Süddeutsche Zeitung

Curling-WM:Wischen mit Elvis

  • Showgirls und Elvis-Imitatoren sind Begleiterscheinungen der ersten Curling-WM in Las Vegas.
  • Die Sportart geht in puncto Vermarktung neue Wege - das finden längst nicht alle gut.

Von Sebastian Fischer

Einer der besten Curler der Welt hat in dieser Woche die Hoffnung aufgegeben, sich bei der Weltmeisterschaft auf seinen Sport konzentrieren zu können. "In der Blase sein", so nennt das Brad Gushue, der Kapitän des 36-maligen Weltmeisters Kanada. Mit seinen Teamkollegen alles um ihn herum zu vergessen, zur Ruhe zu kommen vor der Partie, nur noch an die Eisbahn zu denken, an die Steine und das Wischen, das meint er damit.

Totaler Fokus ist für ihn die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg. Doch diesmal leisten ihm in der Blase Showgirls und Elvis-Imitatoren Gesellschaft. Es ist laut, Lichter flimmern. Und Fans, die mit Cocktails in großen Plastikbechern vor einarmigen Banditen sitzen, fragen ihn ständig nach einem Foto. Sie wohnen im gleichen Hotel wie er. Das Hotel ist ein Kasino.

Im Jahr 2018 müssen Sportarten ihre Großereignisse als Events vermarkten, um überleben zu können und für Disziplinen wie das Curling, das nach den Olympischen Spielen alle vier Jahre wieder in der Nische verschwindet, gilt das besonders. Deshalb fand die Weltmeisterschaft bis Sonntag in diesem Jahr in der Wüste von Nevada statt. In Las Vegas. Gushue unterlag im Finale dem Schweden um Skip Niklas Edin 3:7. Gushue versuchte, irgendwie zur Ruhe zu kommen. Doch bereits nach ein paar Tagen sagte er dem aus Kanada mitgereisten Reporter der Zeitung Sun: "Wir haben uns entschieden, es so gut es geht zu akzeptieren."

Zwischen den Spielen schwimmen die Zuschauer am Pool und feiern

Die Curling-Weltmeisterschaft findet jedes Jahr statt, jedes zweite stets in Kanada, wo der Sport nationale Leidenschaft ist und weltweit das größte Publikum findet, rund eine Million Kanadier curlen, zu wichtigen Partien kommen Tausende. Meistens wählte der Weltverband WCF in den vergangenen Jahren Städte in der Schweiz, Schweden, Schottland oder dem Norden der USA aus, um die WM auszurichten. Doch auch das Curling will wachsen. In dieser Saison fand bereits die Asien-Meisterschaft in angenehm warmen Klima statt, in Erina, einem Vorort von Sydney. Und nun die WM in Vegas statt. Zwischen den Spielen schwammen die Zuschauer am Pool und feierten. Am Freitag war es 27 Grad warm.

Als der Event-Manager Jon Killoran vor fünf Jahren die Idee hatte, das Eis in die Wüste zu bringen, haben die Leute ihn noch angeschaut, als würde er einen Witz erzählen. Killoran ist CEO der Non-Profit-Organisation namens "Reno Tahoe Winter Games Coalition", die es sich zur Aufgabe gemacht hat, für die Ausrichtung Olympischer Winterspiele 2026 am Lake Tahoe in Nevada zu lobbyieren, wo eines der beliebtesten Skigebiete der USA liegt. Doch er schaffte es, die Organisatoren der nordamerikanischen Kontinentalmeisterschaften zu überzeugen, sie dreimal in Vegas auszurichten: 2014, 2016, 2017. Insgesamt kamen 172 004 Zuschauer in die Orleans Arena im gleichnamigen Hotel unweit des berühmten Las Vegas Boulevards. 62 498 Zuschauer 2016 waren ein Rekord.

Laut Killoran erleben die USA derzeit eine Art Curling-Boom

Killoran ist in diesen Tagen sehr beschäftigt, man erreicht ihn am besten per Mail, er antwortet gerne und euphorisch. Zwar habe der Zuschauerandrang erst langsam begonnen in diesem Jahr, doch er sei auf dem Niveau der Kontinentalmeisterschaften. Offizielle Zahlen gibt es wie Angaben zum Umsatz von ihm noch nicht. Doch als die USA in der Vorrunde auf Kanada traf, war die 9500 Zuschauer fassende Halle gut gefüllt.

Laut Killoran erleben die USA derzeit eine Art Curling-Boom. Tatsächlich wurden während der Olympischen Spiele in Pyeongchang in den sozialen Netzwerken Videos geteilt von Amerikanern, die in ihren Wohnzimmern mit Zimmerbesen Curling-Wettkämpfe nachstellten. Es hilft natürlich auch, dass die amerikanische Mannschaft um Skip John Shuster eine der schönsten Außenseitergeschichten der Spiele schrieb und im Finale gegen Weltmeister Schweden Gold gewann. Shuster setzte zwar bei der WM aus, doch gemeinsam mit seinen Kollegen war er als bekanntester Botschafter des Sports bei der Eröffnungsfeier, er war in Late-Night-Shows zu Gast.

Deutschland schneidet mit nur einem Sieg am schlechtesten ab

Killoran nennt Las Vegas inzwischen eine "Curling-Oase". Eine, die trotz der Hoffnung auf den Boom vor allem Fans aus Kanada anzieht. Aber auch aus Skandinavien, Schottland und der Schweiz. "Sie haben eine gute Zeit", schreibt Killoran. Er hat natürlich auch gelesen, dass sich der kanadische Skip Gushue skeptisch geäußert hat, doch Killoran sieht das so: "Das Erlebnis für die Fans ist genauso wichtig wie das Erlebnis für die Athleten." Und außerdem: "Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, scheint das Team Gushue nicht sonderlich abgelenkt zu sein."

Von den 13 Teams, von denen Deutschland mit nur einem Sieg in zwölf Spielen übrigens am schlechtesten abschnitt, waren die Kanadier am Ende ja noch Zweiter. Mit den ungewohnten Bedingungen haben sie sich arrangiert. "Ich bekomme schnell Sonnenbrand, aber hoffentlich verwandelt der sich nach ein paar Tagen in Bräune", sagte Gushue der Nachrichtenagentur Canadian Press. Anstatt wie sonst ins Entmüdungsbecken, setzen sie sich diesmal halt draußen in den Pool.

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SZ vom 08.04.2018/jbe
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