Curler vor EM-Halbfinal-Einzug:Ein Amateur mit berühmtem Namen

John Jahr, Enkel der Verlagsgründer von Gruner + Jahr, führt die deutsche Curling-Mannschaft bei der Europameisterschaft in Moskau an. Trotz einer Niederlage im letzten Gruppenspiel hat das Team noch Chancen auf den Einzug ins Halbfinale. Jahr selbst strebt nach mehr als 25 Jahren den zweiten EM-Titel an.

Matthias Kohlmaier

John Jahr entstammt einer berühmten Familie: Sein Großvater John Jahr senior war Mitbegründer des Verlagshauses Gruner + Jahr, sein Vater John Jahr junior war Gründungsgeschäftsführer des Verlags. Hauptberuflich ist der Enkel von John senior zwar in diversen Gremien der Firma seiner Familie tätig, er hat es aber auch sportlich zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. John Jahr ist Skip der deutschen Curling-Nationalmannschaft und tritt in Moskau bei der EM an.

Curler vor EM-Halbfinal-Einzug: John Jahr, Skip des CC Hamburg und gerade bei der EM in Moskau.

John Jahr, Skip des CC Hamburg und gerade bei der EM in Moskau.

(Foto: imago sportfotodienst)

Bisweilen müssen Träger berühmter Namen fürchten, dass ihre Nominierung auch dem berühmten Namen geschuldet ist. John Jahr und sein Hamburger Team bewiesen aber, dass ein solcher Gedanke unbegründet ist. Erstens gibt er sich in Russland als Mannschaftsspieler. Als Skip, quasi als ihr Kapitän, bestimmt der 46-Jährige die Taktik. Normalerweise ist es auch die Aufgabe des Skips, die letzten beiden Steine zu spielen, die meistens über Gewinn oder Verlust entscheiden. Nicht so bei Deutschland, da macht das "Felix Schulze, der ist technisch stark und kann gut mit Druck umgehen", erklärt Jahr.

Zweitens war das Team furios in die Europameisterschaft gestartet - nach vier Partien standen vier Siege auf dem Ergebniszettel, darunter gegen den Titelfavoriten aus Schweden. Danach setzte es gegen Tschechien, Norwegen und Dänemark aber drei Niederlagen am Stück. Vor der EM hieß das Minimalziel Platz sieben, damit wäre Deutschland für die kommenden Weltmeisterschaften 2012 in Basel qualifiziert. Nach dem starken Auftakt hatte man allerdings auf einen Platz im Halbfinale spekuliert.

Am Mittwochabend spekulieren sie immer noch. Durch den Erfolg am Vormittag gegen Lettland (6:4) ist die WM-Teilnahme sicher, mit einem Sieg gegen die Schweiz am Abend wäre es auch der Einzug ins Halbfinale gewesen. Wäre, denn die deutsche Mannschaft unterlag den Eidgenossen mit 3:4 und muss sich jetzt am Donnerstag durch zwei Entscheidungsspiele kämpfen.

Curling stand eigentlich schon immer am Rand des reichhaltigen Angebots an Wintersportarten in Deutschland. Das Spiel ist von den Regeln her mit Boccia verwandt, aber doch um ein Vielfaches komplexer. "Curling ist für mich der prädestinierte Teamsport", erklärt Jahr und fügt hinzu: "Beim Fußball kann man immer ein, zwei schwächere Spieler durchschleppen, das geht hier definitiv nicht."

Ein Curling-Team besteht aus vier Spielern, jeder darf zwei Steine in Richtung Zielkreis, dem "Haus", gleiten lassen. Am Ende eines Durchgangs - eine Begegnung besteht aus insgesamt zehn solcher sogenannter "Ends" - gibt es für jeden Stein, der näher am Zentrum des Hauses liegt als der beste gegnerische Stein einen Punkt. Misslingt nur ein Stein pro Durchgang, ist die Taktik meistens nicht mehr umzusetzen.

Profis aus Skandinavien

Gerade die Komplexität des Spiels ist wohl auch ein Grund, weshalb sich Deutschlands Curler mit großen Nachwuchsproblemen herumplagen. Es gäbe zwar viele Jugendliche, die Curling gerne mal probieren würden, meint Jahr, aber die müsse "man dann eben auch an die Hand nehmen". Die Jugendarbeit des deutschen Curling-Verbands und der Vereine sei aber leider "massiv ausbaufähig", kritisiert der 46-Jährige.

Dass er nun Deutschland bei der EM vertreten kann, kommt dennoch für viele Beobachter überraschend. Die Nationalmannschaft wird nicht aus den besten Spielern Deutschlands zusammengestellt, sondern es fährt immer ein Klub-Team geschlossen zu Großveranstaltungen. Das war in den vergangenen Jahren meistens der CC Füssen um Skip Andy Kapp, dieses Mal konnte sich John Jahr mit dem CC Hamburg gegen die Allgäuer durchsetzen.

"Das war schon eine Genugtuung, im Sport will man schließlich den anderen schlagen", freut sich Jahr. Prinzipiell gebe es aber keine ausgeprägte Rivalität oder gar Feindschaft zwischen den deutschen Klubs: "Wir sind alle miteinander befreundet und gehen auch mal gemeinsam einen trinken."

International sieht das mit Freundschaften anders aus. "Mit lustig ist hier gar nichts! Hier geht man nur aufs Eis, kämpft gegeneinander und hat sonst kaum Kontakt", beschreibt John Jahr die Atmosphäre bei der EM. Das könnte vielleicht auch an den unterschiedlichen Ansprüchen liegen.

In Schweden - wie auch im Rest Skandinaviens - hat Curling einen ungleich höheren Stellenwert als in Deutschland. "Bei denen ist alles auf die Goldmedaille in Sotschi 2014 ausgerichtet. Bis dahin tun die nichts anderes, als Curling zu spielen", erklärt Jahr. Die schwedischen Curler sind Vollprofis, sie beziehen vom Verband ein festes Gehalt und können von ihrem Sport leben. Da waren die Profis nach der Niederlage gegen das deutsche "Amateur-Team" nicht gerade zum Plaudern aufgelegt.

Für die deutschen Spieler bleibt ihr Sport eine Nebenbeschäftigung, bei den Hamburgern steht auch ein Rechtsanwalt und ein Bankangestellter auf dem Eis. "Beruf, Familie und Sport zu vereinbaren, das kann man auf jeden Fall nur für einen begrenzten Zeitraum", meint Jahr. Er ist selbst dreifacher Familienvater und hat die Curling-Karriere des Nachwuchses wegen schon mal für neun Jahre ruhen lassen.

Jetzt will Jahr aber noch einige Jahre auf internationalem Niveau spielen. Noch besteht die Möglichkeit, schon in Russland einen großen Titel zu gewinnen. An der fehlenden Erfahrung sollte es dabei nicht scheitern: John Jahr war bereits 1985 Curling-Europameister.

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