Debatte über Mario Balotelli:Er will doch nur spielen

Italy vs Armenia

Im Zentrum der Kritik: Mario Balotelli

(Foto: dpa)

"Ihr redet, ich mache Tore": Italiens Stürmer Mario Balotelli reagiert genervt auf die ständigen Debatten über sein Verhalten. Dabei nehmen die Diskussionen langsam absurde Züge an, sogar Models und Politiker mischen sich ein.

Von Birgit Schönau

Er selbst bleibt kurz angebunden: "Ihr redet, ich mache Tore", hat Mario Balotelli nach dem 2:2 gegen Armenien gesagt, dem letzten WM-Qualifikationsspiel für die längst qualifizierte Squadra Azzurra, bei dem er mit dem Ausgleichstreffer in der Schlussphase eine größere Blamage verhinderte. Es ist nicht das erste Mal, dass Balotelli sich so äußert. Sollen die anderen reden, er schafft lieber Fakten.

Das Problem ist nur, dass das Gerede trotzdem nicht verstummt. Kaum war das Spiel in Neapel abgepfiffen, da diskutierte Italien schon wieder über seinen Nationalspieler. Dabei hatte Balotelli auf dem Platz trotz Muskelzerrung und kaum überstandener Magen-Darm-Grippe unverdrossen Einsatz gezeigt. Aber dann kam der Auftritt am Flughafen von Neapel, wo der späte Charterflug für die Spieler des AC Mailand nicht starten durfte. Balotelli verlor die Nerven. Wieder einmal. Angeblich.

Er soll so lange gezetert haben, bis er zumindest nach Rom ausgeflogen wurde, um von dort aus am frühen Morgen nach Mailand weiter zu reisen. Man könnte jetzt einwenden, dass professioneller Arbeitseifer den Spieler zur raschen Heimreise trieb. Immerhin spielt Milan am Samstag gegen Udine und am kommenden Dienstag in der Champions League gegen Barcelona. Keine leichten Brocken für ein Team, das zurzeit der Konkurrenz hinterher hechelt. Das Match Italien gegen Armenien war hingegen ein besseres Trainingsspiel. Und die Flugaufsicht in Neapel hatte den Airport eine Viertelstunde vor der Zeit gesperrt.

Doch solche Einwände lassen Balotellis Kritiker nicht gelten. Balotelli, die Diva. Mario, der Rüpel. So geht das seit Jahren.

Kein anderer Nationalspieler wird derart scharf beobachtet, derart gnadenlos abgeurteilt wie dieser 23-Jährige mit den leiblichen Eltern aus Ghana. Keiner wird so oft Zielscheibe von Beleidigungen - wobei die Kurvenrowdys stets beteuern, sie schmähten Balotelli nicht wegen seiner Hautfarbe. Vielmehr, heißt es, fühlten sie sich durch sein schlechtes Benehmen provoziert.

"Ich würde ihn ja nicht mehr spielen lassen", schlug Martina Colombari vor, die Ehefrau des ehemaligen Milan-Spielers Billy Costacurta. Signora Colombari, die vor 22 Jahren als Miss Italia auch einmal einen Wettbewerb gewonnen hatte, erklärte im Radio: "Mario ist einfach ungezogen. Er taugt nicht zum Vorbild, das schärfe ich auch meinem Sohn ein."

Der Filius heißt übrigens Achill, nach jenem Helden von Troja, der auch nicht gerade als Musterknabe in die Legende einging. Dieser Achill war der Balotelli der Hellenen - ein jähzorniger Typ, der gern ausflippte und deshalb oft nicht mitspielen konnte. Bis die Griechen wieder bei ihm angekrochen kamen, weil sie ohne die Diva Achill das Tor nicht finden konnten.

Viele Gegenspieler des formidablen Rüpels Mario Balotelli würden sich bei Miss Colombari bedanken, wenn dieses Offensivtalent vom Platz gestellt und zum Benimm-Kurs kommandiert würde. Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli denkt tatsächlich laut darüber nach, den Spielern das Twittern zu verbieten. Es wäre eine Lex Balotelli. Anlässlich des Auftritts der Nationalmannschaft in Neapel hatte die Gazzetta dello Sport Mario Balotelli zur Symbolfigur im Kampf gegen die Camorra ausgerufen. "Wenn ihr meint", entgegnete Balotelli per Twitter: "Ich bin hier, um zu spielen." Das reichte, um die nächste nationale Debatte auszulösen.

Ausflug in eine Camorra-Hochburg

"Balotelli ist nur ein Dummkopf", erklärte die linke Senatorin Rosaria Capacchione, die als Journalistin seit Jahrzehnten über die Camorra berichtet und deshalb unter Polizeischutz steht. Capacchione räsonierte, Balotelli sei "bestenfalls ein verwöhntes Kind, das in einem Umfeld lebt, in dem die Unterscheidung zwischen Gut und Böse schwer fällt".

Wenn die Senatorin da mal nicht den Fußball mit den heimatlichen Gefilden des Journalismus verwechselte. "Was hat denn Balotelli mit der Camorra zu tun?" fragte sich Neapels Gerichtspräsident Carlo Alemi. "Wieso lässt man den nicht einfach Fußball spielen?"

Gemeinsam mit der Squadra Azzurra hatte Balotelli vor dem Match in Neapel auf dem Gelände einer Amateurmannschaft trainiert, die einst einem Camorra-Boss unterstand und heute einen Anti-Mafia-Staatsanwalt zum Präsidenten hat. Das Engagement gegen gesellschaftliche Missstände wird von Nationaltrainer Prandelli und seinem Team groß geschrieben - manchmal hat man indes das Gefühl, als sei die Squadra Azzurra politisch längst aktiver als die italienische Politik. Beim Training trugen die Spieler Trikots mit der Aufschrift: "Die Camorra ist nichts wert."

Solche Hemden könnten eigentlich auch die Profis des SSC Neapel gelegentlich überstreifen (und dafür ihre absurden Military-Trikots in Tarnfarben an den Nagel hängen). Ganz zu schweigen vom Einsatz von Anti-Mafia-T-Shirts im Parlament. Aber das ist nicht möglich, im Hohen Haus gilt Krawattenpflicht. Bleibt also nur die Nationalmannschaft.

Begleitet von einem Boss

Auch Balotelli trug das Hemd, doch von ihm wurde, wie so oft, noch etwas mehr erwartet. Vor einigen Jahren hatte er in Neapel einen Fauxpas begangen, aus Neugierde unternahm er einen Ausflug in die Camorra-Hochburg Scampia. Begleitet wurde Balotelli damals von einem Boss. Der Camorrista habe sich als Fan ausgegeben, beteuerte der Spieler. Die Staatsanwaltschaft glaubte ihm, die Öffentlichkeit nicht ganz.

Man erwartete deshalb jetzt von ihm ein Statement. Aber Balotelli ist kein Politiker und kein Aktivist, er hält keine Reden, er macht Tore. Das Bemerkenswerte ist, dass das in Italien nicht reicht. Kürzlich besuchte Integrationsministerin Cecile Kyenge die Azzurri im Trainingslager, sie ist das erste schwarze Kabinettsmitglied Italiens. Es war ein privater Besuch, Balotelli hielt währenddessen Mittagsschlaf. Er musste sich später für seine Abwesenheit entschuldigen. Als einziger.

Man stelle sich vor, das deutsche Nationalteam trainierte vor einem Qualifikationsspiel in Mecklenburg-Vorpommern mit einer lokalen Antifa-Mannschaft. Mesut Özil würde bei dieser Gelegenheit vom kicker zur Symbolfigur im Kampf gegen Neonazis erklärt und darauf leicht irritiert reagieren. Heidi Klum würde dann klagen, Özil sei kein Vorbild für ihre Kinder. Glücklich das Land, das solche Helden nicht braucht.

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