Fußball:Auf einmal erste Liga

Fußball: Früher hieß es Aufstiegsfeier, heute Platzsturm. Den Feiernden aus Darmstadt dürfte es egal gewesen sein.

Früher hieß es Aufstiegsfeier, heute Platzsturm. Den Feiernden aus Darmstadt dürfte es egal gewesen sein.

(Foto: Joaquim Ferreira/HMB/Imago)

Mittelmäßiger Etat, nicht der beste Fußball und trotzdem erstklassig: Darmstadt 98 steigt in die Bundesliga auf. Mit einer stabilen Defensive und einem Menschenfänger auf der Trainerbank.

Von Christoph Ruf, Darmstadt

Als Schiedsrichter Harm Osmers endlich, endlich abgepfiffen hatte, gab es am Böllenfalltor die üblichen Bilder zu sehen. Zumindest die, die früher üblich waren, bevor aus Aufstiegsfeiern in der öffentlichen Wahrnehmung "Platzstürme" wurden und aus fröhlichen Fans ein Sicherheitsrisiko.

Von der Tribüne aus sah man also am Freitagabend in Darmstadt ein Bild wie in den Achtzigerjahren: Tausende Fans auf dem Rasen, ein paar Bengalfackeln ebenfalls, und irgendwo in dem unüberschaubaren Menschenmeer ein paar Leute, die zuvor, beim hart umkämpften 1:0-Sieg gegen Magdeburg, Hauptdarsteller gewesen waren: Der mal wieder schier unbezwingbare Keeper Marcel Schuhen beispielsweise, der sich unter Mitspielern begraben fand. Und natürlich Torsten Lieberknecht, der in seinem zweiten Jahr als Trainer einer Mannschaft aus dem Etat-Mittelfeld Tabellenerster der 2. Bundesliga ist. Und der nun endlich alles rausschreien konnte, was sich so lange angestaut hatte.

Darmstadts Freude über einen Erfolg, mit dem vor der Saison kaum einer gerechnet hatte, war umso größer, weil sich zuletzt dezente Selbstzweifel eingestellt hatten. Schließlich hatten die Lilien, die seit dem zehnten Spieltag ununterbrochen auf einem direkten Aufstiegsplatz liegen, durch Niederlagen gegen St. Pauli und Hannover gleich zwei Matchbälle zum vorzeitigen Aufstieg vergeben.

Es dauerte, bis das Aufstiegs-Ziel offen ausgesprochen wurde

Vorab hatte Lieberknecht das Offensichtliche immerhin erstmals ausgesprochen und den Aufstieg als Ziel genannt: "Wir wollten das schon die ganze Zeit, haben es aber immer etwas anders ausgedrückt", gab der Trainer zu. Auch im Fernduell mit dem Drittplatzierten, dem Hamburger SV, gab Lieberknecht die bisherige verbale Zurückhaltung auf. Stattdessen ließ er durchblicken, dass er das von HSV-Coach Tim Walter demonstrativ zur Schau gestellte Selbstbewusstsein ein wenig nervtötend findet: Der HSV habe wegen der lauten Aufstiegs-Ansagen "extrem viel zu verlieren, das wissen sie auch, sie lügen sich aber in die Tasche", sagte Lieberknecht. Seine eigene Elf hingegen sei "ganz bei sich".

Fußball: Bier für den Menschenfänger: Torsten Lieberknecht wird nach dem Abpfiff von seinen Spielern gefeiert.

Bier für den Menschenfänger: Torsten Lieberknecht wird nach dem Abpfiff von seinen Spielern gefeiert.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Genau das bewies Darmstadt auch gegen Magdeburg. Von Beginn an sah man, dass dieses Team an diesem Tag und vor diesem Publikum aufsteigen wollte. Doch es war ein hartes Stück Arbeit, ehe Philip Tietz mit dem Treffer des Tages (36.) für die kollektive Erleichterung am Böllenfalltor sorgte, die an diesem Abend die Vorstufe zur ganz großen Party war.

In nicht allzu ferner Zukunft werden sie sich in der Geschäftsstelle zusammensetzen und diese Saison Revue passieren lassen, in der sie so viel aus eigener Kraft geschafft haben. Gegen Magdeburg fehlten gleich alle drei Spieler, deren Kernkompetenz die rechte Außenbahn ist. Überhaupt ist es erstaunlich, wie viele Ausfälle der SVD immer wieder kompensieren konnte. Dass die Spieler, die reingeworfen wurden, wenn mal wieder ein Mannschaftsteil ausfiel, sofort funktionierten, ist das große Verdienst des Trainers Lieberknecht.

Die beste Mannschaft der Liga hat nur einen mittelmäßigen Etat

Lieberknecht, 49, wurde schon oft als freundlich, ehrlich und bodenständig beschrieben, und all das stimmt ja auch. Nicht zuletzt ist dieser Mann mit dem treuherzigen Blick aber ein Menschenfänger, der jedem Tribünenhocker und jedem Routinier im Halb-Ruhestand das Gefühl vermitteln kann, fürs Große und Ganze genauso wichtig zu sein wie jemand aus der ersten Elf. Der daraus resultierende Teamspirit war einer der ganz großen Darmstädter Standortvorteile in dieser Saison. Neben der überragenden Defensive, versteht sich, die bisher nur 29 Gegentore zuließ.

Dass dieses Team es dennoch schwer haben wird in der ersten Liga, muss man niemandem in Darmstadt erzählen. Dort fühlen sie sich nicht als geborener Primus, der aufgrund eines ungnädigen Schicksals in der tristen zweiten Liga zwischengeparkt wurde. In Sachen Tempo ist Luft nach oben. Lieberknecht und Sportdirektor Carsten Wehlmann wissen, dass dieses Tempo verstärkt werden muss - so gut es eben geht mit den beschränkten Ressourcen. Und auch spielerisch gehört diese Mannschaft nicht zum Besten, was die zweite Liga zu bieten hat. Die in dieser Hinsicht gut ausgestatteten Magdeburger ließen den Ball deutlich müheloser laufen, aber all das interessierte am Wochenende niemanden in Darmstadt. Warum auch? Wer mit einem Mittelklasse-Etat die beste Mannschaft der Liga stellt, hat wirklich was zu feiern.

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