Debatte über die Fehlstart-Regel:Geschrei für den Geldbringer Bolt

Die Regel, wonach der erste Fehlstart zur Disqualifikation führt, erregt nach dem WM-Aus von Usain Bolt die Leichtathletik. Dabei gab es gute Gründe, sie einzuführen. Und es wäre lächerlich, wenn sie jetzt kippen würde, bloß weil seine Hoheit Usain von Bolt es nicht hinkriegte. Oder wollte sich da jemand ohnehin nur vor der Dopingkontrolle drücken?

Thomas Hahn

Drei Tage ist die Leichtathletik-WM in Daegu erst alt, und schon ist klar, was von ihr bleiben wird: eine Debatte über die seit 2010 verschärfte Regel 162.7 im Gesetzbuch des Weltverbandes IAAF, wonach jeder Fehlstart zur Disqualifikation führt. Es ist gut, dass es diese Debatte gibt, denn eine Regel, die keinen Spielraum für Versehen lässt, ist eine fragwürdige Regel.

Bolt of Jamaica covers his head with a shirt during a training session at the IAAF World Championships in Daegu

Im Rennen verschwand Usain Bolt wegen eines dubiosen Fehlstarts, am Tag versteckte er sich im Training unter einem Tuch. 

(Foto: REUTERS)

Allerdings ist ihr Aufhänger falsch: Es hat bisher viele Fehlstarts gegeben in Daegu, unter anderen sah der Hallenweltmeister Dwain Chambers im 100-Meter-Halbfinale die rote Karte nach einem Zucken, wie es jedem mal passieren kann. Aber das Geschrei ist erst groß, seit sich der Quotenbringer Usain Bolt im 100-Meter-Finale deutlich zu früh bewegte.

Man könne doch nicht die größte Attraktion des olympischen Kernsports wegen einer solchen Banalität an den Streckenrand setzen, finden viele.

Da kann man mal sehen, nach welchen Maßstäben in der Leichtathletik gemessen wird. Es gibt die wichtigen und die unwichtigen Sportler im Kampf um Aufmerksamkeit und Geld - und den wichtigen soll möglichst nichts passieren. Wenn man das Statement der IAAF zu Bolts Aus richtig liest, hätte auch der Verband die Regel am liebsten außer Kraft gesetzt für diesen einen schlechten Bolt-Moment.

"Natürlich ist die IAAF enttäuscht, dass Bolt einen Fehlstart begangen hat", heißt es da. Enttäuscht? Müsste der Dachorganisation nicht so neutral sein, dass es ihr ganz egal ist, wer gegen Regel 162.7 verstößt?

Die Fehlstartregel ist Mist, diese Meinung kann man gut vertreten. Aber auch wer das tut, muss zur Kenntnis nehmen, dass viele Sprint-Fachleute die Abschaffung des letzten freien Fehlversuchs vor zwei Jahren überfällig fanden. Zu häufig wurden Fehlstarts provoziert, um die Gegner zu verunsichern, zu oft verzögerte sich der Ablauf.

Als die IAAF über die Reform 2009 abstimmen ließ, gab es eine klare Mehrheit, und deshalb wäre es lächerlich, wenn sie jetzt kippen würde, bloß weil seine Hoheit Usain von Bolt es nicht hinkriegte. Zumal Bolts Fehlstart nicht einfach ein falscher Reflex war, sondern ein sprinthandwerklicher Fehler, für den er sich als erfahrener und überlegener Olympiasieger von seinem Trainer Glen Mills einen Rüffel verdient hat.

Wobei es noch ein ganz anderes Argument gäbe, für eine Reform der Reform: Wer als Favorit dem Dopingtest entgehen will, kann dies nach der aktuellen Fehlstartregel schnell erledigen, ohne sich verletzt melden zu müssen: Er muss sich nur etwas zu früh bewegen. Natürlich, dem Argument wohnt eine Unterstellung inne. Aber die Sportindustrie sagt doch selbst: Nichts ist unmöglich.

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