Das IOC und die olympische Fackel:Zu lange gefackelt

Der Weltsportkonzern IOC muss sich nicht vor bösen Terroristen schützen, sondern begreifen, dass ihm die Neutralität, die er vorgibt, wenn es opportun ist, niemand abkauft. Sie ist als Feigheit entlarvt.

Thomas Kistner

Du liebe Güte, was ist passiert?

Tibet-Flagge made in china

'Made in China': ein Anstecker mit Tibet-Flagge

(Foto: Foto: dpa)

Das IOC hat über den olympischen Fackellauf nachgedacht, ja, stellt sogar die Zukunft dieses liebgewonnenen (und werbewirtschaftlich äußerst einträglichen) Brauchtums in Frage. Ruhig Blut, das wirkt nicht gut durchdacht. Nach Peking finden die Spiele in Vancouver statt, dann ist London an der Reihe, und gegen Kanadier wie Briten liegt Menschenrechtsorganisationen dieser Welt wenig Belastendes vor - warum sie also bestrafen?

Die Drohung aus Peking, wo sich das heillos überforderte IOC in der Krise eng und enger an den großen Organisationsbruder schmiegt, soll vor allem PR-Wirkung entfalten. Warum diskutieren die Olympier plötzlich eine Frage, die sich in dieser Form gar nicht stellt: Ob wegen der Proteste beim aktuellen Fackellauf ihr (kommerziell geniales) Symbol des Friedens ramponiert wird? Antwort: Weil sie so den erhofften Dreh in die Geschichte kriegen und die Wirkung zur Ursache machen können. Brutale Elemente bedrohen Fackellauf und Spiele, die heuer zufällig in China stattfinden - so liest sich die Sache viel entspannter, aus Sicht der Sportfunktionäre. Die übrigens nun erstmals offiziell schwer erschüttert sind. Nicht wegen Chinas Menschenrechtspolitik, wegen der ach so furchtbaren Attacken gegen ihre Flamme.

Das IOC wandelt auf einem messerscharfen Grat, wenn es diskutiert, sich jetzt demonstrativ den Aktionen von Protestlern zu beugen, zugleich aber tapfer Händchen hält mit allzeit gewaltbereiten Spiele-Gastgebern. Statt sich und seine ratlosen Athleten aus dieser unheilvollen Umarmung etwas zu lösen, überlegte es, den Fackelzauber ganz ins Veranstalterland verlagern. Nach China, wo das Friedenssymbol dann von gedrillten Sicherheitskräften in olympische Schutzhaft genommen werden kann. Erst mitten in der Nacht zum Mittwoch fügte IOC-Präsident Jacques Rogge dem Zick-Zack-Kurs eine neue Volte hinzu: Der Lauf werde einstweilen nicht gestoppt.

Das Feuer ist in der Olympischen Charta verankert, die ja auch die Meinungsfreiheit für Athleten bei den Spielen einschränkt. Wird, wie im IOC diskutiert wurde, die Charta wegen des Feuers angetastet, ließe sich gleich auch die Schweigeklausel für mündige Olympiateilnehmer entschärfen. Und, apropos Reformen: Müssten nicht die Auswahlkriterien für künftige Olympiastädte dem Geist dieser Charta angepasst werden - indem festgeschrieben wird, dass am Spieleort auch die Menschenrechte zu Hause sein sollen?

Im Anblick der enormen Probleme, die das IOC zu bewältigen hat, sind Navigationsfragen zum Fackellauf eher marginal. Das Feuer wurde Jahrzehnte lang nicht angetastet, erst jetzt, als die Olympier in der Tibet-Frage zu lang fackelten. Der Weltsportkonzern IOC muss sich also nicht vor bösen Terroristen schützen, sondern begreifen, dass ihm die Neutralität, mit der er sich gern maskiert, niemand abkauft. Sie ist als Feigheit entlarvt. Dazu würde nur passen, wenn er sein Friedenssymbol im Falle anhaltender Proteste doch noch nach China rettet.

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