Süddeutsche Zeitung

World Cup of Darts:Ruhepol in einer schrillen Welt

Im Zirkus der Pfeilwerfer ist Gabriel Clemens der etwas andere Sportler. Statt mit provokanten Gesten fällt er mit Bodenständigkeit auf - vor zwei Jahren arbeitete er noch als Industriemechaniker.

Von Frederik Kastberg

Die Karriere von Gabriel Clemens hat in einer Kneipe begonnen. Das klingt skurril, aber für viele aktuelle Dartspieler führte der Weg zum Profi in den Anfangsjahren am Bartresen entlang - und nicht durch ein Nachwuchsleistungszentrum. Gabriel Clemens hat sich irgendwann eine eigene Scheibe gekauft und an ersten Liga-Turnieren teilgenommen, 20 Jahre ist das nun her. Heute verdient er mit den Pfeilen gutes Geld.

Dass er mal so weit kommen würde, damit hatte Clemens aber selbst nicht gerechnet: "Mein Plan war nie, Dart-Profi zu werden", sagt er, "da habe ich mir nie Gedanken drüber gemacht." Jetzt ist er die Nummer 25 der Welt und damit der zur Zeit beste Dartspieler Deutschlands. Seinen größten Erfolg feierte der Saarwellinger bei der Weltmeisterschaft im Dezember 2020, als er im altehrwürdigen Londoner Ally Pally in der dritten Runde den damals amtierenden Weltmeister Peter Wright aus dem Turnier warf und als erster Deutscher das Achtelfinale erreichte.

Gerwyn Price, Michael van Gerwen, Peter Wright - der World Cup ist hochkarätig besetzt

An diesem Donnerstag startet in Jena der World Cup of Darts, sozusagen die Team-Weltmeisterschaft dieses Sports, überhaupt das einzige Turnier im Jahr, bei dem die Spieler als Duett antreten. Clemens trifft am Freitagabend in der ersten Runde mit seinem Partner Max Hopp auf die Kandier Jeff Smith und Matt Campbell, eine Pflichtaufgabe. Im vergangenen Jahr schafften es die beiden Deutschen bis ins Halbfinale. Favoriten seien trotzdem andere, sagt Clemens: "Schottland, England, Holland, die üblichen Verdächtigen."

Titelverteidiger sind die Waliser Gerwyn Price und Jonny Clayton, die auch diesmal dabei sind. Für den "German Giant", wie Clemens sich mit Spitznamen nennt, ist es trotz der Außenseiterchancen ein besonderes Turnier, "weil man das einzige Mal im Jahr für Deutschland spielt."

Zum ersten Mal führt er das Duo als deutsche Nummer eins an, in den vergangenen Jahren war diese Rolle stets seinem Partner Hopp vorbehalten. Was ihm dieser Rang bedeute? "Ist halt so", antwortet Clemens knapp, wird dann aber doch noch etwas ausführlicher: "Klar ist es schön, wenn man Bestätigung bekommt für das, was man macht. Aber mein Ziel ist es, mich und mein Spiel kontinuierlich zu verbessern und nicht irgendwelche Ranglistenplätze zu erreichen."

Der 38-Jährige ist kein Mann der großen Worte. In der Welt der Pfeile, in der es vor schrillen und extravaganten Persönlichkeiten nur so wimmelt, ist er eher der stille Beobachter. Da ist zum Beispiel besagter Peter Wright, dem seine Frau vor jedem Spiel den Irokesen-Haarschnitt in einer anderen Farbe frisiert. Oder Gerwyn Price, aktueller Weltmeister, der nach jeder gelungenen Aktion auf der Bühne seine Muskeln aufbläst, ein Relikt aus seiner Zeit als Rugby-Profi, und sich damit nicht unbedingt zum beliebtesten aller Spieler entwickelt hat.

Seit er voll und ganz als Profi spielt, hat Clemens knapp 225 000 Euro Preisgeld erspielt

Clemens hat keine exaltierten Frisuren oder ausgefallenen Outfits, er führt auf der Bühne keine Tänzchen vor wie etwa der junge Belgier Dimitri van den Bergh. Und er leistet sich auch keinen Manager, der Termine und Anfragen koordiniert, wie es die meisten Spieler auf seinem Niveau tun. "Der will im Endeffekt auch immer nur Geld haben", sagt Clemens, "und solange ich das mit meiner Freundin selbst hinbekomme, passt das schon."

Stattdessen hat er im Sommer über seinen Instagram-Account Lose für eine Tombola verkauft, zwei Euro das Stück, und damit 12 000 Euro für zwei gute Zwecke gesammelt. Unter den 80 gestifteten Preisen waren unter anderem Profi-Darts, ein DFB-Trikot von Jonas Hector und Langlauf-Skier von Biathlon-Olympiasieger Michael Rösch. Warum das alles? "Man muss ja auch mal was Gutes tun", findet Clemens.

Vor zwei Jahren hat Clemens sich entschieden, seinen Job als Industriemechaniker aufzugeben und den Darts-Sport als Vollprofi zu betreiben. Den Arbeitsalltag hat er aber beibehalten: "Ich stehe jeden Morgen um sieben Uhr auf, fahre dann in meinen Trainingsraum, wie andere zur Arbeit, und mache irgendwann Feierabend." Bis zu sechs Stunden wirft er seine Pfeile an jedem Tag. Einen Trainingsraum außerhalb der eigenen vier Wände zu haben sei besonders wichtig, denn sonst "könnte man sich ja auch auf die Couch setzen und ein bisschen Fernsehen gucken".

Allein in den vergangenen zwei Jahren, also ungefähr, seitdem er Profi ist, hat er rund 225 000 Euro an Preisgeld eingespielt, das maßgeblich für die Weltranglistenplatzierung der Professional Darts Cooperation (PDC) ist. "Ich bin aber niemand, der jetzt eine Rolex trägt. Materielle Dinge sind mir nicht so wichtig", betont Clemens. Andere Dinge haben Priorität: "Die Heizung muss im Winter funktionieren und der Kühlschrank voll sein." Und wenn das mal in Gefahr sein sollte, hätte er auch kein Problem damit, sich wieder an die Werkbank zu stellen.

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