DDR-Zwangsdoping:10,5 Millionen Euro Entschädigung - aber wer zahlt?

DDR-Zwangsdoping: Ein kleiner Kreis von Dopingopfern wie Andreas Krieger, vor seiner Geschlechtsumwandlung Heidi Krieger, hat bereits eine Entschädigung erhalten. Nun können auch noch andere Betroffene auf eine Entschädigung hoffen.

Ein kleiner Kreis von Dopingopfern wie Andreas Krieger, vor seiner Geschlechtsumwandlung Heidi Krieger, hat bereits eine Entschädigung erhalten. Nun können auch noch andere Betroffene auf eine Entschädigung hoffen.

(Foto: Imago/ND-Archiv)
  • Politik und Sport sind sich einig, dass Entschädigungen an die Opfer des DDR-Zwangsdopings gezahlt werden müssen.
  • Der DOSB lehnt jedoch eine eigene finanzielle Beteiligung ab.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

In beklemmenden Listen haben die Verantwortlichen des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH) die Fälle und Folgen des Zwangsdopings im DDR-Leistungssport dokumentiert. Da ist die Schwimmerin, die an Brustkrebs erkrankt ist. Der Leichtathlet, der an schweren Depressionen leidet. Die Sportlerin, die schon mehrere Fehlgeburten zu beklagen hatte. Das behinderte Kind, dessen Eltern beide Leistungssportler waren. Mehr als 700 konkrete Fälle liegen dem DOH vor, Schätzungen gehen von etwa 2000 Betroffenen aus: die Folgen eines Zwangsdopingsystems namens "Staatsplan 14.25".

Auch Tausende Minderjährige wurden größtenteils ohne ihr Wissen mit Hormonen vollgepumpt. Vor gut zehn Jahren gab es für knapp 200 ehemalige Athleten eine finanzielle Entschädigung. Doch die Opferzahlen steigen weiter, viele Spätfolgen zeigen sich erst jetzt. Manche Athleten brauchen auch Zeit, um den Mut zu finden, sich zu offenbaren.

Seit Langem setzt sich der DOH dafür ein, dass sich in der Causa noch mal etwas tut - bisher vergebens. Doch exakt 25 Jahre nach Vollzug der deutschen Einheit sieht es so aus, als könnte sich das ändern. Der CDU-Politiker Ole Schröder, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, kündigte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk an, dass schon im kommenden Jahr 10,5 Millionen Euro an Dopingopfer fließen sollen.

"Wir sind dankbar, dass die Politik diesen Vorstoß macht, aber wir sind damit nicht am Ende", sagt die DOH-Vorsitzende Ines Geipel. Etwa 1000 Opfer sollen in einer Einmalzahlung je 10 500 Euro erhalten. Das ist nicht sehr viel Geld und reicht in der Regel nicht, um Medikamente und Reha über einen mehrjährigen Zeitraum zu decken. Die Opfervertreter drängen seit Langem auf ein nachhaltigeres Konzept, etwa eine Rentenregelung. Aber die gilt als politisch nicht durchsetzbar.

Und sicher sind den Dopingopfern die 10,5 Millionen Euro auch noch nicht. Schröders Vorstoß muss noch durchs Parlament. Im ursprünglichen Entwurf für den Haushalt 2016 war das Geld nicht eingespeist. Mancher verweist auf die Differenz gegenüber den Entschädigungsrunden vor einem Jahrzehnt. 2002 erhielten zunächst 194 Dopingopfer jeweils 10 500 Euro. Etwas später gab es dann für 167 Personen noch einmal etwas mehr als 18 000 Euro, insgesamt zirka drei Millionen Euro.

Die Hälfte davon bezahlte Jenapharm, Rechtsnachfolger der VEB Jenapharm, deren Erzeugnisse die DDR-Sportler einst schluckten. Den Rest steuerte zu zwei Dritteln der Bund bei, zu einem Drittel der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Unterm Strich gab es also damals fast 30 000 Euro, jetzt nur 10 000 Euro. Bemerkenswert ist auch, dass die Gelder nur für Opfer des DDR-Sports fließen sollen; dabei gab es, wie in Studien dokumentiert, auch im Westen flächendeckendes Doping, in Teilen geduldet bis unterstützt vom Staat.

Staatssekretär Schröder nimmt DOSB in die Pflicht

Die Politik setzt mit ihrem Vorstoß zugleich den organisierten Sport unter Druck. Der Beitrag des DOSB für die Dopingopfer belief sich zuletzt auf 5000 Euro für den Hilfeverein. "Es war staatliches Doping, aber es war natürlich auch Doping des Sports, und ich gehe davon aus, dass der Sport in gleicher Weise seiner Verantwortung gerecht wird und ebenfalls 10,5 Millionen Euro bereitstellt", sagte nun Staatssekretär Schröder. Offenkundig gab es zuletzt diverse Gespräche zwischen Ministerium und DOSB, in denen der Sport sich weigerte, eigenes Geld beizusteuern.

Daran ändert auch Schröders Vorstoß nichts, der DOSB wehrt sich mit diversen Argumenten. Verblüffenderweise zweifelt sein Chef Alfons Hörmann ganz allgemein an, dass der Staatssekretär einen eigenen deutlichen Beitrag vom Sport einfordert. "Das haben wir in dieser Größenordnung so nie besprochen", sagt er und entgegnet dem Einwand, diese Forderung lasse sich doch recht eindeutig im Interview-Original nachhören: "Ich hab mir noch nicht die Mühe gemacht, das anzuhören, weil ich solche Themen vertraulich bespreche und nicht über die Medien austausche." Zudem sei es derzeit unmöglich zu wissen, wie viel Geld insgesamt notwendig ist, die Prognosen dazu seien noch sehr unterschiedlich.

Der Sport ist auch der Meinung, dass es sich bei den 10,5 Millionen Euro in gewissem Sinne ohnehin um sein eigenes Geld handelt. "Das ist Geld, das dem Sport dann schlichtweg an anderer Stelle fehlt", sagt Hörmann. Das Ministerium weist diese Interpretation zurück. In der ursprünglichen Aufstellung des Haushaltes für 2016 waren für den Sport, wie schon fürs laufende Jahr, etwas mehr als 160 Millionen Euro vorgesehen. Die 10,5 Millionen Euro für die Dopingopfer soll es zusätzlich geben.

Ein weiteres Argument: Der Sport habe gar keine eigenen Mittel. Dass sich der DOSB gerade einen Neubau für 25 Millionen Euro leistet, den er zur Hälfte selbst finanziert, sieht Hörmann aufgrund des Finanzierungsmodells nicht als Widerspruch. Auch einen Beitrag über die DOSB-nahe Stiftung Deutscher Sport hält er nicht für möglich; dies sei mit dem Stiftungszweck nicht vereinbar.

Dieser ist aber weit gefasst, er umfasst auch den Punkt "Kampf gegen Doping". Und er lässt sich sogar so weit dehnen, dass der DOSB für seinen Neubau eine Einnahme über eine Million Euro aus der Stiftung verbucht. Hörmann hält eine Beteiligung an einer weiteren Entschädigungs-Runde für die Dopingopfer nur dann für möglich, wenn sich die Einnahmen des DOSB erhöhen würden. Diese setzen sich aus Mitgliedsbeiträgen sowie Vermarktungs- und Lotterieerlösen zusammen.

Dem DOH stößt diese Haltung sauer auf. "Die Opfer sind nicht bereit, diese Hinhaltetaktik hinzunehmen", sagt die Vorsitzende Ines Geipel. Und auch das Innenministerium dürfte sich genau anschauen, wie sich der Sport in dieser Frage verhält. Denn von der großen Reform des Leistungssports bis zur Bewerbung um die Sommerspiele 2024 in Hamburg gibt es noch diverse andere Themen, in denen der DOSB auf das Ministerium angewiesen ist.

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