Süddeutsche Zeitung

Debatte nach Neymars Verletzung:"Die WM verkommt zu einem Treter-Festival"

Die Fußballwelt bedauert das WM-Aus des Brasilianers Neymar und gibt die Schuld dem Schiedsrichter. Zu viele harte Fouls werden nicht geahndet - ein genereller Trend, der bei diesem Turnier zu vielen Verletzten führt. Ex-Referee Urs Meier macht die Fifa mitverantwortlich.

Es ging mächtig zur Sache zwischen Kolumbien und Brasilien - am Ende lag mit Neymar einer der besten dieser WM im Krankenhaus und ein ganzes Land betrauert nun sein Aus bei diesem Turnier. Am Tag nach dem hart geführten Viertelfinale beherrscht die Fußballwelt eine generelle Debatte über die Leistungen der Schiedsrichter bei dieser Endrunde. Empörung, Frust, herbe Kritik - die Reaktionen fallen teilweise drastisch aus.

Argentiniens Legende Diego Maradona wütete in seiner Sendung "De Zurda" des venezolanischen Senders Telesur über den Spanier Carlos Velasco, der die Brasilien-Partie geleitet hatte: "Der Schiedsrichter war der mieseste, den ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe." Und der frühere Top-Schiedsrichter Urs Meier kritisierte: "Das (den Ausfall Neymars, d. Red.) hat die Fifa mitzuverantworten." In einem Gastbeitrag für Focus Online schrieb sich der Schweizer den Frust von der Seele, den er mit zahlreichen Beobachtern teilt.

"Der Ball wird zur Nebensache. Die WM verkommt zu einem Treter-Festival", stellte Meier deprimiert fest. "Der Fußball bei dieser WM ist viel zu physisch und körperbetont, die Messlatte für Gelbe Karten viel zu hoch angesetzt worden. Es wird getreten, gehalten, gezerrt und gemeckert - die Grenzen werden auf jedem Gebiet überschritten. Die Referees lassen viel zu viel laufen und greifen kaum in die Brusttasche", schimpfte er weiter.

Die Diskussion wird durch die WM-Statistik gestützt. Verteilten die Unparteiischen bei der WM 2010 in Südafrika noch 245 Gelbe Karten, waren es bei diesem Event bis zum Freitagabend lediglich 159. Deutschlands Schiedsrichter-Boss Herbert Fandel hatte sich deshalb schon zur WM-Halbzeit besorgt über diesen Trend geäußert.

"Wir sehen Vergehen, bei denen wir sagen: Hier müsste eigentlich eine Verwarnung her. Wenn diese notwendigen Verwarnungen nicht ausgesprochen werden, ist man zunächst einmal verwundert. Wenn dies dann zur Regel wird, ist man mehr als irritiert", sagte Fandel im kicker-Interview und fügte hinzu: "Schiedsrichter sollen ein Spiel leiten, und der Fußball muss im Mittelpunkt stehen. Allerdings ist es auch ihre Aufgabe, gewisse Grenzen zu setzen. Wenn man das nicht tut, schadet es dem Fußball eher."

In den Chor der Kritiker stimmte auch TV-Experte Mehmet Scholl ein. Der frühere Nationalspieler wetterte nach dem 2:1 der Brasilianer gegen Kolumbien in der ARD: "Ich bin richtig sauer und richtig enttäuscht. Das kommt dabei raus, wenn die Schiedsrichter nicht in der Lage sind oder die Vorgabe haben, brutale Fouls nicht zu stoppen. Dann wird ein Neymar verschluckt, der wird vom Platz getragen. Das war jetzt nicht mehr meine Sportart."

Im Südamerika-Duell am Freitagabend gab es mit 54 Fouls so viele wie zuvor nicht bei dieser WM - aber nur vier Gelbe Karten. "Das passt zum Stil bei dieser WM. Man toleriert wahnsinnig viel. Da braucht sich niemand wundern, dass es Verletzte gibt. Das wird in Kauf genommen", kritisierte Meier. Das brutale Foul von Juan Zúñiga an Neymar, welches den kleinen Dribbler vom FC Barcelona in den Krankenstand beförderte, wurde nicht einmal geahndet. Der Referee ließ die Partie weiterlaufen, weil die Brasilianer sich eine Konterchance erspielten.

Maradona warf dem Unparteiischen allerdings auch vor, bei Fouls der Brasilianer weggeschaut zu haben. Die Schiedsrichterleistung gehöre zu einem Geheimplan der Fifa , Brasilien ins Halbfinale zu bringen, behauptete Maradona. Meier hielt der Fifa derweil vor, die Akteure zu gefährden, um spektakuläre und kampfbetonte Spiele bieten zu können. Besonders betroffen seien Techniker wie Neymar oder auch Mesut Özil. Sie würden darunter leiden, "dass sie ständig auf die Socken kriegen. Sie können sich gar nicht richtig entfalten, weil sie bei jeder Gelegenheit umgetreten werden."

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