Darmstadt 98:"Sollen wir das Fußballspielen einstellen?"

SV Darmstadt 98 v FC Augsburg - Bundesliga

"Fußball spielt man, um zu gewinnen" - doch auch gegen den FC Augsburg verlor Darmstadt.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Tobias Schächter, Darmstadt

"War's das?" Diese Frage kam am Samstag natürlich, und es war zu spüren, wie genervt Torsten Frings von ihr war. Seit knapp zwei Monaten und sechs Spielen ist der 40-Jährige Cheftrainer in Darmstadt, und nur vier Punkte gab es für den Tabellenletzten in dieser Zeit. Und dieses desillusionierende 1:2 gegen Augsburg am Samstag könnte jene eine Pleite zu viel gewesen sein, die einer Mannschaft früh in der Saison die Hoffnung raubt.

Nur zwölf Zähler nach 22 Spielen, aber acht Punkte Abstand auf den HSV auf Relegationsrang 16 und schon zehn auf Werder Bremen auf dem ersten Nichtabstiegsplatz zeichnen nach diesem Spieltag ein düsteres Bild. Die Frage, ob's das war, ist für einen Trainer Ende Februar trotzdem nur schwer zu ertragen. Vor allem, wenn diese Frage nur ein paar Minuten nach einer Niederlage gegen einen an diesem Tag ähnlich schwachen Gegner aufkommt.

Aufholjagd? Darauf gibt es keine Hinweise

Frings riss sich also zusammen, aber sein scharfer Trotz wirkte dennoch nur wie eine Durchhalteparole. Er meckerte: "Was sollen wir jetzt machen? Das Fußballspielen einstellen?" Dass es schwer werde, sei seit Monaten bekannt, und dass es jetzt nicht einfacher werde, sei auch sonnenklar, brummelte er und erklärte tapfer: "Fußball spielt man, um zu gewinnen, und das werden wir auch in den nächsten Wochen versuchen."

Historiker wissen: Mit solch einer Ausgangsposition zu diesem Zeitpunkt einer Saison gelang in 53 Jahren Bundesliga-Geschichte noch keinem Verein der Klassenerhalt. Warum sollte es Darmstadt 2017 gelingen? Am Samstag gegen Augsburg fanden sich keinerlei Hinweise auf eine mögliche Aufholjagd der Lilien. Die Wunderzeiten neigen sich dem Ende zu im "Bölle". Nach dem Durchmarsch von Liga drei in Liga eins und dem sensationellen Klassenerhalt unter Trainer Dirk Schuster scheint die Substanz für Kraftakte aufgebraucht zu sein.

Punktuell kann die Mannschaft vielleicht noch einmal über sich hinauswachsen - so wie beim überraschenden 2:1 gegen Borussia Dortmund vor zwei Wochen. Aber auf die lange Strecke und in den wichtigen Spielen wie gegen Augsburg treten jene Schwächen offen zutage, die weder Schusters unmittelbar Nachfolger Norbert Meier noch bisher Torsten Frings kompensieren konnte. Die Standortnachteile (zweitkleinstes Stadion, kleinstes Budget) nach mehr als drei Jahrzehnten Erstliga-Abstinenz lassen sich in der zweiten Bundesliga-Saison nicht mehr kaschieren.

Die Angreifer verfügen nicht über Erstliga-Niveau

Vor allem in der Offensive krankt es. Einen mitreißenden Stürmer wie Sandro Wagner, der vergangene Saison 14 Tore erzielte, bevor er nach Hoffenheim weiterzog, haben die Darmstädter nicht mehr. Weder Antonio Colak noch der im Januar verpflichtete Terrence Boyd und schon gar nicht der notorisch glücklose Sven Schipplock verfügen konstant über Erstliga-Niveau.

Und die im Vorjahr so sichere Verteidigung wirkt zu oft überfordert: Am Samstag foulte Innenverteidiger Alexander Milosevic den Augsburger Dominik Kohr so ungeschickt, dass Schiedsrichter Jochen Drees auf Strafstoß entscheiden musste. Paul Verhaegh verwandelte (54.) und egalisierte so die Darmstädter Führung durch Marcel Heller (47.). Der K. o. erfolgte fünf Minuten vor Abpfiff, als Augsburgs Ja-cheol Koo einen feinen Pass spielte, Stürmer Raul Bobadilla lossprintete und den Ball über 98-Torwart Michael Esser lupfte.

Darmstadt hat in Hamit Altintop nur einen Klassemann, im Januar kam der Routinier von Galatasaray Istanbul. Beim zehnten Aufeinandertreffen gegen seinen zwölf Minuten jüngeren Zwillingsbruder Halil vom FCA verlor er am Samstag zum dritten Mal. "Die Luft wird immer enger", stellte der 34-Jährige etwas ungelenk fest. Kapitän Aytac Sulu gab Einblicke in das Seelenleben eines verzweifelten Tabellenletzten: "Der Druck ist mental schon groß, wenn man mit dem Gefühl ins Spiel geht, man muss gewinnen, sonst passiert das und das."

Dieser Druck wird die Lilien noch zwölf Spiele und zweieinhalb lange Monate lang begleiten, als Nächstes in das Auswärtsspiel bei Frings' Ex-Klub Werder Bremen sowie im Heimspiel gegen Mainz. Was den Spielern bleibt, ist jene ewige Sportler-Hoffnung, die Sulu so formuliert: "Es kann nur besser werden."

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