Crystal Palace:Der erfolgloseste Klub der Premier League

Premier League - Manchester City vs Crystal Palace

Es läuft gerade überhaupt nicht bei Crystal Palace: Nun fällt mit dem Belgier Christian Benteke auch noch der beste Stürmer für mindestens sechs Wochen wegen einer Knieverletzung aus.

(Foto: Action Images via Reuters)
  • Crystal Palace ist mit sieben Niederlagen in die Saison gestartet und hat als einziger Klub Europas noch nicht mal ein Tor erzielt.
  • Der katastrophale Start ist Folge der ständigen Neuausrichtung des Vereins.
  • Nun geht es am Samstag gegen den FC Chelsea, den amtierenden Meister.

Von Julian Budjan

"Don't worry, about a thing, 'cause every little thing, gonna be alright", singen die Fans von Crystal Palace oft bei den Spielen ihrer Mannschaft. Sie haben das Lied auch kürzlich gesungen, beim Heimspiel Mitte September gegen den FC Southampton, obwohl ja durchaus Grund zur Sorge bestünde. Palace hatte verloren, schon wieder. "Don't worry, about a thing, 'cause every little thing, gonna be alright" - in Zeiten des sportlichen Misserfolgs hilft Bob Marleys Klassiker, das Elend auf dem Platz auszublenden, wenigstens ein bisschen.

Die Geschichte von Crystal Palace handelt von einem vergleichsweise kleinen Verein, der in den Vororten südlich von London zu Hause ist. Dessen Voraussetzungen im Kontrast zu denen der reichen Großklubs aus dem Norden und Westen der britischen Hauptstadt stehen, der sich aber seit 2013 in der Premier League hält. In dieser Saison hat diese Geschichte eine weitere Episode bekommen: Crystal Palace ist derzeit der schwächste Klub in Europas großen Ligen, mit null Punkten aus sieben Spielen und einem Torverhältnis von 0:17 (das hat selbst der 1. FC Köln nicht geschafft). Noch nie ist ein Klub derart schlecht in die Premier League gestartet. Angesichts des Kaders, immerhin bestückt mit Fußballern wie dem belgischen Angreifer Christian Benteke oder dem Franzosen Yohan Cabaye, ist die große Frage: Was läuft da schief?

Erst 2010 wurde der Klub vor der Insolvenz gerettet

Im Sommer sprach Besitzer Steve Parish noch von einer Evolution, davon, mit den Besten in England mithalten und dabei auch noch attraktiven Fußball spielen zu wollen - es herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung rund um den Selhurst Park. Der Londoner Unternehmer hatte Palace 2010 in der zweiten Liga vor der Insolvenz gerettet und mit seinem Verein viel vor. Er, von dem schon mal hochtrabende Sprüche zu hören waren wie "Ich bin sehr überrascht, wie häufig geniale Geschäftsmänner ihren Verstand verlieren, wenn sie mit Fußball in Berührung kommen", installierte den ehemaligen Spieler und Trainer von Ajax Amsterdam, Frank de Boer, als Chefcoach.

Der Niederländer stülpte dem Verein sogleich Ballbesitzfußball mitsamt 3-4-3-System über. Das Problem: Die Mannschaft war mit der Variante des "Voetbal totaal" nach Cruyff'schem Vorbild überfordert. Der eigentlich treffsichere Benteke bekam wenig verwertbare Pässe zugespielt, der schnelle Außenspieler Wilfried Zaha verletzte sich früh, und bei Ballverlusten zeigte sich Palace verwundbar. Gegen Aufsteiger Huddersfield setzte es gleich am ersten Spieltag eine 0:3-Heimniederlage, und nach nur 77 Tagen und vier Spielen war das Vertrauen in den Mann dahin, dessen Verpflichtung Parish nur wenige Wochen zuvor noch als "Meilenstein" bezeichnet hatte. De Boer wurde entlassen, so schnell wie noch kein Trainer in der Premier League vor ihm.

Wenn man es genau nimmt, begann die Entwicklung, die zu de Boers Entlassung führte, schon im Januar 2015. Ständige Neuausrichtungen durchlebte der Klub seither. Damals lockte Palace den Trainer Alan Pardew aus Newcastle weg. Das Ziel: attraktiv zu spielen und mit größeren Klubs mithalten zu können. Doch Pardew scheiterte daran, den in der Klub-DNA verwurzelten Defensivstil mit seinem offensiven Ballbesitzansatz zusammenzubringen und so Balance im Spiel zu etablieren.

In der ersten Saison gelangen zu wenig Tore, danach hakte es in der Defensive. Kurz vor Weihnachten 2016 hatte Besitzer Parish genug und stieg mit aller Kraft auf die Bremse. Der Ballbesitzfußball habe nicht funktioniert, "wir werden nun das Rad zurückdrehen", kündigte er an und stellte den gerade als Nationaltrainer Englands geschassten Sam Allardyce an die Seitenlinie. Nach Saisonende war dessen konservativer Fußball wieder zu langweilig, obwohl er immerhin als 14. die Klasse hielt. Parish setzte seine Hoffnungen auf de Boer.

Am Samstag kommt Chelsea

Mit Roy Hodgson erfolgt nun der erneute U-Turn. Es ist der sechste Coach seit dem Aufstieg in die Premier League vor vier Jahren. Wieder ein ehemaliger englischer Nationalcoach, letztes Jahr nach dem blamablen EM-Aus gegen Island entlassen, und wieder ein Vertreter der alten englischen Schule, also dem genauen Gegenteil des Spielstils, der von seinem Vorgänger propagiert wurde. Zurück zum "Kick and Rush" lautet die Devise.

Am Samstag kommt mit dem FC Chelsea der amtierende Meister in den Selhurst Park. Es wird das Duell der Gegensätze: Der Vierte trifft auf den Letzten. Hier die Blues-Fans, von denen viele aus den wohlhabenden Stadtteilen Fulham, Chelsea oder Hammersmith im Londoner Westen kommen; dort die oftmals einfachen Vorstädter aus dem rohen Süden, wo es außer Reihenhäusern und Imbissläden nicht viel gibt.

Gelänge Palace gerade gegen Chelsea ein Sieg, ein Remis, wenigstens ein Tor - es wäre überraschend, auch wenn Antonio Contes Team bisher noch nicht so gut spielt wie in der Meistersaison. Andererseits: Noch im April siegte Palace an der Stamford Bridge mit 2:1. Es war eine von nur fünf Saisonniederlagen für Chelsea, die anderen vier Bezwinger hießen Liverpool, Arsenal, Tottenham und Manchester United. Und zumindest für einen kurzen Moment spielte Crystal Palace bei den Großen mit.

Die Saison ist noch nicht weit genug fortgeschritten, um verlässliche Prognosen abgeben zu können. Schon jetzt trägt Crystal Palace - seit Bestehen der Premier League mit vier Auf- und Abstiegen - jedenfalls den Begriff Fahrstuhlmannschaft. Doch auch wenn es am Ende im Selhurst Park dämmert, zumindest die Anhänger werden wieder singen, dass schon alles gut werden wird.

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