Debatte nach Schweizer Sieg:Adler auf Tiefflug

Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri sorgen mit ihren Jubelgesten beim 2:1 gegen Serbien für Aufregung - rund um die Schweizer Auswahl bricht eine Diskussion auf, die schon beendet zu sein schien.

Von Thomas Schifferle, Kaliningrad

Das Spiel gegen Serbien ist kaum zu Ende, da verbreitet Granit Xhaka auf seinem Instagram-Konto in die Welt: "We did it bro @shaqirixherdan". Ja, sie haben es gemacht, er und Shaqiri, sein, "bro", sein Bruder im Geiste. Sie haben die Schweiz zum Sieg geführt mit ihren Toren zum 1:1 und 2:1. Und sie haben noch etwas gemacht. Und das ist jetzt das Problem.

Ihre Tore sind kleine Kunstwerke, der wuchtige Distanzschuss von Xhaka in der 52. Minute, der Sturmlauf von Shaqiri kurz vor dem Ende. Und sie sind wertvoll - weil die Schweiz jetzt fast im Achtelfinale steht, auf Augenhöhe mit Brasilien in der Gruppe E. Im Moment des größten Glücks spüren die beiden nur eines, sagen sie, an diesem Freitagabend in Kaliningrad: "Emotionen pur." An ihre Herkunft denken sie indes schon auch. Shaqiri ist in Gjilan im Kosovo geboren, Xhakas Eltern stammen aus Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Und beide zeigen nun diese kleine Geste, die so große Wirkung hat: Sie halten die Hände vor der Brust, verhaken die Daumen ineinander, spreizen die Finger - der Doppeladler, das Wappentier Albaniens.

Es gibt in diesem Augenblick keine überflüssigere Reaktion. Und es geht noch weiter: Xhaka baut sich nach seinem Tor vor den serbischen Zuschauern auf, Shaqiri macht es ihm später nach. Die Serben fühlen sich provoziert. Sie haben kein gutes Verhältnis mit Albanien, die Unabhängigkeit Kosovos erkennen sie nicht an. Andererseits haben die Serben das die Schweizer das ganze Spiel über spüren lassen, nicht nur mit Pfiffen. Während der ersten 20 Minuten erklang immer wieder der Spruch "Töte den Albaner", der dabei verwendete Begriff "Siptara" ist auf dem Balkan eine rassistische Beleidigung. Die Fifa hat mittlerweile ein Verfahren eröffnet: gegen Xhaka und Shaqiri, auch gegen die serbischen Fans sowie gegen den serbischen Trainer Mladen Krstajic, der sich nach dem Spiel die größte Entgleisung geleistet hat.

Debatte nach Schweizer Sieg: Ein Symbol für die albanische Flagge und womöglich eine Provokation des Gegners Serbien: Die Schweizer Granit Xhaka (links) und Xherdan Shaqiri zeigen beim Torjubel den Doppeladler.

Ein Symbol für die albanische Flagge und womöglich eine Provokation des Gegners Serbien: Die Schweizer Granit Xhaka (links) und Xherdan Shaqiri zeigen beim Torjubel den Doppeladler.

(Foto: dpa)

Und rund um die Schweizer Auswahl bricht eine Diskussion auf, die schon beendet zu sein schien.

2014 feierten Pajtim Kasami, auch er ein albanischstämmiger Schweizer, und Xhaka Tore für ihre damaligen Vereine Piräus und Mönchengladbach mit dem Doppeladler. "Wir hatten eine Polemik", erinnert sich Coach Vladimir Petkovic. Die Verantwortlichen des Schweizer Verbandes redeten den Spielern ins Gewissen. Die versprachen Besserung. Ein paar Tage später stellte Xhaka ein Bild von einem Friseurbesuch auf Instagram: er mit dem Adler.

Xhaka und Shaqiri versuchen jetzt, ihrem Jubel die Brisanz zu nehmen. Xhaka sagt: "Der Doppeladler war keine Mitteilung an den Gegner. Der war mir scheißegal." Also der Gegner. Und Shaqiri: "Darüber will ich nicht reden. Wir sind nicht in der Politik. Ich bin ein Mensch des Sports." Das ist zumindest zweifelhaft - Shaqiri hatte im November 2012, in seiner Zeit beim FC Bayern, die umstrittenen kroatischen Kriegsgeneräle Ante Gotovina und Mladen Markac gegrüßt, mit seinem Mitspieler Mario Mandzukic. Der deutsche Verband beließ es bei einer Rüge.

Serbia v Switzerland: Group E - 2018 FIFA World Cup Russia

Nein, dieses ist nicht der Schweizer Nationalsport Schwingen. Es ist Fußball, der an Schwingen und Ringen erinnert: Im zweiten Vorrundenspiel legten die Schweizer Schär und Lichtsteiner den Serben Mitrovic (in Rot) auf den Rasen - trotz Videobeweis gab es zum globalen Erstaunen keinen Elfmeter.

(Foto: Matthias Hangst/Getty)

Generalsekretär Alex Miescher und Claudio Sulser als Delegierter des Nationalteams machen sich am Tag danach auf, im Quartier in Toljatti Stellung zu nehmen. Sie unternehmen alles, um dem Tiefflug des Adlers die Bedeutung zu nehmen. Sulser redet von einer "spontanen Reaktion": Die sei ohne nachzudenken erfolgt, ohne bösen Willen. Miescher bittet um das Recht des Verbandes, den Vorfall anders zu gewichten, als andere das täten. Sulser sagt auch, er habe mit den Spielern gesprochen. Aber was? Dazu sagt er nichts. Nationaltrainer Petkovic - er stammt aus dem damals zu Jugoslawien gehörenden Bosnien und sagte nach Spielende noch, man solle Politik nicht mit Sport mischen - weicht Fragen zu dem Thema jetzt aus. Xhaka darf gar nicht mehr reden.

Vielleicht hätte es nicht geschadet, das sensible Thema vorab in den Griff zu kriegen, um Einfällen wie von Xhaka und Shaqiri vorzubeugen. Doch nur Valon Behrami, geboren in Mitrovica, Nordkosovo, hatte sich öffentlich ein paar Wochen vorher seine Gedanken dazu gemacht: "Serbien ist für mich ein normaler Gegner. Wir denken nicht, dass der Fußballplatz ein Kriegsplatz ist. Ich will nur spielen. Was zwischen Serbien und Albanien passiert, das ist nur inszeniert. Wir sind Fußballer, wir sind Vorbilder für die Kinder."

Aber Serbien war dann eben doch kein normaler Gegner, das zeigt sich auch bei Behrami, der sich nach Shaqiris Tor ebenfalls vor den serbischen Fans aufbläst. Und das bringt auch Xhaka zum Ausdruck, als er dem Schweizer Fernsehen noch am Spielort sagt: "Es war für mich ein spezielles Spiel. Tausend Leute, Millionen Leute haben mir vorher geschrieben, Familienmitglieder aus der Schweiz, aus Albanien, aus dem Kosovo. Der Sieg ist für meine Familie, die mich immer unterstützt hat. Und der Sieg ist auch für den Rest aus Albanien, aus dem Kosovo, aus der Schweiz, aus der Welt." Kleiner geht es wohl nicht in diesem Moment, dafür ist Xhaka zu aufgewühlt.

Die Pfiffe und Hassgesänge aus dem serbischen Block stehen eben auch dafür, welchen Anfeindungen die Shaqiris und Xhakas offenbar in den vergangenen Tagen ausgesetzt waren, "welchen Provokationen", wie Stephan Lichtsteiner erklärt. Der Kapitän sagt Bemerkenswertes: "Ich glaube, es gehört zu ihrer Kultur, zur ganzen politischen Geschichte, dass sie so jubelten. Ich denke, kein Schweizer hat ein Problem damit." Kein Problem? Ernsthaft? "Im Gegenteil", behauptet Lichtsteiner, "ich habe mit Vätern von Spielern geredet, sie haben mir erzählt, wie extrem der Druck auf sie war. Es war ein extremer Kampf mit extremen Emotionen. Ich finde es okay, dass man ein Tor ausgiebig feiert."

Krstajic: „Nach Den Haag“

Welche Karte er dem Schiedsrichter Felix Brych zeigen wolle, wurde der serbische Trainer Mladen Krstajic am Tag nach dem 1:2 gegen die Schweiz gefragt, gelb oder rot? Krstajic sagte erst mal: weder noch. Dann verstieg er sich zu einem Vergleich, der die Disziplinarkommission der Fifa bewog, "Voruntersuchungen" gegen den Serben einzuleiten. Krstajic verglich Brych mit einem Kriegsverbrecher.

"Ich würde ihn nach Den Haag schicken", sagte der frühere Bundesligaprofi (Werder, Schalke) über Brych, der die Partie geleitet hatte, "damit sie ihm den Prozess machen, wie sie ihn uns gemacht haben." Den Haag ist Sitz des UN-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien, dieses hat zahlreiche Serben wegen schwerster Kriegsverbrechen verurteilt. Krstajic droht wegen der Entgleisung nun eine Sperre.

Auch Verbandsvertreter geben dem 42 Jahre alten Brych die Schuld an der Niederlage - weil er Serbien in der 66. Minute einen Strafstoß verweigert habe. Da hatten sich die Schweizer Schär und Lichtsteiner im Strafraum eine Art Ringkampf mit dem Serben Mitrovic geliefert, Brych entschied auf Freistoß für die Schweiz. Weil Brychs Video-Helfer Felix Zwayer und Bastian Dankert dies nicht korrigierten, schickte Serbiens Verband FSS auch ein Protestschreiben an die Fifa; der Weltverband bestätigte den Eingang, ohne weitere Angaben zu machen. FSS-Vize Savo Milosevic sprach von einer Verschwörung: "Vielleicht funktioniert der Videobeweis nur für einige Teams. Das ist skandalös."

Selbst bei mehrmaliger Ansicht der TV-Bilder ist freilich nicht klar zu erkennen, wer wen als erstes foult. Die Entscheidung Brychs war vertretbar, sie war auch nicht unbedingt ein Fall für den Videobeweis - der soll ja klare Fehlentscheidungen korrigieren. Unabhängige Beobachter lobten Brych für dessen Spielleitung. Offen blieb, warum die Fifa dem Münchner ausgerechnet diese Partie anvertraute. "Ich kann nicht glauben, dass ein Deutscher für ein Schweiz-Spiel angesetzt wird", klagte der Serbe Aleksandar Kolarov: "Die haben die ganze Zeit Deutsch gesprochen."

Lichtsteiner kann sich auch irren. Tatsächlich wird diese Mannschaft in der Schweiz nicht bedingungslos vom Publikum getragen. Das wird sie erst, wenn sie Erfolg hat. Unterschwellig schwingt sonst schnell der Vorhalt mit, dass gerade Xhaka und Shaqiri gerne mit den Gedanken in die Heimat der Eltern abschweifen. Es ist eine Analogie zur Özil-Gündogan-Debatte, die gerade in Deutschland läuft.

Xhaka, inzwischen beim FC Arsenal unter Vertrag, wird im September 26, Shaqiri, derzeit bei Stoke City, im Oktober 27. Xhaka kommt auf 64 Länderspiele für die Schweiz, Shaqiri auf 72. Es gibt keinen Anlass, die Loyalität der beiden zum Nationalteam anzuzweifeln, ihre Leistungen gegen Serbien sprachen Bände. Etwas mehr politische Sensibilität könnte trotzdem nicht schaden.

Und doch ist diesmal etwas anders als zuletzt bei den Schweizern. Gerade der Kapitän Lichtsteiner (bisher Juventus, ab Juli ebenfalls Arsenal) hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit der Zusammensetzung der Mannschaft beschäftigt. Einmal sagte er: "Für die Schweiz ist es extrem wichtig, auf die Identifikationsfiguren aufzupassen - denn wirklich viele haben wir nicht mehr." Ihm gehe es nicht um angeblich richtige Schweizer oder um die sogenannten anderen Schweizer, sondern darum, "dass sich das Volk weiterhin mit dem Nationalteam identifizieren kann". Lichtsteiner strich auch heraus, wie sehr die Schweiz von der aktuellen Generation profitiere, und auf die kulturelle Offenheit des Landes sei er "stolz". Andererseits: Spieler wie Tranquillo Barnetta oder Pirmin Schwegler seien auch wichtig - "für das Team und für die Fans". So sagte er das im März 2015 und sorgte für mediale Aufregung. Wer ihm Böses wollte, unterstellte ihm ein Unbehagen gegenüber dem wachsenden Einfluss der Gruppe um Behrami, Shaqiri, Xhaka. Noch bei der EM 2016 in Frankreich war das ein großes Thema rund um das Team: der vermeintliche Graben zwischen Spielern mit und ohne Migrationshintergrund.

Am Freitag jubelte Lichtsteiner an vorderster Front mit. Auch er, geboren in Adligenswil im Kanton Luzern und ohne Migrationshintergrund, machte den Doppeladler - nun ermittelt die Fifa auch gegen ihn. Das Schweizer Team, das soll wohl die Botschaft sein, steht zusammen.

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