Die deutschen Fans haben bei der Darts-WM das weitaus größere Durchhaltevermögen als ihre Pfeilewerfer auf der Bühne. Am Montagnachmittag ist Ricardo Pietreczko als letzter von sechs gestarteten deutschen Teilnehmern ausgeschieden – trotz der wieder mal leidenschaftlichen Unterstützung des Publikums. Er scheiterte im Achtelfinale am favorisierten Engländer Nathan Aspinall deutlich 0:4 nach Sätzen. Der 30-Jährige lieferte seine schwächste Turnierleistung ab und fand nie ins Spiel. Es sei „einfach nicht mein Tag gewesen“, sagte Pietreczko. Präzise getroffen, anders als zuvor seine Pfeile.
Pietreczko kam lediglich auf einen Durschnitt von 78,46 Punkten, nur knapp mehr, als Stephen Burton in der ersten Runde erzielt hatte, als er nur auf einen sogenannten Average von 75,63 Punkten kam, der Negativwert bei dieser WM. Die Entscheidung im Match fiel spätestens im dritten Satz, als Aspinall seinem Gegner nach einigen Fehlern auf die Doppelfelder die Chance ermöglichte, heranzukommen. Doch Pietreczko verfehlte abermals die Doppel-20, seine Quote auf die Außenfelder betrug nur 29 Prozent. Diese Schwäche nutzte Aspinall, er gewann auch diesen Durchgang – indem er spektakulär die Doppel-10 aus kompliziertem Seitenwinkel checkte.

Darts-WM:Die Pfiffe der deutschen Fans
In einer Halle, in der ohnehin jeder über die Stränge schlägt, fällt die zweitgrößte Zuschauergruppe besonders auf: über das unrühmliche Benehmen von deutschen Fans im Ally Pally.
Vor der Partie hatte der langjährige deutsche Spitzenspieler Max Hopp im Gespräch mit der SZ noch gemutmaßt, dass das „Momentum“ bei Pietreczko sein könnte, er mache einen „entspannten Eindruck“, sei gut drauf und fühle sich hier in London wohl, so Hopp. Und tatsächlich hatte Pietreczko auch so gewirkt. Als er den Ally Pally durch einen Hintereingang betrat, strahlte er, ähnlich wie später beim Walk-on auf die Bühne. Obwohl er privat zurückhaltend ist, blühte er während der WM-Wochen zuletzt auf. Der gebürtige Berliner, der in Nürnberg aufwuchs, wisse die Bühne für sich zu nutzen, so Hopp.
Pietreczko führt zu Spielbeginn - der Ally Pally kocht
Kein seltenes Phänomen bei Sportlern: Im Wettkampf nehmen sie eine Rolle ein. Bei Pietreczko ist es die Kunstfigur Pikachu, unter diesem Spitznamen tritt er im Darts auf, weswegen sich zahlreiche deutsche Fans im Publikum als Pikachus verkleideten. Und sie brüllten den Deutschen voran wie selten in der West Hall, an den Fans wird es nicht gelegen haben. Nach dem ersten gewonnen Leg für Pietreczko zu Spielbeginn kochte der Ally Pally.
Die Stimmung werde elektrisierend, das hatte Aspinall prognostiziert, der Ally Pally werde mehr der Stadionatmosphäre bei einem Fußballspiel zwischen England und Deutschland gleichen. Damit lag der Engländer nicht so falsch, weil seine Landsleute akustisch dagegen hielten. Kurz vor Spielbeginn drehten sich beide gemeinsam zu den Fans und intonierten mit ausgebreiteten Armen den Pop-Klassiker „Mr. Brightside“ der US-Band The Killers. Den sogenannten Killerinstinkt zeigte oben auf der Bühne dann aber nur einer.
Die Sympathien in der Halle waren annähernd gleich verteilt, immerhin gestaltete sich auch der erste Satz noch einigermaßen auf Augenhöhe. Zunächst erwischte Pietreczko den besseren Start, besaß im zweiten Leg sogar zwei Break-Chancen auf die Doppel-20, die er angesichts seiner bisherigen WM-Präzision überraschend verwarf. Aspinall streckte erleichtert die Zunge raus und sicherte sich den ersten Satz bei Anwurf des Deutschen. Der Ton war gesetzt.
Vom Satzrückstand wirkte Pietreczko beeindruckt, es war sein erster im insgesamt vierten Einsatz bei dieser WM. Den zweiten Durchgang musste er danach ohne Leg-Gewinn abgeben, weder sein Scoring-Wert mit drei Würfen noch die Bilanz auf die Doppelfelder entsprach seinem normalen Niveau. Die Probleme seines Gegners quittierte Aspinall mit Schnute und Schulterzucken, er hatte wohl mit wesentlich mehr Gegenwehr gerechnet. Den Vorsprung verwaltete der Weltranglisten-Zwölfte solide, ohne dabei mit konstant hohen Punktzahlen zu glänzen. Er profitierte davon, dass Pietreczko mehr mit sich als mit dem Match zu kämpfen hatte. Der gab auch den dritten Satz ab, abermals ohne Akzente zu setzen.
Der 30-Jährige verlor kurz die Beherrschung, als ihm einstweilen mit drei Darts nur 41 Punkte gelangen. Als Reaktion darauf verneigte er sich ironisch vor dem Publikum. Die Engländer reagierten spöttisch, alles normales Gehabe in diesen Hallen. Immerhin gelang Pietreczko im vierten und letzten Satz noch sein zweiter Leg-Gewinn. Den Aufschwung stoppte Aspinall allerdings sofort wieder, indem er mit zwei präzisen Würfen in die Doppel-20 wieder in Führung ging. Im Hintergrund applaudierte der Deutsche anerkennend. Kurz darauf beendete Aspinall das Match mit einem Wurf in die Doppel-10.
Damit müssen die deutschen Beobachter weiter auf ihren ersten Darts-Weltmeister warten. Die deutschen Spieler werden im nächsten Jahr wieder kommen. Ihre Fans indes dürften noch eine Weile bleiben – denn die wilde Fete im Ally Pally rauscht munter auf ihren Höhepunkt am 3. Januar zu, wenn es heißt: Endspiel.