Footballprofi Damar Hamlin:Zurück nach dem Herzinfarkt

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Bei seinem Comeback von Beginn an stoppte Damar Hamlin zwei Spielzüge der Arizona Cardinals mit krachenden Tackles. Er sagt: „Ich will zeigen, dass es sich lohnt, diese zweite Chance zu nutzen.“ (Foto: Matt Slocum/AP)

Im Januar 2023 kollabiert Damar Hamlin von den Buffalo Bills nach einem Zusammenprall auf dem Spielfeld. Er überlebte, kämpfte und absolvierte am Wochenende seine erste Partie von Beginn an.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Diese Begegnung zwischen Damar Hamlin und James Conner am Sonntagnachmittag auf dem Footballfeld in Buffalo war eine ganz besondere. Natürlich begegnen sich Sportler nach packenden Duellen auf dem Rasen, plaudern kurz und tauschen Trikots. In diesem Fall gewannen die heimischen Bills die erste Partie der frischen NFL-Saison mit 34:28 gegen die Arizona Cardinals – und es ging danach um mehr als sportlichen Respekt oder Freundschaft: Das Leben hat beiden Footballprofis eine zweite Chance geschenkt. „Er weiß als einer der wenigen, was ich fühle, woran ich denke, was mich beschäftigt; weil er es selbst erlebt hat“, sagt Hamlin über Conner.

Dieser hatte 2015 nach einem Kreuzbandriss als Sportstudent während der Reha über Schmerzen in der Lunge geklagt, Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Er besiegte die Krankheit. „Ich habe beschlossen, keine Angst zu haben, sondern lieber zu beweisen, dass man trotzdem Footballprofi werden kann“, sagte er. Sein Mitspieler bei der Rückkehr ins Footballteam der University of Pittsburgh war Damar Hamlin. 2017 wurde Conner Profi. Mittlerweile absolviert der Laufspieler seine achte NFL-Saison, am Sonntag schaffte er 83 Yards Raumgewinn und einen Touchdown.

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„Er hat eine zweite Chance gekriegt, und er hat sie genutzt“, sagt Hamlin. Was er nicht sagte, weil es zumindest in den USA ohnehin jeder weiß: genauso wie er selbst. Am 2. Januar 2023 war der Defensivspieler während der Partie gegen die Cincinnati Bengals nach einem Zusammenprall mit Gegenspieler Tee Higgins kollabiert. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten, musste auf dem Spielfeld reanimiert werden und schwebte vier Tage lang in Lebensgefahr. Er verdankt sein Überleben dem schnellen, beherzten Eingreifen der Einsatzkräfte auf dem Spielfeld. 97 Prozent der Menschen, die nach einem derartigen Vorfall nicht innerhalb von drei Minuten behandelt werden, kommen ums Leben.

Die Einsätze in der vergangenen Saison blieben spärlich

Überleben war die eine Sache – obwohl selbst das bezweifelt wurde: Wochenlang kursierte in den USA die Verschwörungserzählung, der zufolge der Infarkt eine Folge der Covid-Impfung gewesen sei. Dass Hamlin gestorben und von einem Double ersetzt worden sei, um alles zu vertuschen. Das war freilich völliger Quatsch, so wie auch derzeit im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft viel Nonsens verbreitet wird – mit dem die Betroffenen solcher Theorien jedoch umgehen müssen: „Die ganze Welt hat es mitgekriegt. Ich jedoch bin der, dem es passiert ist“, sagt Hamlin.

Nur wer dem Tod selbst von der Schippe gesprungen sei wie Conner, wisse, wie sich das Leben danach anfühle: die Freude, noch auf dieser Welt zu sein, aber eben auch die Frage: Und nun? Kann jemand, der beinahe gestorben wäre auf dem Footballfeld, jemals dorthin zurückkehren? „Darüber habe ich jeden Tag nachgedacht“, sagt der 26-Jährige: „Es ist die Ungewissheit bei diesem langen Prozess, die an einem nagt; die Frage, ob es tatsächlich klappen kann – und wie es sich dann anfühlt. Ich kenne doch nichts anderes als Football.“

Unterstützung in den Stadien: Im Januar 2023 erscheint vor dem Spiel der San Francisco 49ers und der Arizona Cardinals diese Botschaft an Damar Hamlin. (Foto: Darren Yamashita/USA Today)

Es gibt in der NFL keinen Platz für Sentimentalität, auch nach schweren Verletzungen nicht, dafür passieren sie zu häufig in dieser gefährlichen Sportart. Etwa ein Drittel der Profis verpasst pro Saison mindestens eine Partie verletzungsbedingt. In der vergangenen Saison gehörte Hamlin zum Kader der Buffalo Bills, wurde aber lediglich in fünf Partien eingesetzt. Die Meilensteine des Comebacks (erster Einsatz am 1. Oktober, erster umgerissener Gegner am 13. November) waren News, die einhellige Meinung aber auch: Eine glorreiche Zukunft dürfte das eher nicht werden. „Natürlich wäre es ziemlich unpopulär gewesen, Damar zu entlassen – aber am Ende muss man Entscheidungen mit Blick auf das ganze Team fällen“, sagt Trainer Sean McDermott angesichts dessen, dass die Bills im Sommer gleich drei mögliche Ersatzspieler verpflichteten.

Hamlin jedoch gab nicht auf: „Ich habe akzeptiert, jeden Tag für sich anzugehen und jeden Schritt auf dem Weg ganz bewusst zu gehen. Das erlaubt einem, wirklich alles zu schaffen, was man sich vornimmt.“ Zu Beginn der vergangenen Woche kam dann die Nachricht, dass Hamlin beim ersten Saisonspiel von Beginn an auf dem Feld stehen würde – und zwar, wie McDermott betonte: „Weil er es verdient hat.“ Hamlin stoppte zwei Spielzüge der Cardinals mit krachenden Tackles und animierte die Mitspieler immer wieder, trotz zwischenzeitlichem 14-Punkte-Rückstand, nur ja nicht aufzugeben. „Er verbreitet Optimismus“, sagt Reid Ferguson, dienstältester Bills-Spieler und Kabinennachbar von Hamlin. Dessen Wille motiviere seine Kollegen, die sich durchaus Hoffnungen machen auf einen Super-Bowl-Triumph in dieser Saison. Das wäre die Märchenversion dieser ohnehin unwirklichen Story.

„James war Inspiration für mich auf meinem Weg zurück“, sagte Hamlin nach der Begegnung mit Studienkumpel Conner: „Jetzt will ich Vorbild sein, auf dem Rasen und abseits davon. Ich will zeigen, dass es sich lohnt, diese zweite Chance zu nutzen und die beste Version seiner selbst zu sein.“ Beim Verlassen des Stadions trug er einen Kapuzenpulli, den er zuletzt oft getragen hatte. Über der Brust, in der sein Herz wieder kräftig schlägt, steht: „Don’t quit“. Nicht aufgeben.

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