Menschen in Trachtenweste und Lederhose, eine tobende Menge mit erhöhtem Alkoholpegel: München als Abziehbild, auch wenn es sich hier nicht um das Oktoberfest handelte; mehr um ein spezielles Osterfest, das am langen Wochenende in einem einstigen Eisenbahn-Ausbesserungswerk ausgetragen wurde. Umfunktioniert und umbenannt dient das Zenith in Freimann inzwischen alljährlich als Eventhalle für die weltbesten Dartsspieler. Und spätestens seit dem Endspiel am Montagabend lässt sich erahnen, dass die Münchner Wiesn und der German Darts Grand Prix eines gemeinsam haben: Man liebt es – oder kann es kaum ertragen.
Auf den Niederländer Michael van Gerwen wirkt sich der Charme des frühlingshaften Münchner Nordens offenbar wiederkehrend inspirierend aus. Der 35-Jährige gewann die sechste Auflage dieses Turniers – und wird mit nunmehr drei Titelgewinnen in München als alleiniger Rekordsieger geführt. Im Achtelfinale gelang van Gerwen mit neun Hammer-Pfeilen der erste sogenannte Neun-Darter der 2018 begonnen Münchner Darts-Turniergeschichte, ehe er im Endspiel seinen 13 Jahre jüngeren Landsmann Gian van Veen in 8:5 Sätzen bezwang. Als Trophäe wird in München ein durchsichtiger Pokal gereicht, der verdächtig an ein Weißbierglas erinnert.

WM in London:Der neueste Darts-Trend? Fitness!
Darts war stets die Disziplin der Disziplinlosigkeit, die Protagonisten sahen nicht gerade aus wie Topathleten. Nun achten immer mehr Spieler auf Kraft und Ausdauer. Aber bringt das tatsächlich etwas?
Weniger erfreut wirkte am Montagabend der jüngste Teilnehmer dieses Darts-Wettkampfs. Weltmeister Luke Littler, 18, war kurz zuvor mit finsterem Blick von der Bühne gestiegen, nachdem van Veen ihn im Halbfinale mit 7:5 geschlagen hatte. Wie man eben dreinschaut, wenn einem gerade die Neuauflage des WM-Endspiels verwehrt wurde: Anfang Januar hatte der Engländer Littler den Niederländer van Gerwen noch aus dem Londoner Alexandra Palace gefegt wie einen leeren Pappbecher. In diesem Luke Littler von München allerdings hatte sich offenbar etwas aufgestaut, so sehr, dass es den Masskrug zum Überlaufen brachte.
Er wollte gar nicht in München sein, so Littler, „aber ich musste trotzdem spielen“ – er freue sich umso mehr auf Dortmund
Littler reagierte auf seine Weise, in einer Instagram-Story teilte er nach dem Turnier mit, dass er eigentlich gar nicht in München sein wollte, „aber ich musste trotzdem spielen“. Sein nächster Auftritt in Deutschland werde „in Dortmund“ sein: „Ich bin froh, das sagen zu können.“ In Dortmund? Auweh, werden sie in München sagen.
Es ist nicht überliefert, wie umfassend Littler mit den kulturellen Feinheiten der deutschen Sportlandschaft vertraut ist. Eventuell ist dem bekennenden Fan des Klubs Manchester United allerdings bekannt, dass den Städten München und Dortmund eine ähnliche Fußballrivalität nachgesagt wird wie etwa Manchester und Liverpool. Bei einem der am häufigsten gegrölten Bierzelt-Chöre auf dem Oktoberfest handelt es sich etwa um einen Borussia-Dortmund-Schmähgesang.
Was war passiert? Wenn man so will, konnte man bei Littler bereits beim ersten Betreten der Wettkampfbühne einen Hauch Gereiztheit ausmachen. Dass ihn dort etwa Schiedsrichter Huw Ware aus Wales in Lederhose und Weste empfing, half offensichtlich auch nicht, Littlers Laune zu heben. Deutsche Zuschauer, speziell im Darts, taten sich zwar in den vergangenen Jahren weniger durch Tracht als mit Niedertracht hervor. Das Münchner Publikum verzichtete heuer allerdings auf Schmähungen. Während Littlers verlorenem Halbfinalspiel gegen van Veen waren zwar einzelne Pfiffe zu vernehmen, die jedoch nicht so wirkten, als seien sie gezielt dem Engländer gewidmet. Warum also war Littler sauer? Es bleibt ein kleines Rätsel.
Eventuell trägt das Turnier in Dortmund zur Aufklärung bei. Ausgetragen wird es kurz nach der Wiesn, vom 23. bis 26. Oktober. Erwartet wird einer der letzten Härtetests vor der Weltmeisterschaft im Dezember, bei der erstmals 128 statt bisher 96 Spieler antreten und künftig um ein Siegerpreisgeld von einer Million Pfund (bisher 500 000) spielen werden. Der derzeit beste deutsche Dartsspieler Martin Schindler wird in London und zuvor wohl auch in Dortmund an den Start gehen. Schindler hatte in München eine Runde vor Littler 4:6 gegen van Veen verloren. Auch Schindler reagierte via Instagram, am Tag nach dem Münchner Osterdarts-Fest teilte er einen Post mit dem Titel: „Weiter geht’s“.