eishockeystürmer George Parros in der Eliteliga NHL seinen Beruf ausübt: 472 Spiele, 18 Tore, 1062 Strafminuten. Gerade aber ist Parros verletzt, er hat sich eine Gehirnerschütterung zugezogen, bei einem Faustkampf im ersten Saisonspiel.

Parros, seit dieser Saison im Trikot der Montreal Canadiens, prügelte sich mit Torontos Stürmer Colton Orr (449 Spiele, zwölf Tore, 1150 Strafminuten), am Ende fiel Orr, er hielt sich an Parros' Trikot fest und riss ihn zu Boden, Parros knallte mit dem Gesicht auf die Eisfläche und blieb benommen liegen.

Das ist nun etwas mehr als zwei Wochen her, aber in Nordamerika ist das Thema immer noch präsent, denn die Sache mit Parros hat eine seit Jahren geführte Diskussion wieder nach ganz oben in der öffentlichen Agenda geschoben. Es geht um Faustkämpfe und die Frage, warum Eishockey immer noch der einzige Mannschaftssport ist, in dem Fighting ein tolerierter Bestandteil ist, ja: ein selbstverständlicher.

"Die Fighting-Debatte", so hat es ein Nachwuchstrainer neulich ausgedrückt, "wird so rational geführt wie die Waffen-Debatte in den USA: Zwei Seiten, die sich weigern, über die Argumente der anderen Seite auch nur nachzudenken."

Die Debatte hat sich vor ein paar Tagen noch verschärft, als der 18 Jahre alte Dylan Chanter in der Nachwuchsliga USHL bei einem Faustampf zu Boden fiel, mit dem Kopf aufprallte und minutenlang Krampfanfälle hatte. Das Spiel wurde abgebrochen, inzwischen wurde Chanter wieder aus dem Krankenhaus entlassen.

Ein paar Tage später fand in Rochester, Minnesota, ein Kongress zu Gehirnerschütterungen im Eishockey statt, und im Kontext dieser Wochen erschien die rein zufällige Terminierung des Kongresses als geradezu sarkastisch: Gerade die gefährlichen Verletzungen wie Gehirnerschütterungen dienen in der Faustkampf-Debatte ja nicht nur den Gegnern als Argument.

Die Befürworter verweisen darauf, dass Faustkämpfe als Mittel gelten, um hochbegabte Spieler zu beschützen - jedes Team hat Spieler, die alleinig zu diesem Zweck angestellt werden, George Parros hat dafür sogar Boxtraining absolviert. Gibt es keine Faustkämpfe mehr, so geht die Argumentation, dann gibt es auch keine Selbstregulierung mehr und keine Möglichkeit, die Spieler zu beschützen, die für die Glanzlichter sorgen, und die Verletzungen durch harte Checks würden zunehmen. Faustkämpfe verringern das Verletzungsrisiko, so kann man das zusammenfassen, es ist so absurd, wie es klingt.

Handschuhe müssen ausgezogen werden

"Wir müssen uns entscheiden, was für einen Sport wir haben wollen", sagt Steve Yzerman, General Manager der Tampa Bay Lightning und einer der Faustkampf-Gegner, "entweder erlauben wir alles und müssen die Konsequenzen tragen, oder wir machen den nächsten Schritt und verbannen die Kämpfe aus dem Spiel." Steve Yzerman hat 1710 NHL-Spiele bestritten, er weiß sehr gut, wie die meisten Fans zu dem Thema stehen. Er hat das schon so oft erlebt: wie sie aufspringen, wenn ein Kampf beginnt, wie sie schreien, klatschen. Wie sie jubeln.

Es gibt verschiedene Theorien, wie die Faustkämpfe ins Spiel kamen, die gängigste ist, dass es in den Anfängen im 19. Jahrhundert kaum Regeln gab. Im aktuellen NHL-Regelbuch sind dem Thema sechs Seiten gewidmet, unter Regel 46, "Fighting", ist zum Beispiel festgelegt, wie sich die Spieler zu verhalten haben, die nicht in den Faustkampf verwickelt sind, oder auch: "Wenn ein Spieler, der einen Kampf beginnt, einen Gesichtsschutz trägt, ist er wegen Unsportlichkeit zusätzlich zu bestrafen."

Außerdem müssen die Handschuhe ausgezogen werden, um den Effekt eines Treffers nicht zu erhöhen, es ist ein Ritual: Wer die Handschuhe wegwirft, will prügeln. Wer die Forderung verweigert, wird nicht mehr ernst genommen, von Gegnern und Mitspielern. Es gab im vergangenen Jahr eine Umfrage im Auftrag der Spielergewerkschaft, in der gefragt wurde, ob die Faustkämpfe verschwinden sollten, 98 Prozent der Spieler antworteten mit Nein.

Die Gegner fordern eine Reaktion der Liga

Auch im europäischen Eishockey sind Faustkämpfe Teil des Sports, nur: Wer prügelt, wird mit einer Spieldauerstrafe belegt, mindestens; Faustkämpfe sind in Europa dadurch deutlich seltener als in Nordamerika. Wer in der NHL an einem Faustkampf teilnimmt, muss lediglich für fünf Minuten auf die Strafbank, wobei in Regel 46 diverse Fälle definiert sind, in denen ein Spieler zusätzliche Strafen und/oder längere Sperren erhält: Schlägt ein Kämpfer auf seinen Gegner auch dann noch ein, wenn dieser sich in einer wehrlosen Position befindet, ist er als "Aggressor" einzustufen und erhält zusätzlich eine Spieldauerstrafe, und seit 1992 wird zudem derjenige, der einen Kampf provoziert, mit einer zusätzlichen Zehn-Minuten-Strafe belegt.

Die Gegner der Faustkämpfe fordern wie immer, wenn die Debatte wieder geführt wird, eine Reaktion vonseiten der Liga, aber die hat Angst, ein Entertainment-Element zu verlieren und damit zahlende Fans. Man werde "nicht aufgrund von Einzelfällen die Regeln ändern", teilte die NHL nach dem Parros-Unfall mit, außerdem sei ja vor der Saison eine Modifizierung vorgenommen worden: Seit dieser Saison werden Spieler, die ihren eigenen Helm vor einem Kampf abnehmen, mit einer zusätzlichen Zwei-Minuten-Strafe belegt.

Welche Auswirkung das hat, war schon in der Saisonvorbereitung zu sehen, als die New York Islanders und die New Jersey Devils aufeinandertrafen. Brett Gallant und Krys Barch prügelten sich bei der Gelegenheit, sie warfen ihre Handschuhe weg, und bevor sie aufeinander einschlugen, nahmen sie sich gegenseitig die Helme ab.

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