Darmstadt 98:Endlich wieder mutig

Das mit Zugängen gespickte Darmstädter Team siegt mit alten Tugenden. Überragender Akteur: Der schon als "Opa" verspottete Hamit Altintop.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

In den Katakomben des Darmstädter Stadions fielen am Samstagabend nach dem unerwarteten 2:1-Sieg gegen Borussia Dortmund plötzlich Sätze, die sich vor dem Anpfiff niemand getraut hätte, laut auszusprechen. "Jetzt rollen wir das Feld eben von hinten auf." Oder: "Wir leben noch!" Und: "Jetzt geht die Aufholjagd los." Der eingewechselte Siegtorschütze Toni Colak ist überzeugt: "Das gibt einen Mega-Push!" Was so ein unerwartetes Erfolgserlebnis auslösen kann, war am Samstag in Darmstadt zu bestaunen.

Elf Spiele hatten die Lilien in der Liga nicht gewonnen, lagen mit zuvor lediglich neun erwirtschafteten Punkten und oftmals desolaten Leistungen abgeschlagen am Tabellenende. Klar, am Tabellenende stehen sie zwar noch immer, aber Relegationsplatz 16 ist nun nur noch vier Punkte entfernt. Und noch viel wichtiger: So gut hat diese Elf in dieser Saison noch nie gespielt. Der Cheftrainer-Novize Torsten Frings war nach seinem ersten Sieg im vierten Spiel "unheimlich stolz" auf seine Mannschaft, die verdient gewonnen hatte gegen den pomadigen Favoriten. Darmstadt spielte plötzlich wieder aggressiv und war tatsächlich ein "ekliger Gegner". Das hatte zuletzt niemand mehr über die Darmstädter gesagt.

Der überragende Akteur: Bundesliga-Rückkehrer Hamit Altintop

Das Geheimnis der wundersamen Wandlung lag in einem Wort, das Torsten Frings seinen Spielern mit auf den Weg gegeben und das er auch selbst vorgelebt hatte: Mut. In den letzten Monaten und auch in den ersten drei Spielen unter Frings standen die Darmstädter ganz tief in der eigenen Hälfte und warteten nur darauf, was der Gegner macht. Gegen Dortmund aber griffen die Lilien ihre Gegenspieler schon in deren eigenen Hälfte an und spielten nach Ballgewinnen zielstrebig nach vorne. So viele Chancen wie gegen den BVB hatte diese Mannschaft in der ganzen Runde nicht. Plötzlich ist die Hoffnung auf ein neuerliches Wunder am "Bölle" keine Phrase mehr. Die Fans bejubelten wieder jeden Zweikampf wie eine Meisterschaft, jedes Tor wie einen Triumph und den Sieg nach dem Abpfiff wie ein Signal für neue Wunder.

Überragender Akteur war bei seinem Startelfdebüt Hamit Altintop, der im zentralen Mittelfeld viele Zweikämpfe gewann, klug die Bälle verteilte und wie ein Anführer die Aktionen dirigierte. Der 34-Jährige meldete sich nach Stationen in Schalke, bei den Bayern, Real Madrid und zuletzt fünf von vielen Verletzungen und internen Querelen geprägten Jahren bei Galatasaray Istanbul beeindruckend in der Bundesliga zurück.

Viele müssten sich bei Altintop entschuldigen, vor allem jene, die in schon als "Opa" verspottet hätten, forderte Frings, der in Colak den Siegtorschützen für einen weiteren Winterzugang eingewechselt hatte: Mittelstürmer Terrence Boyd (kam von RB Leipzig) hatte die Führung erzielt (21.). Und da auch der dritte Zugang des Januars, Sidney Sam (gekommen von Schalke), zu den Besten gehörte, ist die Hoffnung auf Konkurrenzfähigkeit, die nach den letzten Pleiten (1:6 gegen Köln; 0:2 in Frankfurt) bei den Lilien immer geringer geworden war, plötzlich wieder da.

"Sollen doch die anderen denken, bei uns geht nichts mehr. Wir denken das nicht", sagt Jerome Gondorf. Fast klingt das schon wieder wie in der vergangenen Saison - wie eine Drohung, vor der sich andere fürchten sollten.

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