Darts-WM:Alkohol, Schweiß und Pfeile

Ally Pally während der Darts-WM 2018

Meistens in Exstase: die Zuschauer im Londoner Alexandra Palace.

(Foto: Justin Setterfield/Getty Images)

Der Boden klebt, die Halle stinkt: Trotzdem kommen Zuschauer aus 60 Ländern zur Darts-WM nach London. Und feiern dort vor allem sich selbst.

Von Sven Haist, London

In einer Spielpause, wenn die übertragenden Fernsehsender ihren Zuschauern zur Überbrückung ein paar Werbefilme einspielen, kehrt wirklich Ruhe ein im Alexandra Palace, der Hochburg des Darts. Die Profis verlassen das Podium über eine Treppe und verschwinden hinter einem schwarzen Vorhang. Die Vermutung würde bei professionellen Athleten aus der Weltspitze naheliegen, dass hinter der Bühne für sie ein Buffet aufgebaut ist, eine Darts-Scheibe für Übungswürfe und Einrichtungen, um sich unbeobachtet vom Gegner auf den nächsten Satz einzustellen.

Stattdessen stehen die Spieler bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einer nach oben und hinten offenen Garage. Immerhin ist in der Mitte ein spärlicher Container aufgestellt, der beheizt ist. Zu trinken gibt es bloß Wasser - und zwar aus einem etwa fünf Liter großen Kanister.

Die meisten Tickets gehen in nur zwei Tagen weg

Die Professional Darts Corporation hält auch die 25. Auflage der WM, die vor zwei Wochen begonnen hat und mit dem Finale an Neujahr zu Ende geht, so einfach wie möglich. Für die Fans hat sich der Besuch dieser Veranstaltung in den vergangenen Jahren zu einem Ritual in der Weihnachtszeit entwickelt. Im Juli werden jeweils die 68 000 verfügbaren Eintrittskarten für die 22 Sessions, die zwischen 35 und 65 Euro kosten, auf der Internetseite des Verbands angeboten, die meisten sind innerhalb der ersten zwei Tage ausverkauft.

Zu diesem Zeitpunkt hat die Auslosung natürlich noch nicht stattgefunden, keiner weiß also, welche Spieler es am jeweiligen Tag zu sehen gibt. Aber das ist den Menschen, die für das Ereignis aus 60 verschiedenen Ländern nach London reisen, egal. Sie kommen nicht, um bestimmte Spieler in den Mittelpunkt zu stellen - sondern sich selbst. Im Volksmund heißt die spirituelle Heimat des Darts, die sich auf einer Anhöhe im Norden Londons befindet: "The People's Palace".

Diese Abgrenzung zum Fußball, bei dem es vorrangig um das Siegen des eigenen Teams geht, lässt sich schon an den Eintrittskarten erkennen. Das Tragen von Vereinstrikots ist nicht gestattet, ansonsten wird mit dem Trinken von Alkohol und dem Verkleiden bis zur eigenen Unkenntlichkeit erlaubt, was in herkömmlichen Stadien verboten ist. "Zu viele Sportarten schreiben ihrem Publikum vor, wie es sich zu verhalten hat. Wir wissen, was unser Publikum möchte, und bieten das", sagt Matthew Porter. Das Erscheinungsbild des Geschäftsführers der PDC in weißem Hemd und schwarzem Anzug passt dabei nicht zu der karnevalsartig kostümierten Fangemeinde. Im Gegensatz zu einem Besucher, der sich selbst ins Gefängnis sperrte, indem er sich einen Käfig über den Kopf stülpte, ist Porter weniger Anhänger als Verkäufer des Darts.

Seit Januar 2008 hat die Sportart ihr Preisgeld bei den weltweiten Turnieren von Skandinavien bis Neuseeland auf umgerechnet 12,5 Millionen Euro fast vervierfacht. Weil einige Turniere kaum einen Gewinn einbringen, steht die WM für den Verband am meisten im Vordergrund. Die Ausrichtung kostet inklusive den Ausschüttungen an die Spieler mittlerweile rund drei Millionen Euro, was sich hauptsächlich über die Erlöse aus dem Ticketverkauf, den Fernsehübertragungen und der Sponsoren refinanziert.

Der deutsche Teil der Fans inszeniert sich besonders gut

Der Clou hinter dem gegenwärtigen Erfolg ist das Werben mit einer Atmosphäre, die einer ausgelassenen Party gleicht. Die einfachen Regeln im Darts bieten den Zuschauern die Annehmlichkeit, das jeweilige Spiel nicht aufmerksam verfolgen zu müssen, um es zu verstehen. Ein Blick auf die beiden überdimensional großen Leinwände neben der Darts-Scheibe genügt für eine Einordnung. Die meisten Anwesenden honorieren Würfe mit einer hohen Punktausbeute, aber spätestens nach ein paar Stunden, schrieb der Guardian, könnte vorne auch eine Power-Point-Präsentation stattfinden über die Trends in der Versicherungsindustrie. Zu beschäftigt seien die Leute, ihre Pints zu trinken, Lieder zu singen oder sich gegenseitig zu necken.

Das erklärt, warum etwa ein Fünftel der Tickets aus Deutschland erworben werden, obwohl überhaupt kein deutscher Spieler in der Weltspitze vertreten ist. "Darts ist amüsant, schwungvoll, farbenfroh und bezahlbar. Die Atmosphäre erinnert ans Oktoberfest in München. Das zieht junge Leute an", sagt Porter.

Der deutsche Teil in der Menschenmenge inszeniert sich besonders gut. Das Duell zweier niederländischer Profis wird zum Anlass genommen, deutsche Landesflaggen in die Kameras zu halten und die missglückte Qualifikation des Nachbarlandes für die Fußball-WM lautstark hervorzuheben. Am bisweilen widerlichen Gestank in der Halle, der sich aus Alkohol, Fast Food und Schweiß zusammensetzt, stört sich niemand. Nicht mal an den Müll-und Essensresten, die unter den provisorisch aufgebauten Tribünen lagern. Oder am von Alkohol durchtränkten Boden, auf dem die Schuhe nach einigen Turniertagen bei jedem Schritt kurz kleben bleiben. "Wir bekommen einiges an Rückmeldung. Aber darüber hat sich bislang wirklich keiner beschwert", sagt Porter. Den Leuten gefällt augenscheinlich, dass der sogenannte Ally Pally das wahre Leben abbildet - und einem nichts vorspielt, was die Realität widerlegen würde.

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