Goldmedaille im Kugelstoßen:Wie David Storl das Establishment überrumpelte

David Storl überrascht die Favoriten und wird mit 21 der jüngste Weltmeister der Kugelstoß-Geschichte. Seine Leistungssteigerung in Daegu ist enorm und es zeigt sich: Talentsuche ist nicht wirklich eine Frage des Systems, sondern auch des Zufalls.

Thomas Hahn, Daegu

Es war auf einmal so einfach, stark zu sein in der bunten, bewegten Atmosphäre des WM-Stadions von Daegu. David Storl schaute zu der kleinen deutschen Delegation auf der Tribüne, zu der auch sein Trainer Sven Lang gehörte. Die freuten sich schon alle, weil er Silber sicher hatte. Um ihn herum waren lauter geschlagene dicke Männer, und Ralf, sein Landsmann Ralf Bartels, der frühere Europameister, der als Zehnter jetzt auch zu den geschlagenen dicken Männern gehörte, - Ralf also war auch in so einer aufgeräumten Stimmung.

Locker bleiben, sagte Ralf Bartels, und das machte David Storl dann auch. Er lächelte, als er sich auf seinen letzten Stoß vorbereitete. Er glitt durch den Ring, er drückt die Kugel vom Hals und sah, wie sie weit im Feld ins Gras fiel. 21,78 Meter. Wenig später stand er mit der Goldmedaille um den Hals auf dem Siegerpodest und sang leise die Nationalhymne mit.

Wenn man die Zeit einfrieren könnte und aufbewahren, dann sollte David Storl, 21, aus Chemnitz, der jüngste Kugelstoß-Weltmeister der Leichtathletik-Geschichte, das machen mit diesen Augenblicken des Triumphs von Daegu. Denn die kommen nicht wieder. Man ist nur einmal so jung, dass man das Establishment überrumpeln kann. David Storl kann sich von der Speerwurf-Kollegin Christina Obergföll aus Offenburg erzählen lassen, wie das ist, wenn man auf einmal wer ist und die Erwartungen kommen. Dann wird man auch mal selbst überrumpelt, wie sie, die Olympia-Dritte, am Freitag, als sie irgendwann einfach nicht mehr mithalten konnte mit der Dynamik eines fast unwirklich starken Speerwurf-Finals und Vierte wurde mit 65,24 Metern hinter der Siegerin Maria Abakumowa (Russland, 71,99), Barbora Spotakova (Tschechien, 71,58) und Sunette Viljoen (Südafrika, 68,38).

Wobei David Storls junge Karriere ja schon lange genau darauf zuläuft: dass er eines Tages das Kugelstoßen dominiert. Seit Jahren gilt er im Deutschen Leichtathletik-Verband als Jahrhunderttalent. Als Jugendlicher hat David Storl so gut wie alles gewonnen. Mehrmals hat er den Junioren-Weltrekord verbessert. Seine erste WM-Erfahrung bei den Erwachsenen hatte er mit 19 in Berlin, als er in der Qualifikation ausschied.

Bei der EM in Barcelona 2010 war er schon Fünfter - und dieses Jahr hat er nun also die nächste Stufe des Karriereplans erreicht: das Gewinnen großer Medaillen. Zweiter war er bei der Hallen-EM in Paris, jetzt das. "Ich kann das noch gar nicht richtig glauben so alles", sagt Storl. Nach Olympia in London wollte er eigentlich erst mit dem Medaillen-Holen anfangen. Nun konnte er es doch nicht abwarten.

"Dafür musste ich eine Menge essen"

Seine Leistungssteigerung ist enorm. Mit einer Bestweite von 20,77 Meter ist er aus der vergangenen Saison gekommen, im Juni übertraf er dann beim Meeting in Göteborg erstmals die 21-Meter-Marke (21,03), jetzt ist er bei 21,78 Meter angekommen, und es ist klar, was dieser Sprung für Überlegungen weckt. Aber auch auf die Fragen nach Doping ist David Storl vorbereitet. Schon als Jugendlicher hat er in großer Gemütsruhe die Zahl seiner Dopingtests aufgezählt, wenn ihn jemand auf mögliche Manipulationen ansprach. So macht er das jetzt auch, und wen das nicht überzeugt, der ist ihm wahrscheinlich ziemlich wurscht.

Ohnehin funktioniert es schlecht, den jungen Storl als reinen Kraftmeier abzutun. Am Beispiel David Storl zeigt sich, dass Talentsuche nicht wirklich eine Frage des Systems ist, sondern in gewisser Weise auch des Zufalls. Er war eben einfach irgendwann da, ein Mehrkämpfer der VfA Rochlitzer Berg, der nicht nur gute körperliche Voraussetzungen fürs Werfen hatte, sondern auch die Gabe, instinktiv jedes beliebige Wurfgerät so in die Luft zu entlassen, dass es weit flog.

Trainer Lang sah das Talent, und erst seither wird es nach allen Regeln der Kunst veredelt. Storl war auf dem Chemnitzer Sportgymnasium, hat die Nachwuchsteams des Deutschen Leichtathletik-Verbandes durchlaufen, und Lang hat seinen Leistungsaufbau in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaften gesteuert. Das Prinzip dieser Anleitung zum Weltmeister-Werden hat Sven Lang vor zwei Jahren so beschrieben: "Dass wir sehr viel mit leichten Gewichten stoßen, um die Geschwindigkeit zu entwickeln."

Das Ergebnis der Arbeit kann jeder sehen. Storls Dynamik ist erlesen, Kugelstoßen ist eben doch nicht nur eine Kraftübung. Und neben den massigen Körpern, welche die Konkurrenz an so einem WM-Finalabend durch die Arena trägt, wirkt Storl regelrecht schmächtig. "Ich versuche ja zuzunehmen", sagt er fast verzweifelt, aber es gelingt nicht richtig. Vier Kilo hat er in diesem Jahr geschafft. "Aber dafür musste ich eine Menge essen." Er behält das Thema im Blick, denn mehr Gewicht bedeutet mehr Kraft. Und die kann David Storl wahrscheinlich gebrauchen, wenn er seine Geschichte fortsetzen will, die am Freitag in Daegu so richtig begonnen hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: