Das Dilemma von Werder Bremen:Herzog, Micoud, Diego, Özil - und jetzt?

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Der Verzweiflung nahe: Bremens Fin Bartels im Spiel gegen Schalke

(Foto: AFP)
  • Vor dem zweiten Saisonspiel gegen Hertha vermissen die Bremer Verantwortlichen einen kreativen Regisseur.
  • Doch bei Werder fehlt das Geld, um einen namhaften Spieler verpflichten zu können.
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Von Jörg Marwedel

Vor Saisonbeginn herrschte in Bremen Zuversicht. Ein Europa-League-Platz für den SV Werder schien für manchen Fan nach der guten vergangenen Rückrunde unter dem neuen Trainer Viktor Skripnik kein abwegiges Ziel zu sein. Dann kam das erste Punktspiel gegen den vermeintlichen Europapokal-Mitbewerber Schalke 04 - aber es war kein Aufeinandertreffen auf Augenhöhe. Nach dem 0:3 im ersten Heimspiel muss Bremens Geschäftsführer Thomas Eichin plötzlich gegen ein Krisenszenario ankämpfen: "Mir kommt es so vor, als haben wir schon Oktober und stehen auf einem Abstiegsplatz", sagte er vor dem Freitagsspiel bei Hertha BSC zur Stimmung rund um den Verein.

Dabei habe Werder eine sehr gute Vorbereitung gespielt, im Pokal gewonnen und jetzt lediglich "ein Spiel gegen eine Mannschaft von Champions-League-Format verloren", so Eichin.

Das Resultat passte dabei ziemlich exakt zu den Etatzahlen: Schalke zahlt geschätzt etwa 90 Millionen Euro Gehälter an seine Profis, der ehemalige Champions-League-Teilnehmer Werder nur noch ein Drittel davon. Die spontane Reaktion des desillusionierten Skripnik nach der Pleite lautete: "Willkommen in der Realität."

Die ernüchternden 90 Minuten haben bereits eine Grundsatzdebatte in Bremen ausgelöst. Es geht um das derzeitige Personal. Genauer gesagt, um die Defizite in einem Team, das zuletzt Zehnter war und mit bescheidenem Budget wieder in die obere Tabellenhälfte aufrücken möchte. Das offenkundigste Problem: Es gibt keinen Spielmacher mehr - dabei ist diese Position bei einem Rauten-System, wie es Werder traditionell bevorzugt, noch wichtiger als bei anderen Herangehensweisen.

Seit vorigen Samstag ist den Bremern plötzlich wieder schmerzlich bewusst, dass es keinen kreativen Kopf wie einst Andreas Herzog, Johan Micoud, Diego, Mesut Özil oder den bei Werder einst noch sehr jungen Kevin De Bruyne mehr gibt. Sportdirektor Rouven Schröder hat dafür auch einen einfachen Erklärungsansatz: "Wo gibt es denn heute noch diesen einen glorifizierten Spieler?", fragt er.

Die möglichen Nachfolger - Aaron Hunt, Mehmet Ekici, Cedrick Makiadi, Ludovik Obraniak und Izet Hajrovic - blieben bei Werder leere Versprechungen. Während der Saison-Vorbereitung setzte Skripnik auf das jüngste Talent im eigenen Stall: Maximilian Eggestein, 18. Der konnte zwar den Mitbewerber Levent Aycicek, 21, ausstechen, doch für diese tragende Rolle fehlt ihm noch das Durchsetzungsvermögen und vielleicht auch die Grundschnelligkeit.

Trainer Skripnik bleibt vorerst nur, das System zu wechseln

Also begannen die Bremer gegen Schalke 04 mit dem flinken Flügelspieler Fin Bartels als Regisseur. Als das nicht klappte, übernahm nach kurzer Zeit Kapitän Zlatko Junuzovic, der normalerweise weiter hinten den Aufbau leitet, diese Aufgabe. Ihm gelang auch der einzige Pass, der zu einem Tor hätte führen können, wenn Bartels danach richtig getroffen hätte. Weil Skripnik nun am Freitag in Berlin Junuzovic aber wieder mehr im hinteren Bereich braucht, könnte Eggestein erneut eine Chance bekommen, zumal Bartels mit einer Gesäßmuskelzerrung ausfällt.

Den Versuch, es wiederum mit einem ganz neuen Spieler zu versuchen - zehn Tage bleiben noch bis zur Schließung des Transferfensters -, hat Eichin praktisch ausgeschlossen. Die wirtschaftliche Situation des Klubs, der demnächst zum vierten Mal hintereinander eine Verlust-Bilanz melden muss, lässt nicht viel Spielraum. Dabei hatte Skripnik noch Anfang Juni gesagt: "Wenn wir Raute spielen, brauchen wir einen Zehner, der den Unterschied ausmacht. Ich denke, da müssen wir was tun." Nun bleibt dem Coach vorerst nur, das System zu wechseln oder auf den Durchbruch eines der Kandidaten zu warten.

Manager Eichin arbeitet für einen Anfängerlohn

Für Thomas Eichin ist diese Lage nicht besonders angenehm. Obwohl er mit einem noch einmal um 25 Prozent reduzierten Budget in zwei Jahren ein neues, wettbewerbsfähiges Team aufgebaut hat, tut sich der Aufsichtsrat des SV Werder schwer, den 2016 auslaufenden Geschäftsführer-Vertrag mit der von Eichin geforderten Verdoppelung seines bisherigen Gehalts von angeblich nur 300 000 Euro zu verlängern. Diese Vergütung, sofern sie stimmt, wäre in der Bundesliga tatsächlich so etwas wie ein Anfängerlohn.

Doch die Kontrolleure werfen dem Baumeister des neuen SV Werder nicht nur den fehlenden "Zehner" vor. Sie kritisieren auch jene Klauseln, die er bei den Vereinbarungen mit Franco Di Santo (ging für sechs Millionen Euro zu Schalke) und Davie Selke (für acht Millionen Euro zu RB Leipzig) in den Vertrag eingebaut hatte. Für Eichin unverständlich. Man müsse auch in Zukunft mit Ausstiegsklauseln und Beteiligungen an Transfererlösen arbeiten. Sonst habe ein Klub wie Werder keine Chance beim Mitbieten um solche Spieler. "Um solchen Klauseln zu entgehen", sagte Eichin der Sport-Bild, "muss Werder in eine Gehaltsstufe vordringen, die wir uns nicht leisten können." Und dorthin gelangt man eben nur, wenn man mindestens in der Europa League spielt.

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