Norwich City:Ein deutscher Trainer lehrt die Kanarienvögel das Fliegen

Stoke City - Norwich City

Wie Jürgen Klopp nahm auch Daniel Farke die Trainerroute aus Dortmund nach England.

(Foto: dpa)
  • Made in Germany: Norwich City steht vor der Rückkehr in die Premier League.
  • Mitverantwortlich für diesen Erfolg ist der deutsche Trainer Daniel Farke.
  • Er ging wie Jürgen Klopp den Weg über Dortmund nach England - Farke setzt im Gegensatz zu Klopp aber nicht auf forsche Attacke, sondern auf Ballbesitz.

Von Sven Haist, Norwich

Die Story mit dem Pferd ist so außergewöhnlich, dass Daniel Farke immer wieder auf sie angesprochen wird. Zum Abschluss seiner sechsjährigen Tätigkeit beim Regionalligisten SV Lippstadt 08 ritt Farke durchs Stadion. Die Ehrenrunde vor vier Jahren hatte der damalige Präsident Kai Hartelt organisiert, der seinen Trainer und Sportdirektor wegen dessen langen, dunklen Haaren den "Winnetou" nannte. Auf der Suche nach Anekdoten über den ersten nicht britisch-irischen Chefcoach bei Norwich City fielen Farkes Reitaufnahmen den englischen Fans in die Hände. Das Anliegen, ihn in diesen Tagen erneut auf einem Pferd zu sehen, lehnte Farke bereits ab, obwohl dies gut passen würde. Denn der Ritt von Norwich aus der Championship, der zweiten Liga, in die Premier League ist an den letzten beiden Spieltagen nur noch theoretisch zu verhindern.

Neben Jürgen Klopp (FC Liverpool), David Wagner (Huddersfield Town bis Januar) sowie Daniel Siebert (Huddersfield Town ab Januar) nahm auch Farke, 42, die Trainerroute aus Dortmund auf die Insel. In zwei Spielzeiten hatte er sich als Nachfolger von Wagner bei den BVB-Amateuren einen Namen gemacht, ehe ihn Norwichs neuer Sportdirektor Stuart Webber (der zuvor bereits Wagner nach Huddersfield lotste) im Sommer 2017 von einem Engagement überzeugte - trotz lukrativer Angebote für den Umworbenen aus der ersten und zweiten Bundesliga. Im Gespräch im Trainerbüro auf dem Klubgelände erklärt Farke: "Als Wettbewerber hat mich die ultimative Herausforderung gereizt, mit Norwich einen Klub zu übernehmen, den maximale Probleme im Tagesgeschäft belastet und zugleich hohe Erwartungen umgeben hatten. Mir war bewusst: Wenn ich in dieser Konstellation erfolgreich sein kann, bin ich im Fußball für alle Aufgaben bereit."

Der 2016 aus der Premier League abgestiegene Verein aus der Grafschaft Norfolk, zwei Autostunden nordöstlich von London, plagte sich neben der Erfolglosigkeit einer überalterten Mannschaft mit einer Finanznot. Die Wünsche der Fans orientierten sich anstelle des Alltags in der Championship, in der 18 der 24 Klubs bereits einmal in der Premier League höherklassig spielten, am größten Erlebnis der Historie: dem Erreichen der dritten Runde im Uefa-Pokal vor 25 Jahren, nach einem Sieg über den FC Bayern. "Der Klub ruft aufgrund seiner Vita unfassbare Emotionen hervor. Die Aufgeregtheit ist vergleichbar mit der beim 1. FC Köln, bei Borussia Dortmund oder Schalke 04", sagt Farke.

"Fängt man an, zu stolz zu sein, ist man nicht mehr wachsam genug"

Mit einem Zuschauerschnitt von knapp 26 000 Besuchern pro Heimspiel an der Carrow Road besitzt Norwich die höchste Stadionauslastung der Liga. Durch die vorgefundene Schieflage konnte Farke mit Sportchef Webber die Canaries, deren Rufname auf die Tradition der Kanarienvogelzucht in der 150 000 Einwohner großen, mittelalterlichen Domstadt zurückgeht, von Grund auf neu ausrichten - und nach einer Spielzeit im hinteren Tabellenmittelfeld wieder zum Fliegen bringen. Im Wettstreit um die beiden Aufstiegsränge reicht Norwich City an diesem Samstag im Heimspiel gegen Blackburn ein Remis, um die vierte Rückkehr in die Premier League fix zu machen. Zwei Spieltage vor Saisonende befindet sich der seit zwölf Partien ungeschlagene Tabellenführer drei Punkte vor Sheffield United und sechs Punkte vor dem drittplatzierten Leeds United. "Die Fans dürfen träumen", sagt Farke, "aber als Trainer lebe ich die Euphorie nicht mit. Fängt man an, zu stolz zu sein, ist man nicht mehr wachsam genug."

Mit zehn Profis im Kader, die schon in Deutschland aktiv waren, wirkt es so, als hätte Norwich die wundersame Aufstiegsgeschichte von Huddersfield Town nachgebaut. Diese hatte David Wagner - Klopps Trauzeuge - mit mehr als einer Hand voll aus Deutschland engagierten Profis in die Premier League gebracht. Zumindest für eine Saison, in der zweiten ist Huddersfield als Letzter bereits abgestiegen.

Anders als Klopp setzt Farke nicht auf forsche Attacke, sondern auf Ballbesitz

Doch diese These wird Farkes Entwicklung zum Aufstiegstrainer nur in Details gerecht. Nachdem ihm der Sprung zum Vollprofi als technisch beschlagenem Amateurtorjäger verwehrt geblieben war, absolvierte der Ostwestfale ein Studium zum Diplom-Betriebswirt: mit dem Ziel, im Vereinsmanagement tätig zu werden. "Mein Elternhaus war sehr bildungsorientiert. Daher war es mir immer wichtig, andere Inspirationen im Bereich der Kunst, Literatur oder Wirtschaft zu finden, statt nur über den Ball nachzudenken", sagt er.

Im Gegensatz zu Klopp und Wagner, die den Inselfußball verblüfft haben mit ihrer Strategie des forschen Attackierens bei gegnerischem Ballbesitz, trumpft Norwich mit Spielstärke auf. "Meine Grundidee ist Dominanz durch Ballbesitz und der Ansatz, dass mein Team in jedem Bereich möglichst perfekt sein soll. Das birgt jedoch das Risiko, am Ende nichts perfekt zu können", sagt Farke. Bei der Umsetzung vertraute er seiner deutschen Marktkenntnis. Auch weil die englische Profibörse aufgrund der Regelung, dass an Spieltagen mindestens sieben auf der Insel ausgebildete Akteure im Aufgebot stehen müssen, als überteuert gilt. "In Deutschland ist es einfacher, gute Qualität für einen bezahlbaren Preis zu finden", sagt Farke.

In den vergangenen zwei Jahren hat Norwich - im Besitz des britischen Ehepaars Delia Smith (Starköchin und Autorin) und Michael Wynn-Jones (Verleger) - einen Transferüberschuss von mehr als 50 Millionen Euro erzielt. In James Morrison wurde 2018 ein begabter Spielmacher für den Klubrekord von 25 Millionen Euro an Leicester City verkauft. Für vergleichsweise geringe Ablösen sicherte sich der Klub die Dienste der in Deutschland nicht gar so bekannten Marco Stiepermann (VfL Bochum), Mario Vrancic (SV Darmstadt 98) und Onel Hernández (Eintracht Braunschweig), die in der Scorerliste (Tore und Vorlagen) alle zweistellig punkteten. Stellvertretend für die Personalpolitik steht im Angriff der ablösefrei verpflichtete ehemalige Schalker Teemu Pukki, 29. Mit 28 Treffern führt Finnlands Nationalspieler die Torschützenliste an.

Seinen Vertrag hat Farke gerade bis 2022 verlängert. Die Fans sind einverstanden und rufen bei jeder Gelegenheit: "Farke is on a horse" - Farke ist auf dem Pferd!

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