Darmstadt 98:Einer mit Herz

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Es gibt viel zu besprechen: Darmstadt-Trainer Ramon Berndroth (rechts) mit Sven Schipplock. (Foto: Michael Kienzler/Getty)

Ramon Berndroth gilt als kompetent, ehrlich und bodenständig - dennoch wird Darmstadts Interims-Trainer seinen Stuhl nach dem Spiel in Berlin räumen.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

Am liebsten würden sie in Darmstadt diesen Ramon Berndroth ständig knuddeln, so lieb haben sie den Mann. Berndroth, 64, ist so etwas wie der gute Fußballmensch des Rhein-Main-Gebiets, er hat einst dem "Lebbe-geht-weida"-Trainer Dragoslav "Stepi" Stepanovic sowie Klaus Toppmöller oder Jupp Heynckes bei Eintracht Frankfurt assistiert. Aktuell ist der Mann mit dem gewinnenden Lachen nach der Entlassung von Norbert Meier für drei Spiele Interimstrainer bei den Lilien. Dabei können Berndroths überragenden Sympathiewerten selbst eine Vergangenheit bei Kickers Offenbach noch zwei 0:1- Niederlagen (in Freiburg und gegen den FC Bayern München) etwas anhaben. Ramon Berndroth ist eine Führungskraft, wie sie sein soll bei Darmstadt 98: offen, ehrlich, kompetent und bodenständig.

Aber spätestens nach dem Auswärtsspiel bei Hertha BSC an diesem Mittwoch wird Berndroth wieder als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und im Scouting für die Profis tätig sein. Viele hätten sich diesen Charakter auch als jenen Trainer vorstellen können, der den Tabellenletzten vor dem Abstieg retten soll. Aber Berndroth wird 2017 nicht mehr im Rampenlicht der Bundesliga stehen - alleine schon deshalb, weil er bald in Rente gehe, wie Klub-Präsident Rüdiger Fritsch sagt. Berndroth hat den Lilien in nur zwei Wochen aber wieder Hoffnung geschenkt, Fritsch sagt: "Ramon hat die Authentizität zurückgebracht, auf der der neue Trainer aufbauen kann." Der Spieler Jérôme Gondorf sagt: "Wir sind wieder der verschworene Haufen geworden, der wir vorher hätten sein sollen. In Darmstadt musst du Herz haben." Mit Berndroth sei so etwas wie Aufbruchsstimmung zurückgekehrt bei den Lilien.

Der Mittelfeldspieler gehört wie Kapitän Aytac Sulu und Flügelflitzer Marcel Heller zu jenen Helden, die von 2013 an mit dem Trainer Dirk Schuster von der dritten bis in die erste Liga aufgestiegen sind - und dann auch noch die Dreistigkeit besaßen, den Klassenverbleib zu schaffen. Es war eine Geschichte wie erfunden für Fußballromantiker: Ein Underdog mit baufälligem Stadion und kleinem Budget trotzt dem Establishment. Aber diese angeblich romantische Erzählung stimmte schon im Sommer nicht mehr. Den Erfolgstrainer Schuster zog es vehement nach Augsburg, er sah in Darmstadt Grenzen erreicht. Plötzlich musste sich der Klub neu aufzustellen. Der von Schuster als Scout geholte Holger Fach wurde zum Sportdirektor befördert und holte Norbert Meier als Trainer. Aber weder der kauzige Meier noch der leicht aufbrausende Fach fanden Zugang zur Mannschaft. Die in Darmstadt so gerne betonten Grundtugenden Laufbereitschaft und Zweikampfstärke gingen bei dem Versuch, mehr Fußball zu spielen, allmählich verloren. Schnell verlor das Publikum den Glauben und forderte die Entlassung des Trainers. Nun ist zwar - trotz der beiden unglücklichen Niederlagen - die Hoffnung zurück. Aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Herausforderung, vor der der Klub steht: Wie muss sich Darmstadt 98 aufstellen, um eine langfristige Zukunft im Profifußball zu haben?

Aussichtsreicher Kandidat ist Holger Stanislawski

Fest steht, dass nach dem Debakel mit Fach kein Sportdirektor mehr verpflichtet wird. Der neue Trainer wird wie Schuster in einer Doppelfunktion auch als Manager fungieren, unterstützt von Michael Stegmayer. Kandidatennamen will Fritsch nicht kommentieren, egal ob sie "Heidemarie, Erwin oder sonst wie heißen" - aber als aussichtsreicher Kandidat gilt offenbar Holger Stanislawski. Der Kulttrainer von St. Pauli, der weder in Hoffenheim noch in Köln heimisch wurde, könnte ins familiäre Underdog-Milieu der Lilien ("Aus Tradition anders") passen. Kein Thema ist die Rückkehr des gerade in Augsburg gefeuerten Schuster. "Die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit", kommentierte Fritsch die Personalie; der Jurist fand die Umstände des Weggangs des Erfolgstrainers nicht angemessen.

Seit 2012 steht Fritsch den Lilien vor, der 55-Jährige ist das Sprachrohr von 98. Vor vier Jahren hatte der Klub sechs Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle, heute sind es 32. Das Personalbudget stieg von damals fünf Millionen Euro auf aktuell rund 20. Nicht nur aus Sicht des Vorletzten Hamburger SV ist das aber noch immer winzig. Fritsch sähe seinen Verein gerne eine Entwicklung nehmen wie Mainz 05 oder der SC Freiburg. Die sind aber über Jahre gewachsen, die Lilien kamen plötzlich aus der Versenkung. Um nicht wieder dort zu verschwinden, brauchen sie ein neues Stadion, im alten Bölle wird nur mit einer Ausnahmeregelung gespielt. Eine neue Arena für etwa 25 000 Menschen wird wohl aber erst in drei bis vier Jahren fertig sein - eine Ewigkeit im Fußball. "Bundesliga ist für uns reiner Überlebenskampf", sagt Fritsch. An diesem Mittwoch geht er bei Hertha BSC weiter. Zum letzten Mal mit Ramon Berndroth.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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