Curler ohne staatliche Sportförderung:"Ein Sport wird kaputt gemacht"

Curling

Deutsche Curling-Männer: Finanzprobleme bedrohen den Sport

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Die deutschen Curler sind empört, weil sie kein Geld mehr aus der staatlichen Spitzenförderung erhalten sollen. Sie werden nicht die einzigen Enttäuschten bleiben: Auf Deutschlands Sportlandschaft kommen gravierende Änderungen zu.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Alle vier Jahre erhebt sich Curling hierzulande aus der Nische und steigt zu einer der beliebtesten Fernsehsportarten auf. Stets sind die Quoten erstaunlich, wenn bei den Olympischen Winterspielen die Strategen mit Steinen und Besen hantieren, wenn sie ihr "Schach auf dem Eis" ausspielen - und oft bietet dieser Sport auch wunderbare, weil so ungewöhnliche Geschichten und Biografien.

Doch nach Lage der Dinge wird Deutschland dabei bald keine große Rolle mehr spielen. Denn die Curler sind wohl der erste olympische Fachverband, der einem verschärften Verteilungskampf im organisierten deutschen Sport zum Opfer fällt. Sie sollen ihre Förderung mit Steuermitteln verlieren - und damit die Möglichkeit, ihren Sport auf einem Niveau auszuüben, das notwendig ist, um weiter vorne mitzumischen bei internationalen Wettkämpfen.

Bisher betrug der Jahresetat des Curling-Verbandes zirka 400 000 Euro. Nach guten Resultaten Ende der Nullerjahre waren die Leistungen zuletzt schwächer. Um Trainerstab, Trainingsumfang und dergleichen künftig auf ein international konkurrenzfähiges Niveau zu heben, beantragten die Curler einen Zuschlag von 160 000 Euro. Ansonsten, so ihr Argument, bringe die Förderung nichts.

Kein Platz für Nächstenliebe

Jetzt fällt die Antwort so aus: kein Geld mehr für Curling. "Wir standen vor der Frage, ob wir im Gießkannenprinzip bei allen Verbänden kürzen oder nur bei einem", sagt Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). "Das ist eine große Sauerei. Da wird eine Sportart kaputt gemacht", sagt Andreas Kapp, einer der erfolgreichsten deutschen Curler und jetzt Trainer am Stützpunkt in Füssen.

Doch Curling wird wohl nicht die letzte Sportart sein, die "kaputt gemacht" wird. Auf Deutschlands Sportlandschaft kommen gravierende Änderungen zu.

Die mittelfristige deutsche Spitzensportförderung kennt zwei Prämissen. Erstens: Es gibt vom Bundesinnenministerium (BMI) nicht signifikant mehr Geld. 130 Millionen Euro betrug der Haushalt zuletzt; der deutsche Sport forderte fast 40 Millionen Euro mehr, doch das lehnte das BMI ab. Zweitens: Der deutsche Sport soll erfolgreicher sein. "Wir fördern den Sport nicht aus Nächstenliebe", stellte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) während der Spiele von Sotschi klar. Und Erfolg hat eben nicht nur, aber doch zu einem wesentlichen Teil mit Geld zu tun.

Insofern ergibt die Kombination dieser beiden Aspekte eine recht eindeutige Konsequenz: Irgendwo muss der deutsche Sport die Förderung zurückfahren. Wo sich dieses Irgendwo genau befindet, das ist die große Debatte, die hinter den Kulissen schon seit Monaten schwelt und die nun immer häufiger in kleinere Eklats mündet.

Das war zunächst so bei den Schachspielern, die keine Förderung mehr erhalten sollten. Nun betrifft es im Fall der Curler erstmals einen kompletten olympischen Verband. Demnächst kommt das Problem auch noch auf einige andere Sportarten zu. Im vergangenen Jahr hat der deutsche Sport die olympischen Sommer-Disziplinen in Gruppen von A (= sehr hohe Medaillenchancen) bis E (= überhaupt keine Medaillenchancen) aufgeteilt.

Skepsis am Förderungsprinzip

Die aus der Gruppe E erhalten schon jetzt keine Projektfördermittel mehr, bald droht das noch mehr Disziplinen. Diverse Spielsportarten etwa fühlen sich schlecht behandelt, weil bei ihnen naturgemäß nur wenige Medaillen vergeben werden - während Sportarten wie Rodeln, Rudern oder Bahnradfahren Gold gleich im halben Dutzend bescheren können. "Wenn das Geld nicht reicht, ist es durchaus möglich, dass es auch Sommerverbände erwischt", sagt DOSB-Chef Hörmann.

Es ist heikel, eine Gratwanderung, was da nun abläuft. Einerseits gibt es zahlreiche strukturelle Schwächen in der deutschen Spitzensportförderung; sie gilt gemeinhin als sehr ineffizient und bedarf dringend der Reform. Bei mancher Sportart stellt sich durchaus die Frage, wohin all die Steuergelder versickern. Und kaum ein Land leistet sich auch so viele B- und C-Kader-Athleten wie Deutschland: Warum soll es für Sportler, die in ihrer Karriere nicht nur von Medaillen, sondern auch von Finalplatzierungen weit entfernt sind, eine Spitzenförderung geben?

Andererseits gibt es eine fundierte Skepsis, wenn nur noch Erfolg(spotenzial) als Förderungsfaktor gilt. Kritiker sagen: Der DDR-Sport funktionierte nach diesem Ansatz. Befürworter entgegnen: Aber auch das britische Förderwesen vor den London-Spielen 2012. "Der Leistungssport in Deutschland steht am Scheideweg", sagt DOSB-Chef Hörmann.

"Verräter am Sport"

Der Sport leidet in dieser Frage jedoch sehr daran, dass er kein stimmiges Bild abgibt. Einerseits beteuert er, dass er eine Konzentration auf wenige Sportarten ablehnt; andererseits treibt er mit seiner Haltung im Curling-Fall genau diese Konzentration voran. Alle Wintersportverbände hatten zusätzliche Fördermittel beantragt. Zufällig ergibt die Streichung bei den Curlern ziemlich exakt die Möglichkeit, die zusätzlichen Finanzwünsche der sechs anderen Winter-Föderationen zu erfüllen.

Jetzt versucht der DOSB, die Zuständigkeit beim BMI abzuladen, indem er darauf verweist, dass er gezwungen sei, Prioritäten zu setzen, "solange der deutsche Sport nicht mehr Mittel erhält". Aber dieses bewährte Spiel nehmen ihm die Betroffenen kaum noch ab. "Die Verantwortlichen beim DOSB sind Verräter am Sport", empört sich Curling-Vertreter Kapp.

Doch der DOSB setzt mit einem solchen Schritt auch Maßstäbe. Wenn er einmal das Prinzip der knallharten Auslese anwendet, muss es wohl auch in der Folge gelten. Zumindest wenn sich der organisierte Sport nicht dem Verdacht aussetzen möchte, dass er mit zweierlei Maß misst.

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