Davis Cup:Tim und Struffi gegen die ganze Kapelle

Durch den überraschenden Sieg von Jan-Lennard Struff und Tim Pütz im Doppel braucht Deutschland nur noch einen Sieg, um ins Halbfinale einzuziehen.

Von Philipp Schneider, Valencia

Vier Stunden und 36 Minuten waren gespielt, als sich Jan-Lennard Struff und Tim Pütz von ihrer Bank erhoben, ein letzter Seitenwechsel, aber das konnten sie noch nicht wissen. 276 Minuten war es hin und her gegangen, fünf Sätze waren so gut wie gespielt, und wenn ein Tennismatch 276 Minuten dauert, dann hat es niemand mehr verdient, als Verlierer vom Platz zu gehen. Struff und Pütz liefen über den Sand und sie rannten gegen eine Wand aus Lärm. Fast Zentausend Zuschauer auf den Tribünen sangen und grölten ihnen entgegen, und zum ersten Mal an diesem langen Tag gab die Kapelle Ruhe. Ja, die Kapelle.

Wenn in Deutschland Davis Cup gespielt wird, dann gibt es Kuhglocken und Klatschpappen. Wenn die Belgier in der Halle in Frankfurt zu Gast sind, dann bringen sie einen Trommler mit. In Spanien gibt es gleich ein ganzes Orchester. Vier Posaunen, vier Saxophone, zwei Tuben, drei Trommeln, eine Pauke. Und die Musiker spielen nicht einfach nur Rummtata. Sie spielen komplette Lieder. "When the saints go marching in", "Yankee Doodle", "I will follow you", "Ol' man river", "Viva Espana", "Rivers of Babylon", "Gonna fly now" aus dem Film "Rocky". Ein paar Scheiben halt aus der guten, alten Plattensammlung. "Es war schon sehr laut zwischen den Punkten. Man konnte sich manchmal nicht verständigen", sagte Struff später. In der Tat war die Kapelle am Samstag in Valencia angetreten, um Pütz und Struff aus der Stierkampfarena zu blasen. Aber jetzt, nach 276 Minuten, blies niemand mehr ins Blech oder Holz. Die Kapelle ahnte Schlimmes. Pütz hatte keine Lust mehr auf Tennis. Also servierte er wie ein Technokrat.

Aufschlag, Return ins Netz. Aufschlag, Return ins Netz. Aufschlag, Feliciano Lopez schickte den Ball in den Himmel. Und den Schlusspunkt setzte Struff, ganz typisch, ein bisschen schräg. Er brachte einen letzten Volley über das Netz, auf den Knien, der Ball hoppelte zweimal auf den Boden. 6:3, 6:4, 3:6, 6:7 (4), 7:5, nach 4 Stunden und 39 Minuten. Damit geht Deutschland mit einer 2:1-Führung in den Schlusstag des Viertelfinals im Davis Cup gegen Spanien. Am Freitag hatte Alexander Zverev Deutschland mit einem Sieg gegen David Ferrer in Führung gebracht, danach hatte Rafael Nadal Philipp Kohlschreiber in drei Sätzen abgefertigt. Am Sonntag fehlt Deutschland nur noch ein Punkt, den wahlweise Zverev im Einzel gegen Nadal (11 Uhr) beisteuern kann, oder aber irgendwer im zweiten Match. Offiziell geplant ist eine Partie zwischen Kohlschreiber und Ferrer.

Ein Doppel im Viertelfinale des Davis Cups schreibt oft keine eindimensionale Geschichte. Aber diese fünf Sätze, die Kapitän Michael Kohlmann abwechselnd als "Schlacht" und "Achterbahn" bezeichnete, hatten einen Bruch, eigentlich sogar zwei. Einen nach dem zweiten Satz, einen weiteren mitten im fünften. Lange Zeit lief alles wie nach Plan für Struff und Pütz, fast unwirklich gut. Das spanische Doppel Feliciano und Marc Lopez, nicht verwandt oder ansonsten verbandelt, hat 2016 immerhin die French Open gewonnen. Struff und Pütz haben keine Pokale vorzuweisen, keine Titel, sie haben etwas viel Besseres. Sie sind unbesiegt. Im Davis Cup, auf der Challenger-Tour - und in der deutschen Bundesliga.

Diesen Pütz, nein, den habe er vorher nicht gekannt, sagt Feliciano Lopez und schaut sehr traurig

Struff, einer der größten Haudraufs im internationalen Tennis, was Fluch und Segen zugleich ist für ihn, und Pütz, ein reaktionsschneller Zappler am Netz, bilden seit vergangenem Jahr das von Kohlmann sowohl mutig als auch erfolgreich zusammengestellte deutsche Doppel. Schon in Portugal im vergangenen Jahr und in der ersten Runde in Australien Anfang des Jahres hatten Struff und Pütz, Spitzname Tim und Struffi, mit wichtigen Siegen zu den jeweiligen Erfolgen beigetragen. Beide Male ebenfalls in fünf Sätzen. "Wir hätten uns das nach einer 2:0-Satzführung heute gerne erspart, aber sind froh, dass es am Ende doch gereicht hat", sagte Pütz, der sonst lediglich bei unterklassigen Turnieren spielt. "Für mich ist der Davis Cup eine sehr große Bühne, die ich sonst so nicht betreten kann aufgrund meiner Ranglistenposition."

Ob er von Struff und Pütz vorher überhaupt schon einmal gehört habe, wurde Feliciano Lopez nach seiner Niederlage gefragt. Lopez schaute in diesem Moment extrem traurig aus seinen sehr großen Augen. "Ich kannte Struff. Ich habe ja bei den Australian Open gegen ihn verloren, als er mit seinem japanischen Doppelpartner gespielt hat (Ben McLachlan, d. Red.)." Pütz allerdings, nein, dieser Pütz sei ihm bislang noch nicht wahrhaftig bekannt gewesen, erzählte Lopez. Wobei Lopez nicht "Pütz" sagte, sondern "Butz".

Pütz, der 2012 schon einmal fast seine Karriere beendet hätte, weil er eigentlich seinen Master in Volkswirtschaft machen wollte, dann aber weiter spielte, weil er an der Universität Frankfurt keinen Studienplatz erhielt, ebenjener Pütz spielte im fünften Satz ein Aufschlagspiel, an das er sich noch lange erinnern wird. Nicht das, in dem er diesem nicht enden wollenden Match ein überraschend müheloses Ende bereitete. Sondern jenes kurz zuvor, das er mit Gewalt an sich reißen musste.

Fünf Breakbälle hatten die Spanier bei 4:3-Führung im letzten Satz. Bei Pütz streikte der erste Aufschlag, dann servierte er einmal auf die Linie, schlug einen weiteren Ball auf die Linie. Und Struff traf noch einen Ball mit dem Rahmen. "Gefühlt waren das mehr als fünf Breakbälle" sagte Struff. Und Sergi Bruguera, der spanische Teamchef, ätzte: "Wenn wir dieses Match 100 Mal spielen, dann gewinnen wir es in 99 Fällen." Das mochte sein. Aber am Sonntag bleiben den Spaniern noch zwei Matches. Und in beiden Fällen müssen sie gewinnen.

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