DartsDer König von Graz

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„Ich hab’ sie alle schon geschlagen“: Martin Schindler überzeugt durch mentale Stärke an der Scheibe.
„Ich hab’ sie alle schon geschlagen“: Martin Schindler überzeugt durch mentale Stärke an der Scheibe. (Foto: Zac Goodwin/dpa)

Martin Schindler gewinnt die Austrian Open und damit sein drittes Turnier der European Tour binnen dreier Jahre. In der Weltrangliste steht er so weit vorn wie bisher kein anderer deutscher Dartsspieler.

Von Korbinian Eisenberger

Die Symbiose aus Graz und Darts inspiriert zu außergewöhnlichen Leistungen. Zu nennen sind etwa die sechs jungen Männer, die sich ganz offenbar freiwillig als Autowaschanlage verkleideten und so in die Steiermarkhalle wagten, ehe sie um den gänzlich motorfreien Moderator rotierten wie riesige Bürsten um einen Kleinwagen. Es drängte sich eine Frage auf: Sind sie noch ganz sauber?

Wenn Darts eine Kunstform ist, dann darf Darts alles – und die Anhänger dieser Disziplin ohnehin. Auf den deutschen Dartsprofi Martin Schindler jedenfalls wirkte sich die Einlage der fleischgewordenen Waschanlage inspirierend aus. Der 28 Jahre alte Brandenburger marschierte bei den Austrian Darts Open in Graz bis ins Halbfinale durch, ehe ihm gegen den Nordiren Josh Rock, wenn man so will, das Wasser bis zum Hals stand. Beim Stand von 6:6 Sätzen warf Rock acht Matchpfeile in Serie am Ziel vorbei, ehe Schindler seinerseits gleich den zweiten in der Dartsscheibe versenkte. Im Endspiel gegen den Briten Ross Smith gewann Schindler deutlich 8:4 – und explodierte alsbald auf der steirischen Bühne wie eine Waschanlage mit Kurzschluss.

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Das Turnier in Österreich ist aus der Nachbarschaftsbetrachtung besonders erwähnenswert, nicht nur, weil der Strausdorfer Schindler dort seinen dritten Titel auf der European Tour klarmachte; mehr noch, weil er sich so einen noch deutlicheren Vermerk in den deutschen Pfeilwurf-Annalen sicherte. Vor zehn Jahren hatte Schindler noch als Ordner auf der Darts-Tour die Eintrittskarten der Zuschauer kontrolliert. Durch den Sieg in Graz rückte er nun von Platz 21 auf Rang 18 der Weltrangliste vor, so weit wie vor ihm kein anderer aus der Bundesrepublik. Gabriel Clemens, der German Giant, hatte es auf Platz 19 geschafft. Schindlers Spitzname „The Wall“ spielt nicht auf die österreichische Schriftstellerin Marlene Haushofer und deren Werk „Die Wand“ an, es soll vielmehr die Gegner einschüchtern – und das funktioniert seit einem Jahr auffällig gut.

Entlohnt wurde Martin Schindler mit einem Triple aus 35 000 Euro Preisgeld, einem Siegerpokal sowie einem steirischen Trachtenjanker, mit dem er bei keiner Bierzeltschlägerei auffallen würde, so gut füllte Schindler die Joppe aus, wie er noch auf der Bühne zeigte. Schindler, der zuletzt in Riesa (April 2024) und Basel (September 2024) triumphiert hatte, ließ in seiner Tracht wissen, dass er vor lauter Emotionen kaum Luft bekomme: „Mich freut es richtig, hier in Österreich erfolgreich gewesen zu sein nach Deutschland und der Schweiz.“ Er habe sich „durchgebissen, durchgekämpft“. Dass er nun die neue deutsche Bestmarke in der Weltrangliste erreicht habe, „ist mir gerade wurscht“.

Für den Deutschen war die Steiermark an diesem Wochenende fast wie ein Heimspielort

Zur Wahrheit dieser deutsch-österreichischen Verbrüderung in Graz gehört der Umstand, dass die besten vier der Setzliste – Luke Humphries, Luke Littler, Michael van Gerwen und Rob Cross – sowie drei weitere Top-15-Spieler auf das Turnier verzichteten, was den Turniersieg erleichterte. Auf dem Weg zum Triumph bekam es Schindler allerdings durchaus mit Großkalibern der Szene zu tun, etwa mit dem Weltranglistenneunten Chris Dobey aus England, den Schindler im Viertelfinale mit 6:4 in Sätzen bezwang. Im Halbfinale gegen Rock ließ sich gut erkennen, welch entscheidende Rolle mentale Stärke spielt, generell im Sport – und speziell beim Darts, wo man durch körperliche Kraft oder Fitness weniger glänzen kann, umso mehr. Dem vier Jahre jüngeren Nordiren setzten die tumultartigen Szenen zwischen Autowaschanlagen, Super Marios und Ölscheichs sichtbar mehr zu als Schindler, den das Publikum zwar fair, aber doch merklich unterstützte. Anders gesagt: Für den Deutschen war die Steiermark an diesem Wochenende fast wie ein Heimspielort.

Verwässern sollte man Schindlers Formstärke allerdings nicht. Wie so häufig in den vergangenen zwölf Monaten war zu erkennen, dass kein anderer Deutscher derzeit besser Dartpfeile in winzige Felder werfen kann. Am besten weiß das Schindler wohl selbst, der bereits vor fünf Monaten ungeahnt selbstbewusste Sätze sagte. „Ich habe das spielerische Know-how, dass ich gegen alle bestehen kann“, ließ er vor der Weltmeisterschaft wissen. Also gegen Luke Littler, Luke Humphries, Michael van Gerwen und Michael Smith: „Ich hab’ sie alle schon geschlagen.“

Anders als in seinen Anfangsjahren als Profi wirkt Schindler auf den Bühnen der Dartswelt inzwischen deutlich extrovertierter, er feuert sich selbst an, versucht seine Leistung zu pushen. Sticheleien für den Gegner zählen nicht zu seinem Besteck. Schindler wirkt nach Niederlagen in aller Regel wie ein englischer Gentleman. Und abseits der Bühne übt er sich bisweilen erfolgreich in Zurückhaltung, etwa wenn es um sein Familienleben geht. Schindler lebt seit 2021 im hessischen Rodgau, mit seiner Frau Denise hat er eine dreijährige Tochter. Recht viel mehr ist nicht über ihn bekannt, und das soll offenbar genau so sein.

Bei der WM im Dezember hielt Schindler sich dann zum falschen Zeitpunkt mit der Zielsicherheit zurück, 0:3 verlor er sein Auftaktspiel im Londoner Alexandra Palace gegen den ungesetzten Engländer Callan Rydz, der seinerseits zum Saisonhöhepunkt Topform erreicht hatte und die beste WM seiner Karriere spielte. Den Ally Pally hat Schindler bis dato nicht entschlüsseln können, allerdings wurden dort auch noch nie die Sechs von der Autowaschanlage gesichtet.

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